Residenzstadt
Eine Residenzstadt ist eine Stadt, die Sitz eines Herrschers ist.
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Zum Begriff
Der Begriff leitet sich von Residenz, lateinisch Residentia, zu residere‚ sich setzen, niederlassen, wohnen (englisch Residence, französisch Résidence) ab, dem Sitz des geistigen oder weltlichen Herrschers, ursprünglich dem von einem Herrscher ausgewählten dauerhaften repräsentativen Wohnsitz (Burg, Schloss, Palast).
Residenzstädte waren bzw. sind in allen Kulturen üblich von Rom über Konstantinopel/Byzanz, Bagdad bis zu den Kaiserstädten Chinas, Edo und Tokio in Japan und Städten wie Tenochtitlan in der neuen Welt. Diese waren meist Wohnsitz der Dynastie, wurden aber bei Übernahme oder Eroberung der Reiche vom neuen Machthaber übernommen, um Rechtmäßigkeit und Kontinuität und auch einen neu erworbenen höheren Rang auszudrücken. Die Verlagerung der Residenzstadt eines Reiches war – außer im alten China, wo es eine religiöse Motivation gab – meist eine Frage der herabstufenden Rangordnung der Territorien in einem Reich.
Im europäischen Mittelalter zieht ein Herrscher, primär je nach politischer oder wirtschaftlicher Notwendigkeit, von einem Ansitz (Burgen in strategisch günstiger landschaftlicher Lage) zum anderen, und hält vor Ort ‚Hof‘ (Pfalzwesen) – anfangs wortwörtlich im Burghof. Hier versammelt die Lehnsmänner und Stände der Region, nimmt Huldigungen und Abgaben (Zehent) entgegen, spricht Recht, bestätigt Verträge (Regalien) und tätigt andere Amtshandlungen, um dann weiterzuziehen. So hat etwa der römisch-deutsche Kaiser bis an das Ende des Mittelalters keinen „festen Wohnsitz“, sondern zieht permanent im Reich umher.
Mit dem Aufkommen der städtischen Kulturzentren und dem Ausbilden der Hauptorte einer Region verlagern die Adeligen ihren Sitz in die Städte (Stadtschloss, meist – je nach Klima – ‚Winterpalais‘), die alten Ansitze verbleiben als Sommerresidenz (Landsitz, Jagdschloss und ähnliches). Damit entstehen ab der beginnenden Neuzeit im nördlicheren Europa Hauptstädte der Territorien im Sinne des heutigen Begriffs mit einer ständigen Hofhaltung.
Die neuen städtischen Residenzen lagen meist in den alten mittelalterlichen Hauptburgen der Städte (Hl. Römisches Reich: Hradschin in Prag, Wiener (Hof-)Burg; Frankreich: Louvre) oder in den innerstädtischen Palais (Stadthäusern) der Renaissancezeit. Seit dem Barock und dem zunehmenden Abkommen von den Stadtbefestigungen nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschen aber, um der Enge und auch dem Schmutz der Städte zu entfliehen, Neugründungen außerhalb der Vorstädte vor, oder es werden vorstädtische Land- und Wirtschaftssitze zu Regierungs- und Repräsentationszentren umgebaut (Frankreich: Schloss Versailles bei Paris, Großbritannien: Windsor bei London, Hl. Römisches Reich: Schönbrunn zu Wien, Preußen: Sanssouci in Potsdam bei Berlin). Dem folgt der Kleinadel der Landstädte, die weniger weit umsiedeln müssen, womit die typischen „Stadtschlösser“ im Sinne des Zentralgebäudes der Stadt entstehen.
In der klassischen Residenzstadt wurde auf Kosten des restlichen Adelsbesitzes das geistige und ökonomische Potenzial des Herrschaftsbereiches geballt. Neu ausgerufene Residenzstädte wurden häufig als Planstadt angelegt bzw. ausgebaut. Die Architektur ehemaliger Residenzstädte ist oftmals durch ihre Funktion als repräsentativer Wohnsitz des Herrschers geprägt (Repräsentationsarchitektur, Prunkbauten).
Liste bedeutender Residenzstädte
Deutschland
- Aachen, mit der unter Karl dem Großen errichteten Pfalzanlage die wohl bedeutendste karolingische Residenzstadt
- Altenburg, Hauptstadt des Herzogtumes Sachsen-Altenburg (1603–1672 und 1826–1918)
- Aschaffenburg, Zweitresidenz der Kurfürsten von Kurmainz (1541–1803)
- Bad Homburg vor der Höhe, Sommerresidenz des Deutschen Kaisers nach 1888
- Biebrich, Residenz der Herzöge von Nassau (1744–1841), Sitz der Herzöge von 1817 bis 1841
- Bartenstein (Schrozberg), wahrscheinlich kleinste planmäßig angelegte, rein barocke und in sich geschlossene Residenzstadt mit Schloss in Deutschland
- Bonn, Residenz der Kurfürsten von Kurköln (ab 1288 bevorzugt, ab 1597 offiziell bis 1794)
- Braunschweig, Sitz des Herzogtums Sachsen (um 1142–1195), des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel (1267/1269–1430; 1753–1807) und des Herzogtums Braunschweig (1814–1918)
- Breslau, Residenz der Könige von Preußen (1741–1918)
- Bückeburg, Sitz der Grafen und Fürsten von Schaumburg-Lippe (1647–1918)
- Büdingen, Sitz der Herren von Büdingen, der Grafen von Ysenburg und Büdingen (vor 1500–1628/87), von Ysenburg und Büdingen in Büdingen (1687–1806)
- Celle, Residenz der Herzöge des Fürstentums Lüneburg (1433–1705)
- Coburg, Sitz des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha und den Coburger Herzögen, offiziell bis 1920
- Darmstadt, Sitz der Landgrafen von Hessen-Darmstadt (1567–1806) und der Großherzöge von Hessen (1806–1918)
- Dessau, Sitz der Fürsten von Anhalt-Dessau (1396–1918)
- Detmold, Sitz der (Reichs-)Grafen und Fürsten von Lippe (1528–1918)
- Diez, Sitz der Grafen von Nassau-Diez
- Dresden, Sitz der Kurfürsten und Könige von Sachsen (1485–1918)
- Düsseldorf, Sitz der Herzöge von Jülich-Berg (ab etwa 1380), der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg (1521–1609), des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm (1614–1653), der Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp Wilhelm (1653–1690) und Johann Wilhelm (1690–1716) sowie der Großherzöge von Berg (1806–1813)
- Eisenach, Hauptstadt von Sachsen-Eisenach bis 1741, danach Nebenresidenz von Sachsen-Weimar-Eisenach bis 1918
- Eltville, Residenzort der Kurfürsten von Kurmainz (1347–1480)
- Gera, Hauptstadt des Fürstentumes Reuß jüngerer Linie (1564–1802 und 1848–1918)
- Gotha, Sitz der Herzöge von Sachsen-Gotha (ab 1640, seit 1826 in Personalunion mit Sachsen-Coburg)
- Greiz, Sitz der Grafen und Reichsfürsten von Reuß (1306–1918)
- Güstrow, Sitz der Herzöge von Mecklenburg (1556–1695)
- Halle, Residenz der Magdeburger Erzbischöfe und deren Administratoren von 1152 bis 1680
- Hannover, Sitz des Fürstentums Calenberg-Göttingen (1636–1692), des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg (1692–1814) und des Königreichs Hannover (1814–1866)<ref group="Anmerkung">Während der Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover von 1714 bis 1837 residierten die Kurfürsten und Könige von Hannover in Großbritannien.</ref>
- Heidelberg, Sitz der pfälzischen Kurfürsten bis 1720
- Hildburghausen, Sitz der Herzöge von Sachsen-Hildburghausen (1680–1826, Residenzstadt ab 1684)
- Itzehoe, Sitz der Grafen von Holstein-Itzehoe (1261–1290)
- Karlsruhe, Neugründung 1715, Residenz der Markgrafschaft Baden-Durlach, ab 1771 der Markgrafschaft Baden, 1806–1918 des Großherzogtums Baden
- Kassel, Sitz der Landgrafen von Hessen-Kassel (1567–1803) und der Kurfürsten von Hessen (1803–1866)
- Kelheim, Residenzstadt der Wittelsbacher (ca. 1100–1231)
- Koblenz, Residenz des Trierer Kurfürsten (Ehrenbreitstein 1629–1786), der Trierer Kurfürsten (1786–1794), eine der königlich-preußischen Residenzstädte (1850–1918)
- Köln, seit merowingischer Zeit Residenzstadt, später Sitz der Kölner Kurfürsten (1151–1801)
- Königsberg (Preußen), Sitz der Kurfürsten und Könige in/von Preußen
- Ludwigsburg, Neugründung im 18. Jahrhundert, abwechselnd mit Stuttgart Residenz von Württemberg
- Ludwigslust, Sitz der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin (1765–1837)
- Lüneburg, Sitz der Herzöge des Fürstentums Lüneburg (1269–1378)
- Mainz, Sitz der Kurfürsten von Mainz bis 1792; Residenzstadt Napoleons von 1798 bis 1814; Residenzstadt der hessischen Großherzöge zwischen 1815 und 1918
- Mannheim, Sitz der pfälzischen Kurfürsten bis 1778
- Marienborn, Sitz der Grafen von „Ysenburg und Büdingen in Marienborn“ (1687–1724)
- Meiningen, Sitz der Herzöge von Sachsen-Meiningen (darunter Herzog Georg II./Theaterreform) (1680–1918)
- Meerholz, Sitz der Grafen von „Ysenburg und Büdingen in Meerholz“ (1687–1806)
- München, Residenz des Römisch-deutschen Kaisers (1328–1347) und der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige (1504–1918)
- Neustrelitz, Hauptresidenz von Mecklenburg-Strelitz (1733–1918)
- Oldenburg, Sitz der Grafen (bis 1667), Herzöge (1774–1810) und Großherzöge (1815–1918) von Oldenburg
- Offenbach am Main, Sitz der Grafen von Isenburg-Offenbach (1631–1685), Isenburg-Birstein (1685–1806, seit 1744 Fürsten) und des souveränen Rheinbund-Fürsten zu Isenburg (1806–1815)
- Plön, Sitz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön (1561–1761)
- Posen, Sitz des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen als Grossherzog von Posen (1910–1918)
- Potsdam, Residenz der Könige von Preußen (1701–1918), Residenz des Deutschen Kaisers von 1871 bis 1918
- Putbus, Residenz der historisch den Rüganer Fürsten gleichgestellten Herren zu Putbus ab 1810
- Rastatt, älteste Barockresidenz am Oberrhein, planmäßig ausgebaut und 1705–1771 Residenzstadt der Markgrafschaft Baden-Baden
- Recklinghausen, Sitz des Vest Recklinghausen und Residenz des Herzogtum Arenberg-Meppen
- Rudolstadt, Residenz des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt (1599–1918)
- Schleswig, Sitz der Herzöge von Schleswig und der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf (1119–1864)
- Schwerin, Hauptresidenz der Obotritenfürsten seit 1131, und der Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin 1329–1918
- Sondershausen, Hauptstadt des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen (1599–1918)
- Stuttgart, Sitz der Grafen (12. Jh.–1495), danach der Herzöge (1495–1806) und der Könige von Württemberg (1806–1918)
- Trier, Sitz der Trierer Kurfürsten vor 1629 und 1786–1815
- Wächtersbach, Sitz der „Grafen von Ysenburg und Büdingen in Wächtersbach“ (1687–1806)
- Weilburg, Sitz der Grafen, (Reichs-)Fürsten und Herzöge von Nassau-Weilburg und später vom Herzogtum Nassau
- Weimar, Sitz der Herzöge von Sachsen-Weimar, später von Sachsen-Weimar-Eisenach (1552–1918)
- Wiesbaden, Sitz der Herzöge von Nassau (1841–1866)
- Wittenberg, Sitz der Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg 1260–1422 und 1486–1547
- Wolfenbüttel, Sitz der Herzöge des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel (1430–1753)
- Würzburg, UNESCO-Weltkulturerbe, Sitz der Würzburger Fürstbischöfe (ab 1720)
- Zweibrücken, Sitz der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken (1470–1793)
Österreich
- Wien, Residenz des Römisch-deutschen Kaisers (1278–1806, mit Unterbrechungen), des österreichischen Kaisers (1804–1867, 1867–1918), des apostolischen Königs von Ungarn (1867–1918), sowie der Erzherzöge von Österreich
- Graz, Residenzstadt von Innerösterreich (bis 1619)
- Innsbruck, Residenz Maximilians I., sowie Residenzstadt von Oberösterreich (im Sinne Tirol und Vorlande, 1410 bis 1665)
- Salzburg, Residenz der Fürsterzbischöfe, dann kurzfristig Kurfürstensitz (1803–1806)
- Steyr, Sitz der Herzöge von Österreich unter den Babenbergern
Frankreich
- Versailles, Residenz der französischen Könige Ludwig XIV., Ludwig XV. und Ludwig XVI. 1698–1789
Montenegro
- Cetinje, die winzige Hauptstadt des Königreiches Montenegro (1878 bis 25. Januar 1916) war königliche Residenzstadt und Thronstadt
Kamerun
- Douala, Residenz des Königshauses Douala-Bell
- Foumban, Sitz des Königs der Bamun
Ägypten
- Theben, ehemalige Hauptstadt im alten Ägypten
Siehe auch
Weblinks
- Forschungsprojekt „Hof und Residenz im spätmittelalterlichen Deutschen Reich (1200–1600)“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
- Forschungsprojekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800). Urbanität im integrativen und konkurrierenden Beziehungsgefüge von Herrschaft und Gemeinde“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Anmerkungen
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