Vereinigte Staaten von Europa
Der Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ (oder auch „Vereinigtes Europa“) ist ein politisches Schlagwort der Europa-Bewegung, welches eine stärkere Europäische Integration und politische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ausdrücken will. Häufig wird der Begriff auch synonym zum Konzept eines Europäischen Bundesstaats verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Vorbild USA
Begriff und Vorstellung lehnen sich an das Modell der Vereinigten Staaten von Amerika an.
George Washington wird mit den Worten zitiert:
„Eines Tages werden, nach dem Muster der Vereinigten Staaten, die Vereinigten Staaten von Europa gegründet werden.“
Benjamin Franklin sandte 1778 an einen Freund in Paris einen Vorschlag für eine Bundesverfassung für die europäischen Staaten und erklärte:
„Gelingt dies, dann sehe ich nicht ein, weshalb Ihr nicht in das Projekt König Heinrichs IV. verwirklichen solltet durch die Schaffung eines Bundesstaates und einer großen Republik aus all den verschiedenen Staaten und Königreichen und durch eine ähnliche Verfassung, denn auch wir mussten viele Interessengegensätze versöhnen.<ref>Das bezog sich eigentlich auf eine Anregung des französischen Staatsmannes Sully von 1641, der zur Zeit Heinrich von Navarra in Frankreich wirkte. Winston Churchill sprach 1948 auch davon in seiner Eröffnungsrede am 7. Mai 1948 zum ersten Kongress für die Einheit Europas in Den Haag.</ref>“
Begriffsursprung
Aufgekommen ist der Begriff in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der schottische Schriftsteller Charles Mackay erhob den Anspruch, als erster im Frühjahr 1848, noch vor Victor Hugo, Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi, den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ geformt zu haben. Auf dem Pazifistenkongress im Jahre 1849 in Paris erklärte Victor Hugo:
„Der Tag wird kommen, an dem die beiden großen Ländergruppen, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Vereinigten Staaten von Europa sich von Angesicht zu Angesicht die Hände über die Meere reichen werden.“
1920er Jahre
Seit den 1920er Jahren wurde der Begriff häufig gebraucht. Richard Coudenhove-Kalergi benutzte die Termini „Paneuropa“ und „Vereinigte Staaten von Europa“ parallel, bevorzugte aber ersteren. Ludwig Quidde sah in den Vereinigten Staaten von Europa „ein Schlagwort aus den Anfängen des organisierten europäischen Pazifismus.“<ref>Ludwig Quidde, Vereinigte Staaten von Europa, Berliner Tageblatt, 22. Mai 1926</ref>
Als erste größere Partei in Europa nahm die SPD auf dem Parteitag vom 13. bis 18. September 1925 die Forderung nach der Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa in das bis 1959 geltende Heidelberger Programm auf, mit der Formulierung:
„Sie tritt ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, um damit zur Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen.“
Nachkriegszeit bis Gegenwart
Am 6. März 1946 sprach Altbundeskanzler Konrad Adenauer im Rahmen seiner CDU-Grundsatzrede im ehemaligen Nordwestdeutschen Rundfunk über die Gründung der „Vereinigte Staaten von Europa“ und der damit verbundenen Hoffnung nach dauerhaftem Frieden in Europa:
„Ich hoffe, daß in nicht zu ferner Zukunft die Vereinigten Staaten von Europa, zu denen Deutschland gehören würde, geschaffen werden, und daß dann Europa, dieser so oft von Kriegen durchtobte Erdteil, die Segnungen eines dauernden Friedens genießen wird.<ref>6. März 1946: Grundsatzrede im Nordwestdeutschen Rundfunk über das Programm der CDU (Absatz 26), Konrad-Adenauer-Stiftung, abgerufen am 6. September 2015</ref><ref>Zitate zu Europa, Konrad-Adenauer-Stiftung, abgerufen am 6. September 2015</ref><ref>"Einigkeit und Recht und Freiheit. Leben und Vermächtnis des großen Deutschen und Europäers", Deutscher Bundestag, abgerufen am 6. September 2015</ref>“
Im September 1946 rief Winston Churchill in einer Rede an der Universität Zürich dazu auf, „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“ zu errichten. Im selben Jahr fand ein Kongress der europäischen Föderalisten in Hertenstein in der Schweiz statt. Dort wurden zwölf Thesen verfasst, die als Hertensteiner Programm zur Grundlage der europäischen Arbeit der Nachkriegsjahre und zugleich zum politischen Gründungsdokument der Europa-Union Deutschland wurden. Ziel ist bis heute eine auf „föderativer Grundlage errichtete, europäische Gemeinschaft“.<ref>Geschichte der Europa-Union Deutschland</ref> Margaret Thatcher lehnte in ihrer Brügger Rede vom 20. September 1988 die Vereinigten Staaten von Europa ausdrücklich ab.
Gegen Europaskeptiker in den Unionsparteien (CDU und CSU) betonte Helmut Kohl, dass er für die Europäische Gemeinschaft zwar eine „bundesstaatliche Lösung“ anstrebe, dass diese „aber keineswegs als eine Art ‚Vereinigte Staaten von Europa’ misszuverstehen sei“.<ref>Frankfurter Rundschau, 28. Oktober 1992, S. 4.</ref> 1993 nannte Kohl die Vereinigten Staaten von Europa eine „mißverständliche Formel“.<ref>Wirtschaftswoche, 15. Oktober 1993, S. 14.</ref> Als Synonym für diesen schillernden Ausdruck wurde in dieser Zeit vor allem gegen einen europäischen Bundesstaat argumentiert.
Im Zuge der Eurokrise – sie wurde der Öffentlichkeit ab Herbst 2009 durch die griechische Finanzkrise bewusst – wird der Begriff häufig verwendet.<ref>zeit.de 29. August 2011: Zeit für große Europa-Ideen (ein Kommentar von Wenke Husmann)</ref><ref>Wie Brüssel in der Krise wirklich funktioniert. – Angst vor den „Vereinigten Staaten von Europa“? Den Superstaat wird es nicht geben, Zeit Online, 29. September 2011.</ref>
Im August 2011 sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen dem Magazin Der Spiegel gegenüber: „Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa – nach dem Muster der föderalen Staaten Schweiz, Deutschland oder den USA.“<ref>Zeit Online vom 27. August 2011</ref><ref>Spiegel Online vom 30. August 2011</ref>
Im Rahmen eines Staatsbesuches bei der EU-Kommission am 17. April 2012 sagte Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck folgendes: „Wir sind noch nicht so weit, der Mentalitätswandel geht sehr viel langsamer als die Entwicklung des Intellekts… Ich muss Realist bleiben, ich sehe es im Moment noch nicht. Ich wünsche es mir, weil einzelne Staaten, egal wie sie von sich selber denken, nicht mehr die wirtschaftliche Kraft haben.“<ref>Zitate von Joachim Gauck</ref>
Während eines EU-Gipfels in Brüssel am 7. November 2012 warb Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, die Europäische Union langfristig mit staatsähnlichen Befugnissen auszustatten: „Ich bin dafür, dass die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist.“<ref>Merkel wirbt fuer Vereinigte Staaten von Europa. In: Hamburger Abendblatt.</ref><ref>Merkels ganze Rede vom 7. November 2012 </ref>
Für das Modell der Vereinigten Staaten von Europa warb ebenfalls Viviane Reding, Mitglied der Europäischen Kommission, im Zuge der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Union.<ref>http://www.focus.de/politik/ausland/eu/friedensnobelpreis-fuer-die-eu-reding-fuer-vereinigte-staaten-von-europa_aid_878181.html</ref>
Unter dem Motto „jetzt oder nie“ befürwortete die italienische Außenministerin Emma Bonino die Vereinigten Staaten von Europa als zu realisierendes Ziel.<ref>Italien will Vereinigte Staaten von Europa: „Jetzt oder nie!“</ref>
Die Spinelli-Gruppe setzt sich für ein föderales Europa ein, sie stützt sich auf Altiero Spinelli welcher das Zitat „It will be the moment of new action and it will be the moment for new men: the moment for a free and united Europe“ aussprach. Die Spinelli-Gruppe hat auf ihrer Webseite auch ein Manifest eingerichtet, das für jeden zugänglich ist und öffentlich oder privat unterschrieben werden kann.<ref>The Spinelli-Group</ref>
Im Bürgerprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2013 findet sich folgender Programmpunkt: „Am Ende der Entwicklung soll ein durch eine europaweite Volksabstimmung legitimierter europäischer Bundesstaat stehen.“<ref>Schwerpunkte des Bürgerprogramms. fdp.de. Abgerufen am 30. August 2013.</ref>
Italiens Außenministerin Emma Bonino verteidigte in einem am 6. Februar 2014 veröffentlichten Interview mit der Süddeutschen Zeitung die deutsche Politik während der Euro-Krise und sprach sich dabei für die Vereinigten Staaten von Europa aus.<ref>"Die Kritik an Berlin ist ziemlich kleinlich" Abgerufen am 20. Februar 2014 von sueddeutsche.de</ref>
Im Rahmen der Karlspreisverleihung und der Europawahl forderte der Chef des Institutes für Wirtschaftsforschung (kurz Ifo) Hans-Werner Sinn den Ausbau der Europäischen Union zu einem Bundesstaat ähnlich dem Vorbild der USA.<ref>Hans-Werner Sinn fordert "Vereinigte Staaten von Europa" Abg. am 22. Mai 2014 von t-online.de</ref>
Der Historiker Peter Jósika kritisiert in seinem 2014 erschienenen Buch, dass die pro-europäischen Kräfte seit dem Zweiten Weltkrieg einen Nationalstaatenbund anstreben, den er als „Vereinigte Nationalstaaten Europas“ bezeichnet. Aufgrund unüberwindbarer historisch bedingter Animositäten und Vorurteile zwischen den bestehenden Nationalstaaten sei der Aufbau eines solchen Nationalstaatenbundes allerdings unrealistisch. Stattdessen ruft Jósika zu einem europaweiten Dezentralisierungs- und Demokratisierungsprozess auf, der die Gemeinden und Regionen nach Schweizer Vorbild stärken soll. Da Regionen größenbedingt kooperationsfreudiger und zudem weniger von Vorurteilen und historischen Konflikten gezeichnet sind, sieht Jósika in den Regionen Europas die Basis für einen zukünftigen gemeinsamen europäischen Staat, den er „Europa der Regionen“ oder „Vereinigte Regionen von Europa“ nennt.<ref>Peter Josika: Ein Europa der Regionen- Was die Schweiz kann, kann auch Europa, IL-Verlag, Basel 2014, ISBN 978-3-906240-10-7</ref>
Am 14. Juli 2015 hatte der französische Staatspräsident François Hollande in seinem langen Fernsehinterview zum französischen Nationalfeiertag die Idee zu einer „EU-Regierung“ vorgebracht.<ref>Hollande fordert die EU-Regierung, 19. Juli 2015, abgerufen am 21. Juli 2015 von welt.de</ref> Der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich reagierte auf den Vorschlag einer „Regierung der Euro-Zone“ mit ablehnender Haltung.<ref>Regierung für die Euro-Zone: Unions-Fraktionsvize Friedrich erteilt Hollandes Vorschlag Abfuhr, 20. Juli 2015, abgerufen am 21. Juli 2015</ref>
Siehe auch
- Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa
- American Committee for a United Europe
- Europäische Integration
- Europäischer Föderalismus
- Europa-Union Deutschland
- Eurotopia
- Geschichte der europäischen Integration
- Sozialistische Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa
- Spinelli-Gruppe
Literatur
Konzepte
- W. I. Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa. In: Sozial-Demokrat, Nr. 44, 23. August 1915.
- Edo Fimmen: Vereinigte Staaten von Europa oder Europa AG. Jena 1924.
- Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“. In: Europa und Amerika, S. 92–95.
- Glyn Morgan: The Idea of a European Superstate. Princeton 2005, ISBN 978-0691134123 (englisch).
Forschung
- Georg Kreis: Europakonzeptionen: Föderalismus, Bundesstaat, Staatenbund. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2012.
- Ludger Kühnhardt: Europäische Union und föderale Idee. München 1993, ISBN 3-406-37084-5, S. 27 ff.
- Wolfgang Schmale: Geschichte Europas. Wien 2000, ISBN 3-205-99257-1, S. 100 ff.
Einzelnachweise
<references />