Jean Ziegler


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25px Dieser Artikel befasst sich mit dem Soziologen und Politiker Jean Ziegler; der gleichnamige Romanist wird unter Jean Ziegler (Romanist) behandelt.
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Jean Ziegler beim "Gipfel der Alternativen" 2015 in München

Jean Ziegler (* 19. April 1934 als Hans Ziegler in Thun) ist ein Schweizer Soziologe, Politiker und Sachbuch- und Romanautor. Er gilt als einer der bekanntesten Globalisierungskritiker. Von 1967 bis zu seiner Abwahl 1983 und erneut von 1987 bis 1999 war er Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die Sozialdemokratische Partei.

Von 2000 bis 2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung – zuerst im Auftrag der Menschenrechtskommission, dann des Menschenrechtsrats – sowie Mitglied der UN-Task Force für humanitäre Hilfe im Irak. 2008 bis 2012 gehörte Ziegler dem Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UN an, im September 2013 wurde er erneut in dieses Gremium gewählt.<ref>Jean Ziegler in Menschenrechtsrat gewählt, NZZ vom 26. September 2013</ref> Er ist außerdem im Beirat der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control.

Biografie

Jean Ziegler ist der Sohn eines deutschsprachigen protestantischen Amtsrichters. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften trat er dem schweizerischen Zofingerverein (Zofingia) bei und galt als überzeugter Antikommunist, was er zurückweist und als Unsinn bezeichnet.<ref>Der Bund, 17. März 2009: «Alles, was ich im Leben gelernt habe, habe ich in Thun gelernt»</ref> Nach eigenen Aussagen wurde er durch einen zweijährigen Afrika-Aufenthalt als UN-Experte unmittelbar nach der Ermordung des kongolesischen Staatschefs Patrice Lumumba und das dort gesehene Elend zu einer radikalen Änderung seiner Grundauffassungen bewegt. Seine Eindrücke aus Afrika hat er in seinem Roman „Das Gold von Maniema“ (1996) verarbeitet.

Ziegler war befreundet mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir – die ihn mit Nachdruck anregte, seinen Vornamen in Jean zu ändern<ref>„...hatte sie noch meinen Vornamen gestrichen und durch Jean ersetzt. ‚Hans‘, sagte sie, ‚das ist doch kein Name!‘...“, in „Ich bin ein weißer Neger“, Interview mit Jean Ziegler von Anita Blasberg (S. 4), Die Zeit, 3. Januar 2011</ref> – sowie mit Che Guevara, dessen Chauffeur er während der Teilnahme Kubas an der ersten Weltzuckerkonferenz der UNO in Genf in der Schweiz war. Auf seinen Wunsch, dass er ihn bei der Rückreise nach Kuba mitnehme, antwortete ihm eigenen Aussagen zufolge Che Guevara: „Dein Platz ist hier. Hier ist das Gehirn des Monsters, hier musst du kämpfen.“<ref name="InterZeit" /> Ziegler blieb in der Schweiz, studierte fortan Soziologie, trat vom Protestantismus zum Katholizismus über und verwendete an Stelle der deutschen die französische Sprache.

Bis zu seiner Emeritierung im Mai 2002 war Ziegler Professor für Soziologie an der Universität Genf sowie ständiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris.

In seinen Sachbüchern kritisierte Ziegler mehrfach die historische Rolle der Schweiz, unter anderem wegen ihres Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus. Er warf den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen jener Jahre vor, durch den Waren- und Kapitalverkehr mit dem Deutschen Reich über Geldwäsche und Handel mit Gold den Zweiten Weltkrieg verlängert zu haben. Er kritisierte auch die Sowjetunion für ihren Einmarsch in Afghanistan.

Wegen massiver Kritik an Schweizer Politik, Wirtschaft, Finanzwesen sowie deren Institutionen in seinen Publikationen wurde er immer wieder als „Landesverräter“ angegriffen und von mehreren Instituten und Privatpersonen, zum Teil erfolgreich, zivil- und strafrechtlich belangt. Die Verurteilungen zu Schadensersatzleistungen trieben ihn in den wirtschaftlichen Ruin. Im Jahr 2011 soll sein Schuldenstand nach eigener Aussage bei 5,5 bis 6 Millionen Euro gelegen haben, die vor allem aus verlorenen Prozessen wegen Rufschädigung und ähnlichem stammen, die durch von ihm zuvor kritisierte Unternehmer und Banken angestrengt wurden.<ref name="InterZeit" /><ref name="hr-online" /> Ziegler meinte dazu in einem Interview, dass ihn alleine die Bezeichnung eines bekannten Schweizer Wirtschaftsanwalts als „Geier“ 320'000 Schweizer Franken gekostet habe, der allerdings später rechtskräftig als Betrüger verurteilt worden und daher nun legal auch so bezeichnet werden dürfe. Moussa Traoré, der 23 Jahre Präsident von Mali (einem der ärmsten Länder der Welt) war, bekam 180'000 Franken Schadensersatz zugesprochen. Ziegler hatte ihn als „Kleptokrat“ bezeichnet und geschrieben, dass dieser zwei Milliarden US-Dollar aus der Staatskasse auf sein Privatkonto in der Schweiz verschoben habe, während die Menschen in seinem Land an Hunger starben. Traoré wurde später in Mali wegen der Veruntreuung von Staatsgeldern zum Tode verurteilt.<ref name="InterZeit" /> Die Bezeichnung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet als „Faschist“ sei dagegen mit 2'000 Franken Bussgeld wegen „Übler Nachrede“ eher günstig gewesen. Ziegler hat ferner mehrfach öffentlich bekannt, wegen der Prozessschulden insolvent zu sein. Das Haus, in dem er wohne, gehöre daher seiner Frau, und sein Auto sei nur geleast.<ref name="InterZeit">Ich bin ein weißer Neger. Interview mit Jean Ziegler, Die Zeit, Nr. 1, 3. Januar 2011</ref>

Seit September 2000 war Ziegler UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In dieser Funktion verfasste er neben jährlichen allgemeinen Berichten und Empfehlungen Länderberichte zu Niger (2002), Brasilien (2003), Bangladesch, den Palästinensergebieten (2004), Äthiopien, der Mongolei (2005), Guatemala, Indien, dem Libanon und Niger (2006), Kuba und Bolivien (2007).<ref>Publikationen Zieglers auf Righttofood.org (Memento vom 18. Januar 2012 im Internet Archive)</ref> Er forderte unter anderem ein fünfjähriges Moratorium auf landwirtschaftlich erzeugte Biotreibstoffe, ein provisorisches Bleiberecht für Hungerflüchtlinge und einen Verhaltenskodex für nichtstaatliche Akteure – insbesondere Unternehmen – bezüglich des Rechts auf Nahrung.<ref>SF Tagesschau, 16. Oktober 2007: Ziegler beklagt «schizophrene Haltung»</ref> Am 26. März 2008 wurde Ziegler mit 40 von 47 Stimmen in den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats gewählt,<ref>sf.tv: Jean Ziegler berät Menschenrechtsrat, Mittwoch, 26. März 2008</ref> wo er gemäss Losentscheid für ein Jahr Einsitz nahm. Trotz zunehmender Kritik etwa durch die US-amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power und die vom „American Jewish Committe" gegründete Organisation UN Watch wurde Ziegler am 26. September 2013 erneut zum Berater des UNO-Menschenrechtsrats gewählt. Er setzte sich gegen den spanischen Gegenkandidaten Fernando Mariño Menéndez mit 33 zu 12 Stimmen durch.<ref>Jean Ziegler in Menschenrechtsrat gewählt. In: NZZ-online, 26. September 2013.</ref>

Politische Haltung

Ziegler gilt als Globalisierungskritiker. Er kritisiert eine „Refeudalisierung in der Welt“<ref>Ziegler, Das Imperium der Schande, S. 213–279</ref> und bezeichnet sich selbst als Kommunist im Sinne der Redewendung von Karl Marx „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Die Pariser Kommune von 1871 sieht er nach dieser Redewendung als „einzigen kommunistischen Staat, den es je gegeben hat“ an. Staaten im früheren Ostblock wie die Sowjetunion ordnet er auf Grund ihrer Politik hingegen als „Terrorstaaten“ ein. Kubas Politik lobt er im Hinblick auf Ernährung, Gesundheit und Bildung der Bevölkerung. Er bestreitet, dass Kubaner generell an der Ausreise gehindert würden und dass Kuba ein Spitzelstaat sei. Das Land werde vielmehr von einer von Amerikanern beherrschten Mediengesellschaft permanent in einer völlig zynischen Art diffamiert.<ref name="ta.ch" /> Probleme mit der Menschenrechtssituation in Kuba wolle er nicht unter den Tisch kehren, erachtet andere Probleme aber als wichtiger für die Weltgemeinschaft.<ref>Die Welt: "Ein Wahlzettel macht nicht satt", 20. Januar 2006</ref>

Unternehmen – besonders multinationalen Konzernen – wirft er vor, zwecks Profitmaximierung unethisch zu handeln, jede Verantwortung für Menschenrechte oder Umweltschutz abzulehnen, und so wesentlich für den Welthunger mitverantwortlich zu sein. Konzerne übten ferner beträchtlichen Einfluss auf die Politik aus und bedrohten damit die Demokratie. Ziegler bezeichnet Hungertod als Mord.<ref name="ta.ch" /> Das Bevölkerungswachstum als Ursache für Hunger bezeichnet Ziegler als „kompletten Blödsinn“, da die Weltlandwirtschaft 12 Milliarden Menschen ernähren könne.<ref name="ta.ch">„Dass ich hier bin, ist ein reines Wunder“, Tagesanzeiger, 17. März 2009</ref> Seiner Ansicht nach dient die Erklärung des Welthungers als Folge von „Überbevölkerung“ dazu, das schlechte Gewissen zu beruhigen.<ref>Ziegler, Wie kommt der Hunger in die Welt?, S. 19–26</ref>

Insbesondere in der US-amerikanischen Politik unter George W. Bush sah Ziegler eine Politik, die an Konzerninteressen und der „Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals“ ausgerichtet gewesen sei. Dies sei der Grund, weshalb die USA weltweit menschenrechtsverletzende Regimes – als solche sieht Ziegler u. a. Russland unter Wladimir Putin wegen des Kriegs in Tschetschenien und Israel wegen der Besetzung der Palästinensergebiete – unterstützten und die Teilnahme am Kyoto-Protokoll und das Verbot von Anti-Personen-Minen abgelehnt hätten. Den Irakkrieg und den weltweiten „Krieg gegen den Terror“ sieht Ziegler als Massnahmen im Interesse US-amerikanischer Erdölkonzerne. Jean Ziegler in der "Schweiz am Sonntag" vom 5. Oktober 2014: "Al-Kaida mit seinen schlafenden Zellen im Westen ist viel gefährlicher für die Welt als der IS. Es ist fürchterlich, was die IS-Milizen tun. Aber der IS verringert im Vergleich zum Terror-Netzwerk al-Kaida die globale Terrorgefahr. Al-Kaida ist eine weltrevolutionäre Mörderbande, der IS letztlich ein limitierter theokratischer Staat."

Kritik an Ziegler

Neben der Ablehnung, die Ziegler auf Grund seiner Kritik an der weltweiten Globalisierungs- und Wirtschaftspolitik erfährt, wird er insbesondere von Seiten der vom American Jewish Committee 1993 gegründeten Organisation UN Watch kritisiert, die eine „unfaire Behandlung Israels durch die Vereinten Nationen“<ref>UN Watch: Mission & History</ref> beklagt. Nachdem Ziegler 2004 in einem Länderbericht zu den Palästinensischen Autonomiegebieten geschrieben hatte, Israel behindere den Zugang der palästinensischen Bevölkerung zu ausreichender Ernährung, wurde ihm von UN Watch vorgeworfen, er kritisiere fast ausschliesslich die Vereinigten Staaten, Israel und einzelne Konzerne, würde demgegenüber jedoch in zahlreichen Ernährungskrisen gar nicht oder nur „mit diplomatischen Samthandschuhen“ agieren.<ref>UN Watch: Blind to Burundi – Jean Ziegler's Neglect of the World's Food Emergencies (PDF; 2,0 MB), Oktober 2004</ref>

In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses kritisierte Ronald Lauder die Ernennung Zieglers für einen Sitz im beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats im Jahr 2008 und bezeichnete ihn als „selbsterklärten Menschenrechtsaktivisten“, der vor allem als „Unterstützer von Diktatoren wie Colonel Khaddafi in Libyen, Robert Mugabe in Simbabwe und Fidel Castro in Kuba“ bekannt sei.<ref>http://www.worldjewishcongress.org/news/wjcnews/wjn_archives/2008/03/wjcn_080331_rslswiss.html (Memento vom 24. August 2010 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt</ref> Der französische Journalist Luc Rosenzweig, langjähriger Redakteur und Deutschlandkorrespondent der Tageszeitung Le Monde, bezeichnete Ziegler als „al-Gaddafi und Castro zu Dank verpflichtet“,<ref>http://www.causeur.fr/peut-on-precher-la-vertu-dans-un-bordel,2205</ref> beziehungsweise als „Anbeter“ (adorateur) Castros und „Pantoffellecker“ (lécheur de babouches) al-Gaddafis.<ref>http://www.causeur.fr/le-socialisme-suisse-un-oxymore-devastateur,843</ref> So soll Ziegler den 1989 ins Leben gerufenen Gaddafi-Preis für Menschenrechte mitbegründet und bis 2010 sowohl in dessen Preis-Kommission gesessen als auch Mitglied dessen siebenköpfigen Exekutivbüros gewesen sein.<ref>Joseph Croitoru: In Ghadhafis Zelt, Neue Zürcher Zeitung vom 15. April 2011 (aufgerufen am 1. Mai 2011)</ref> Er habe damals den Preis als „Anti-Nobelpreis der Dritten Welt“ gepriesen.<ref name="Libyen-Connection">Zieglers Libyen-Connection, Neue Zürcher Zeitung vom 25. Juni 2006</ref>

Im Jahre 2002 wurde Ziegler selbst, gemeinsam mit dem französischen Holocaustleugner Roger Garaudy, dem libyschen Schriftsteller Ibrahim al-Koni und zehn weiteren Schriftstellern und Publizisten mit dieser Auszeichnung bedacht. Ziegler bestritt jahrelang, den Preis je entgegengenommen zu haben. Nach dem Beginn des Aufstands in Libyen im Februar 2011 distanzierte er sich von Gaddafi.<ref>"Er glaubt seine eigenen Lügen" – SZ, 7. März 2011</ref> Auf die Frage, ob er nicht zu lange zu Gaddafi gestanden habe, meinte er im September 2011, dass man ihm vorwerfen könne, dass er den Einladungen zu lange Folge geleistet und dabei nicht gemerkt habe, dass Gaddafi inzwischen „total verrückt geworden“ war.<ref name="hr-online">„Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“ ARD Special zur Frankfurter Buchmesse, 25. September 2011</ref> Im Rahmen der erneuten Kandidatur Zieglers für den Beratenden Ausschuss des UNO-Menschenrechtsrates publizierte die Organisation UN-Watch im September 2013 ein Video, das Ziegler bei der Entgegennahme des „Gaddafi-Preises für Menschenrechte“ im Jahr 2002 zeigt. Ziegler erklärte darauf hin, er habe damals den Preis innerhalb von 48 Stunden zurückgegeben.<ref>Zieglers Lüge und die Attacke der Israel-Lobby – Tagesanzeiger online, 24. September 2013, online abgerufen am 24. September 2013</ref> Trotz der Kritik wurde er am 26. September 2013 erneut in den Ausschuss gewählt.

In einer Rezension für Die Zeit bewundert der Unternehmensführer (als Präsident des Verwaltungsrates) von Nestlé Peter Brabeck-Letmathe den brennenden Eifer Zieglers, hält dessen Erklärungsansätze „Bevölkerungswachstum, höherer Fleischkonsum der neuen Mittelklassen und die kriminelle Verwendung von Nahrungsmitteln zur Produktion von Biosprit“ für richtig, hält aber die Verhinderung von Spekulation mit Agrarrohstoffen allein und Lösungsansätze (Widerstand in kleinbäuerlichen lokalen Strukturen) jedoch für simplistisch, Zieglers Anstrengungen seien als ideologische Polemik letztlich ungeeignet, das Problem des Hungers zu lösen. Peter Brabeck-Letmathe setzt sich für die Privatisierung von Grundwasserzugängen ein und deklariert es als nicht notwendiges Menschenrecht.<ref>Peter Brabeck-Letmathe: Hunger. Die falschen Gegner – Jean Ziegler analysiert die Ursachen des globalen Hungers – doch er macht es sich zu einfach. In: DIE ZEIT, 42/2012, S. 37, 21. Oktober 2012</ref>

Ehrungen und Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Literatur

Weblinks

Commons Commons: Jean Ziegler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Audio

Video

Einzelnachweise

<references />