Staat


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25px Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Staat (Begriffsklärung) aufgeführt.

Staat (ugs. bzw. nichtfachspr. auch Land) ist ein mehrdeutiger Begriff verschiedener Sozial- und Staatswissenschaften. Im weitesten Sinn bezeichnet er eine politische Ordnung, in der einer bestimmten Gruppe, Organisation oder Institution eine privilegierte Stellung zukommt – nach Ansicht einiger bei der Ausübung von (politischer) Macht; nach Ansicht anderer hinsichtlich sowohl der Entfaltung des Einzelnen als auch der Gesellschaft.

Datei:Aufbau des Staates.png
Aufbau eines demokratischen Staates aus der Perspektive der Politikwissenschaft

Mehrdeutigkeit des Staatsbegriffs

Diese sehr allgemeine Definition ist dem Umstand geschuldet, dass der Begriff Staat in wissenschaftlicher, aber auch ideologischer Hinsicht mit unterschiedlichen Inhalten besetzt ist. Es lassen sich im Wesentlichen vier Staatsbegriffe unterscheiden:

  1. Der juristisch-völkerrechtliche Staatsbegriff bezeichnet als Staat „die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgerüstete Körperschaft eines sesshaften Volkes“ (Jellinek). Häufig wird diese klassische „Drei-Elemente-Lehre“, nach der ein Staat ein gemeinsames, durch in der Regel ausgeübte Gebietshoheit abgegrenztes Staatsgebiet,<ref>Siehe hierzu im Einzelnen Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln (= Jus Publicum, Bd. 194), Mohr Siebeck, Tübingen 2010, § 3 B.III, S. 77 ff.; vgl. auch Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Mohr Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 3-8252-8339-9 (UTB), Kap. 9 § 1, S. 278–295 (278 f.) und § 3.II Rn 111–113.</ref> ein dazugehöriges Staatsvolk und die Machtausübung über dieses umfasst,<ref>Vgl. Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Heidelberg 1987, § 13 Rn. 30.</ref> um die Notwendigkeit einer rechtlichen Verfasstheit jener Gemeinschaft ergänzt.
  2. Nach der soziologischen Definition Max Webers ist der Staat die Gemeinschaft, die „innerhalb eines bestimmten Gebietes die gesellschaftliche Produktion auf einen vorbestimmten Plan wird von nun an möglich. Die Entwicklung der Produktion macht die Existenz der verschiedenen Klassen der Gesellschaft von da ab zu einem Anachronismus. In dem Maße, wie die Anarchie in der gesellschaftlichen Produktion schwindet, so erlischt die politische Autorität des Staates, der Mensch wird endlich der Herr seiner Form der sozialen Organisation, wird zugleich auch der Herr über die Natur, sein eigener Herr.“ Auf die Ausmaße, dass es Sinn macht, gibt es keine einzelne „marxistische Theorie des Staates“, sondern viele verschiedene „Marxististische“ Theorien, die von Anhängern des Marxismus entwickelt wurden.<ref name="flint-taylor-139">Flint & Taylor 2007: S. 139.</ref><ref>Joseph 2004: S. 15.</ref><ref>Barrow 1993: S. 4.</ref>

    Marx’ frühe Schriften porträtierten den Staat als „parasitär“, auf den Überbau der Wirtschaft gebaute, und die Arbeit gegen das öffentliche Interesse einsetzende Institution. Er schrieb auch, dass der staatliche Spiegel Klassen erzeugt. Beziehungen in der Gesellschaft wirken im Allgemeinen als Regulator und Repressor des Klassenkampfes, und wirken als ein Werkzeug der politischen Macht und Herrschaft für die herrschende Klasse.<ref> Mark J. Smith: Rethinking state theory. Routledge, London/ New York 2000, ISBN 0-415-20892-0, S. 176.</ref>

    Für marxistische Theoretiker ist die Rolle des nicht-sozialistischen Staates durch seine Funktion in der kapitalistischen Weltordnung bestimmt. Ralph Miliband argumentiert, dass die herrschende Klasse den Staat als Instrument für die Gesellschaft aufgrund der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Staatsbeamten und wirtschaftlichen Eliten dominiert. Für Miliband wird der Staat von einer Elite, die aus dem gleichen Hintergrund wie die kapitalistische Klasse kommt, dominiert. Staatsbeamte teilen daher die gleichen Interessen wie Kapitalbesitzer und sind immer mit ihnen verknüpft durch eine breite Palette von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen.

    Gramscis Theorien des Staates betonen, dass der Staat nur eine der Institutionen in der Gesellschaft sei, welche die Hegemonie der herrschenden Klasse aufrechtzuerhalten helfen, und dass die Staatsmacht durch die ideologische Herrschaft der Institutionen der Zivilgesellschaft, wie Kirchen, Schulen und Massenmedien, verstärkt herbeigeführt wird.<ref>Joseph 2004: S. 44.</ref>

    Entstehung, Entstehungstheorien

    Hauptartikel: Staatsentstehung

    Für Zehntausende von Jahren lebten die Menschen in Gesellschaften ohne formale politische Institutionen oder konstituierte Autorität. Erst vor etwa 6000 Jahren um die Zeit der so genannten Anfänge der Zivilisation, begannen die ersten Gesellschaften mit formalen Strukturen Gestalt anzunehmen. Hierarchie, Führungs- und Gehorsams-Ideologien begannen sich in einigen Regionen durchzusetzen. Zunächst waren diese hierarchischen Gesellschaften relativ selten und isoliert in erster Linie auf den nahen Osten des heutigen Asiens und später auch auf den Mittleren Osten beschränkt. Langsam stiegen sie an Größe und an Einfluss, manchmal eroberten sie die umliegenden weiterhin anarchischen Stammesgesellschaften, in denen die meisten Menschen weiterlebten, womit diese dann der Herrschaft eines Staates unterworfen wurden, meist geschah dies in Form der Sklaverei. Manchmal unabhängig davon als Reaktion des Drucks von außen, entwickelten andere Stammesgesellschaften auch hierarchische Erscheinungsformen, soziale und politische Organisation. Dennoch, bis zur Ära der europäischen Kolonisation, blieb ein Großteil des Planeten weltweit im Wesentlichen anarchisch organisiert, mit den unterschiedlichsten Kulturen der Menschen in den verschiedensten Teilen der Welt, weiterhin ohne formale Institutionen der Regierung teilweise für einige Regionen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein. Erst im 20. Jahrhundert, als der Globus endgültig zwischen den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde, umfasste das staatliche Modell politischer Organisation die gesamte Erde. Die ersten Staaten bildeten sich bereits im vierten Jahrtausend vor Christus. Über diese vorgeschichtliche Entstehung der ersten einheitlich verfassten politischen Gemeinwesen gibt es verschiedene historische Theorien, die oft mit der Legitimation einer aktuellen Staatsform verbunden sind.

    Heutzutage, in der nahezu vollständig verstaatlichten Welt, können neue Staaten vor allem auf drei Arten entstehen:

    • Aus einem Staat kann durch Sezession eines Teils von ihm ein neuer Staat entstehen.
    • Bei einer Dismembration zerfällt ein Staat und geht unter, es bilden sich Neustaaten.
    • Umgekehrt können sich durch Fusion (z. B. bei einer Neugliederung des Bundesgebietes) zwei oder mehrere Staaten zu einem neuen vereinigen; häufiger kommt es allerdings zum Beitritt zu einem bestehenden Staatsverband und schließlich zur Eingliederung des betroffenen Territoriums in die neue Staats- und Verfassungsordnung des Inkorporanten:<ref>Oliver Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 120), Duncker & Humblot, Berlin 1995, S. 42 f. m.w.N.</ref><ref>Zu den zwei Alternativen bei der Vereinigung zweier Staaten siehe Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge: Zugleich ein Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen völkerrechtlicher Kodifikation (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht; Bd. 141), Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2000, Kap. 3.IV.1, S. 114 f.; zur Dismembration s. S. 67 sowie Kap. 1.C.I, 303 ff.</ref> Auch die deutsche Wiedervereinigung führte zu keiner Staatsneugründung, sondern das Beitrittsgebiet wurde in die weiterbestehende Bundesrepublik inkorporiert.

    Zur Vereinigung im Sinne einer Inkorporation siehe auch: Annexion

    Staatsformen

    Hauptartikel: Politisches System

    In der modernen Politikwissenschaft wird unterschieden zwischen Staatsformen, Herrschaftsformen und Regierungssystemen; eine Unterscheidung, die in der Antike noch unüblich war. In der Antike wurden Staatsformen und Herrschaftsformen synonym verwendet. Die bekannteste Einteilung stammt von Aristoteles und ordnet die sechs Herrschaftsformen in gute und schlechte Formen der Herrschaftsausübung: Die guten Formen sind Monarchie, Aristokratie und Politie, die entarteten Formen sind Tyrannis, Oligarchie und Demokratie. Cicero ließ nur die drei positiven Herrschaftsformen (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) als res publica gelten (Cicero zählt die Demokratie zu den guten Herrschaftsformen).

    Seit dem 20. Jahrhundert werden in der Politikwissenschaft Herrschaftsformen und Staatsformen getrennt betrachtet und dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Es sind zwei grundlegende Staatsformen zu unterscheiden: Monarchie und Republik. Die Staatsform gibt den verfassungsgemäßen Aufbau eines Staates an – also den De-jure-Zustand. Wie genau der Staat tatsächlich regiert wird, ist jedoch von der jeweiligen Herrschaftsform abhängig (De-facto-Zustand). So werden viele Monarchien demokratisch regiert, wohingegen in einer Republik die Herrschaft nicht zwingend vom Volke ausgehen muss. Um die politische Ordnung eines Staates charakterisieren zu können sind folglich beide Begriffe nötig.

    Die in der Europäischen Union und Nordamerika vorherrschende Herrschaftsform ist durch Parlamentarismus und repräsentative Demokratie geprägt (→ Staatsmodell).

    Soziologie

    Ferdinand Tönnies ordnet in Gemeinschaft und Gesellschaft den Staat in der politischen Sphäre der „Gesellschaft“ zu.<ref>1887, Buch 3, § 29; im Kontrast dazu ist bei Tönnies der politischen Sphäre der „Gemeinschaft“ etwa die Polis zuzuordnen.</ref> Max Weber folgt dem, indem er in seiner Herrschaftssoziologie „Staat“ als eine menschliche Gemeinschaft definiert, deren Verwaltungsstab innerhalb eines bestimmten Territoriums erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges (also das Gewaltmonopol) für die Durchführung der Ordnungen beansprucht.<ref>Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. 1, § 17.</ref> Für den modernen Staat sind nach Weber Territorialität, Gewaltmonopol, Fachbeamtentum und bürokratische Herrschaft kennzeichnend. Dem Anspruch nach hat sich diese Form politischer Herrschaft spätestens seit der Epoche des Kolonialismus global verbreitet.<ref>Vgl. Schlichte 2005.</ref>

    Der soziologischen Staatsidee Franz Oppenheimers folgend ist der Staat seinem Wesen und Ursprung nach eine Einrichtung, „die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern.“<ref>Der Staat von Franz Oppenheimer. Entsprechend bereits Ludwig Gumplovicz, Die soziologische Staatsidee, Graz 1892.</ref>

    Als System verwendet Niklas Luhmann den Begriff „Staat“ nur in Anführungszeichen.<ref>Niklas Luhmann: Macht, 1975, ISBN 978-3-8252-2377-9.</ref> Luhmann definiert den Begriff als eine semantische Einrichtung: Der Staat sei kein politisches System, sondern die Organisation eines politischen Systems zur Selbstbeschreibung dieses politischen Systems.<ref>Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, 2000, ISBN 978-3-518-58290-9.</ref>

    Ökonomie

    Als Staat bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre jedes hoheitlich tätige Wirtschaftssubjekt, beispielsweise eine Regierung, eine Verwaltung sowie teilweise eine Institution sui generis. Der Staat wird als Summe aller Zwangsverbände betrachtet. Staatliches Handeln im volkswirtschaftlichen Sinn umfasst demnach die Tätigkeit aller politischer Ebenen (d. h. kommunaler, regionaler und bundesstaatlicher Einrichtungen).

    Der Staat wird als wirtschaftlich agierendes Subjekt unter dem Aspekt seiner Rolle und Bedeutung für eine Volkswirtschaft betrachtet. Die Volkswirtschaftslehre sieht den Staat als zentralen Träger der Wirtschaftspolitik an. Über Ordnungspolitik, Strukturpolitik und Prozesspolitik soll er die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems sicherstellen.

    In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist der Staat ein Element des Wirtschaftskreislaufs. Er greift mittels monetärer Transaktionen in Marktabläufe ein:

    Die Fiskalpolitik legt fest, wie viel Geld für welche Positionen eingenommen und ausgegeben wird; ihre Entscheidungen beeinflussen unter anderem den Haushaltsplan, die Staatsverschuldung und das Wirtschaftswachstum. Die Betrachtung des Staates als Wirtschaftssubjekt bezieht sich nur auf von einer Regierung direkt oder indirekt kontrollierte Einrichtungen. Demnach gehören unabhängige Zentralbanken nicht dazu. Unklar ist die Abgrenzung zwischen Staats- und Unternehmenssektor; allgemein werden beispielsweise Staatsunternehmen, die einer Gewinnerzielungsabsicht unterliegen, dem Unternehmenssektor zugerechnet. Liegt keine Gewinnerzielungsabsicht vor, so wird eine betriebliche Tätigkeit zumeist dem Staatssektor zugerechnet.

    Zur Abgrenzung (bzw. Kongruenz) der Begriffe „Staat“ und „Gesellschaft“ siehe: Staat und Gesellschaft

    Völkerrecht

    Merkmale von Staaten

    Das klassische Völkerrecht kennt drei Merkmale des Staates:

    Diese Merkmale treffen in Bundesstaaten auch auf deren Teilstaaten zu, die allerdings nur Staatsrechtssubjekte, d. h. Staaten gemäß innerstaatlicher Rechtsordnung sind und deshalb nicht als Staaten im Sinne des Völkerrechts gelten. Beispiele für diese Gattung von Staaten sind die Länder der Bundesrepublik Deutschland oder der Republik Österreich, die Kantone der Schweiz oder die Staaten der USA.

    Die so genannte Drei-Elemente-Lehre wurde von dem Staats- und Völkerrechtler Georg Jellinek entwickelt. Sie gilt heute als allgemein anerkannt. Bei Erfüllung der drei Merkmale liegt ein Staat im Sinne des Völkerrechts und damit ein Völkerrechtssubjekt vor.

    Die Konvention von Montevideo benennt als zusätzliches Kriterium die Fähigkeit, mit anderen Staaten in Beziehungen zu treten. Diese Auffassung hat sich aber in der Völkerrechtswissenschaft nicht durchsetzen können und entspricht auch nicht der Staatenpraxis der Gegenwart. Der Anwendungsbereich dieses Kriteriums beschränkt sich tatsächlich auf einen Teilaspekt der Staatsgewalt, nämlich die Fähigkeit, nach außen selbstständig und rechtlich unabhängig nach Maßgabe des Völkerrechts zu handeln. Diese äußere Souveränität ist eine Eigenschaft der Staatsgewalt, nicht aber ein zusätzliches, viertes Staatsmerkmal.

    Anerkennung von Staaten

    Von der Staatsqualität zu unterscheiden ist die Anerkennung von Staaten. Eine solche Anerkennung hat nach der überwiegend vertretenen Auffassung in der Lehre und der Praxis eine rein deklaratorische Wirkung, das heißt, sie ist für die Eigenschaft des anerkannten Staates, ein Staat zu sein, nicht konstitutiv. Allerdings kommt der Anerkennung rein faktisch eine starke Indizwirkung zu, durch die auf die völkerrechtliche Existenz als Staat geschlossen werden kann, wobei auf die Völkerrechtssubjektivität und nicht allein „auf Staatlichkeit“ abgestellt wird. Nach der konstitutiven Lehre ist die Anerkennung durch Drittstaaten ein konstituierendes Element der Staatlichkeit.

    Von der Anerkennung von Staaten wiederum zu unterscheiden ist die Anerkennung von Regierungen. Diese bedeutet die Feststellung, dass ein bestimmtes Regime rechtmäßiger Inhaber der Staatsgewalt eines Staates ist. Da die Anerkennung einer Regierung begrifflich bereits die Anerkennung des jeweiligen Staates voraussetzt, kommt ihr nur bei einer Verweigerung der formellen Anerkennung eigenständige Bedeutung zu. Dies betrifft insbesondere Fälle der Machtübernahme einer nicht (demokratisch) legitimierten Regierung – was auch ursächlich für ein sogenanntes stabilisiertes De-facto-Regime sein kann, also „Herrschaftsverbände, die sich für längere Zeit auf einem bestimmten Gebiet behaupten und dieses unter Ausschluß anderer Mächte effektiv beherrschen“<ref>Schweisfurth, Völkerrecht, Kap. 1 § 7.II Rn 119.</ref> – z. B. infolge eines Militärputsches.

    Feststellen lässt sich, dass bei der Anerkennung von Staaten immer öfter politische Kriterien eine wichtige Rolle spielen. Dies hat insbesondere die Anerkennung der Republik Kosovo gezeigt. Beobachten lässt sich zudem, dass Staaten zunehmend nur dann international anerkannt werden, wenn sie elementare Standards beachten, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Dazu gehört zum Beispiel eine demokratische Verfasstheit. Vergleichbare Beobachtungen lassen sich außerdem hinsichtlich der Anerkennung von Regierungen machen.<ref>Frithjof Ehm, Demokratie und die Anerkennung von Staaten und Regierungen, Archiv des Völkerrechts Bd. 49 (2011), S. 64–86.</ref>

    Bernd Loudwin schrieb 1983, auf zwei Quellen verweisend: „Ebenso wie die Tobar-Doktrin, die sich nicht durchgesetzt hat, blieb die Estrada-Doktrin [Anm.: von 1930] im wesentlichen auf eine historisch-politische Rolle beschränkt.“<ref>Bernd Loudwin: Die konkludente Anerkennung im Völkerrecht. Duncker & Humblot, Berlin 1983, ISBN 978-3-428-45338-2, S. 58 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>

    Staatennachfolge

    Hauptartikel: Nachfolgestaat

    Das Recht der Staatennachfolge regelt die Frage, wann und in welchem Umfang neue Staaten in die rechtlichen Positionen ihrer Vorgängerstaaten eintreten. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr dieser Rechtskomplex im Zuge der Auflösung der Sowjetunion und Jugoslawiens. Die Staatennachfolge wird ganz überwiegend nach Völkergewohnheitsrecht geregelt. Zwar sind mit der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge<ref>Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge (PDF; 416 kB)</ref> vom 23. August 1978 sowie der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten<ref>Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten (PDF; 309 kB)</ref> vom 8. April 1983 jeweils entsprechende völkerrechtliche Verträge geschlossen worden, doch ist erstgenannter Vertrag aufgrund der niedrigen Zahl seiner Vertragsstaaten von nur geringer praktischer Bedeutung und ist letztgenannter Vertrag in Ermangelung einer ausreichenden Zahl von Ratifikationen bislang nicht in Kraft getreten.

    Deutschland

    Die Frage nach der Staatennachfolge stellt sich allerdings nur dann, wenn ein Staat die völkerrechtliche Identität seines Vorgängerstaates nicht fortsetzt, sondern ein neues Subjekt des Völkerrechts darstellt. Bei einer Identität mit dem jeweiligen Vorgängerstaat handelt es sich sprachlich also gar nicht um einen Vorgängerstaat, sondern um denselben Staat. So ist z. B. nach heute ganz herrschender Auffassung die Bundesrepublik Deutschland subjektidentisch mit dem 1945 besiegten Deutschen Reich.<ref>Siehe auch Schweisfurth, Völkerrecht, S. 336 f., Rn 213.</ref> Als Folge besteht die Bindung an die bis 1945 eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands fort und muss nicht erneuert werden.

    Laut dem Bundesverfassungsgericht wurde „mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland […] nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert.“<ref>Urteil vom 31. Juli 1973, Az. 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, S. 1 ff.</ref>

    Russland und die Sowjetunion

    Die Russische Föderation (Rossijskaja Federatsija) ist als Völkerrechtssubjekt nicht Rechtsnachfolger der Sowjetunion, sondern ihr „Fortsetzerstaat“; am 8. Dezember 1991 unterzeichneten bei Brest die sich mittlerweile zu von der Sowjetunion unabhängigen Staaten erklärten Republiken der Ukraine und Weißrusslands sowie Russland ein „Abkommen über die Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS; russ.: Sodružestvo Nezavisimych Gosudarstv). Zwar heißt es in der Präambel des GUS-Gründungsabkommens, dass „die UdSSR als Völkerrechtssubjekt und als geopolitische Realität ihre Existenz beendet“ habe,<ref>Nach Theodor Schweisfurth, Das Recht der Staatensukzession; Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Band 35. Heidelberg 1995, S. 58.</ref> aber dennoch ist auf die Russische Föderation nach der Auflösung der Union deren „Verbindungsfaden mit der Außenwelt übergegangen“.<ref>Zitiert n. russ. Außenminister Kosyrew im Januar 1992; vgl. auch Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge: Zugleich ein Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen völkerrechtlicher Kodifikation, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Springer, 2000, ISBN 3-540-66140-9, S. 91 Fn 325.</ref> Die Russische SFSR hatte zuvor – anders als die übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken – ihrerseits keine Unabhängigkeitserklärung abgegeben.<ref>So etwa Antonowicz, Disintegretation of the USSR, S. 9; Bothe/Schmidt, Questions de succession, S. 824.</ref>

    Auf der GUS-Konferenz in der damaligen kasachischen Hauptstadt Alma-Ata hieß es in einer Deklaration von elf Nachfolgestaaten (acht weitere Staaten wurden mittlerweile über das Protokoll als „Gründungsmitglieder“ in die Gemeinschaft aufgenommen), dass „mit der Schaffung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten […] die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ihre Existenz beendet“ habe. Am 22. Dezember 1991 verständigte man sich mit dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow, den nunmehr zum Torso gewordenen Sowjetstaat endgültig aufzulösen. Nun hatten bereits sämtliche Unionsrepubliken außer die RSFSR im Rahmen des Augustputsches von 1991 explizit ihre Unabhängigkeit vom Zentralstaat erklärt. Die neugegründete Russische Föderation übernahm die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten gegenüber der übrigen Welt. So hieß es in der „Zirkularnote“ des russischen Außenministeriums am 13. Januar 1992, die allen diplomatischen Vertretungen in Moskau zugestellt wurde, dass die Russische Föderation ihrerseits alle Rechte und Pflichten, die durch die Sowjetregierung geschlossenen Verträge entstanden, übernehmen werde. („[…] Die Russische Föderation setzt die Ausübung der Rechte und Erfüllung der Pflichten aus den von der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken geschlossenen Verträge fort. Demzufolge wird die Regierung der Russischen Föderation anstelle der Regierung der UdSSR die Funktion des Verwahrers für die entsprechenden mehrseitigen Verträge wahrnehmen. […]“<ref name="schw65">Schweisfurth, S. 65.</ref>)

    Russland ist somit das auf föderativer Basis neuorganisierte Völkerrechtssubjekt und als Staat identisch mit der damaligen RSFSR. Diese neue Basis war folgerichtig nach dem Ende der Sowjetunion Gegenstand von Verhandlungen zwischen Moskau und den einzelnen Republiken.<ref>Claudia Willershausen, Zerfall der Sowjetunion: Staatennachfolge oder Identität der Russländischen Föderation, Kovač, Hamburg 2002.</ref> Der Schritt erfolgte einseitig und ohne Rücksprache mit den anderen Staaten der GUS. So wurde dann auf dem GUS-Treffen am 20. März 1992 in Kiew per Beschluss klargestellt, „dass alle Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Rechtsnachfolger in Rechten und Pflichten der ehemaligen UdSSR sind“.<ref name="schw65" /> Der Eintritt der übrigen ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken z. B. in das Vermögen der UdSSR musste jeweils gesondert geregelt werden, in der Regel durch Vertrag mit der Russischen Föderation und betroffenen Drittstaaten.

    Anzahl

    Insgesamt gibt es 194 vollständig (von der UNO bzw. den UN-Mitgliedern) anerkannte souveräne Staaten, siehe Liste der Staaten der Erde. Darunter fallen die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sowie der Vatikanstaat. Dem Heiligen Stuhl (nicht dem Staat der Vatikanstadt)<ref>Im Rechtsverhältnis zwischen Vatikanstadt und Hl. Stuhl nimmt erstere eine akzessorische, dienende Rolle ein (d. h. sie ist dessen Autorität unterstellt) und hat ihren Zweck darin, die Unabhängigkeit des Hl. Stuhls zu sichern (und zugleich die Souveränität des Papstes sichtbar zu machen), während dieser die Vatikanstadt nach außen vertritt (siehe statt aller Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Band I/2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 320 f.). Der Hl. Stuhl selbst kann nicht UN-Mitglied werden, da er keine Staatsqualität hat.</ref> und dem Staat Palästina gewährt die UN-Generalversammlung einen Beobachterstatus.

    Weitere Staaten werden nicht von den Vereinten Nationen anerkannt, jedoch von einer Minderheit der weltweiten Staaten (→ Liste der von den Vereinten Nationen nicht als selbstständige Staaten anerkannten Gebiete):

    Im Fall Palästina wurde zwar durch eine Mehrheit von 136 der weltweit anerkannten Staaten den palästinensischen Gebieten die staatliche Unabhängigkeit zuerkannt, aber eine Aufnahme in die Vereinten Nationen bleibt vorerst verwehrt.

    Augustinus’ Staatsbegriff

    Der bedeutende Kirchenlehrer und Philosoph Augustinus (354–430) hat Staaten, zumindest wenn es ihnen an Gerechtigkeit ermangelt, mit Räuber­banden verglichen:

    „Was anderes sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anderes als kleine Reiche. Auch da ist eine Schar von Menschen, die unter Befehl eines Anführers steht, sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt und nach fester Übereinkunft die Beute teilt. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, dass Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne weiteres den Namen Reich an, den ihm offenkundig nicht etwa geschwundene Habgier, sondern erlangte Straflosigkeit verleiht.“<ref>Augustinus, De civitate dei IV 1</ref>

    Siehe auch

    Literatur

    •  Daron Acemoğlu, James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013 (Originaltitel: Why Nations Fail, übersetzt von Bernd Rullkötter), ISBN 978-3-10-000546-5.
    • Arthur Benz: Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse. Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-23636-9.
    • Gotthard Breit, Peter Massing (Hrsg.): Der Staat. Ideengeschichtliche Grundlagen, Wandel der Aufgaben, Stellung des Bürgers. Eine Einführung. Wochenschau, Schwalbach 2003, ISBN 3-89974-072-6.
    • Stefan Breuer: Der Staat. Entstehung, Typen und Organisationsstadien, Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-55593-X.
    • Stefan Breuer: Der charismatische Staat. Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft. WBG, Darmstadt 2014, ISBN 3-534-26459-2.
    • Pierre Clastres: La Société contre l’État. Minuit, 1974; dt. Staatsfeinde: Studien zur politischen Anthropologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976. (zur Entstehung des Staates)
    • James R. Crawford: The Creation of States in International Law. 2. Auflage, Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 0-19-826002-4.
    • S. E. Finer: The History of Government from the Earliest Times. 3. Bde., Oxford University Press, Oxford 1999, ISBN 0-19-820802-2.
    • Ernst Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft. 2. Auflage, C.H. Beck, München 1971.
    • Michael Gal: Der Staat in historischer Sicht. Zum Problem der Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht. Bd. 54 (2015) Heft 2, S. 241–266 (online).
    • Karl Held (Hrsg.): Der bürgerliche Staat. GegenStandpunkt, München 1999, ISBN 3-929211-03-3 (Link).
    • Daniel Hildebrand: Rationalisierung durch Kollektivierung. Die Überwindung des Gefangenendilemmas als Code moderner Staatlichkeit. Duncker & Humblot, Berlin 2011.
    • Helmut Kuhn: Der Staat. Eine philosophische Darstellung. Kösel, München 1967.
    • Michael Metzeltin, Thomas Wallmann: Wege zur Europäischen Identität. Individuelle, nationalstaatliche und supranationale Identitätskonstrukte. Berlin, Frank & Timme, 2010, ISBN 978-3-86596-297-3.
    • Ernst Meyer: Einführung in die antike Staatskunde. 6. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992.
    • Axel Montenbruck: Zivilisation. Eine Rechtsanthropologie. Staat und Mensch, Gewalt und Recht, Kultur und Natur, 2. Auflage 2010, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (PDF).
    • Robert Chr. van Ooyen: Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie. Berlin 2003.
    • Franz Oppenheimer: Der Staat. Neudruck der 3. überarbeiteten Auflage von 1929, Libertad, Berlin 1990 (Link).
    • Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Beck, München 2002, ISBN 3-406-45310-4.
    • Murray N. Rothbard: The Anatomy of the State (PDF; 124 kB).
    • Bernd Marquardt: Universalgeschichte des Staates. Von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft. Lit Verlag, Münster 2009, ISBN 3-643-90004-X.
    • Klaus Schlichte: Der Staat in der Weltgesellschaft. Politische Herrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika. Campus, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37881-7.
    • Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. 7. Auflage, Duncker & Humblot, Berlin 2002, ISBN 3-428-08725-9.
    • Gunnar Folke Schuppert: Verflochtene Staatlichkeit. Globalisierung als Governance-Geschichte. Campus, Frankfurt am Main 2014, ISBN 3-593-50180-5.
    • Stefan Talmon: Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten. Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern. Mohr Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 3-16-147981-5.
    • Hans-Peter Waldrich: Der Staat. Das deutsche Staatsdenken seit dem 18. Jahrhundert. Olzog, München 1973, ISBN 3-7892-7063-6.
    • Weltbank (Hrsg.): Weltentwicklungsbericht 1997. Der Staat in einer sich ändernden Welt. Washington, D.C. 1997, ISBN 0-8213-3772-6.

    Weblinks

    Wiktionary Wiktionary: Staat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
    Wikiquote  Wikiquote: Staat – Zitate

    Anmerkungen

    <references />