Kommission Barroso II


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Als Kommission Barroso II wird die Europäische Kommission unter dem Präsidenten José Manuel Barroso bezeichnet, die am 10. Februar 2010 die Arbeit aufnahm. Sie war die erste Kommission, die nach den Regelungen des Vertrags von Lissabon zustande kam und folgte der Kommission Barroso I nach, die nach der Europawahl 2004 im Amt war. Der Kommission Barroso II gehörten 28 Mitglieder, jeweils eines aus jedem der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, an.

Am 1. November 2014 wurde sie von der Kommission Juncker abgelöst.

Mitglieder der Kommission

Die folgende Tabelle führt die Mitglieder der Kommission auf. Sieben Kommissionsmitglieder hatten den Rang als Vizepräsidenten; sie vertraten den Kommissionspräsidenten bei Abwesenheit in einer bestimmten Reihenfolge, die in Klammern angegeben ist.<ref>EurActiv, 27. November 2009: Barroso nominiert offiziell seine Kommissare.</ref>

Die Farben zeigen die Zugehörigkeit zu den europäischen Parteien (EVP, SPE und ELDR) an.

Ressort Kommissar/-in Mitgliedstaat nationale Partei europäische Partei Bild
Präsident Barroso, José Manuel José Manuel Barroso PortugalPortugal Portugal PSD EVP
Vizepräsidentin (1), Außen- und Sicherheitspolitik Ashton, Catherine Catherine Ashton Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich Labour SPE
Vizepräsidentin (5), Digitale Agenda Kroes, Neelie Neelie Kroes NiederlandeNiederlande Niederlande VVD ELDR
Vizepräsident (7), Institutionelle Beziehungen und Verwaltung Šefčovič, Maroš Maroš Šefčovič SlowakeiSlowakei Slowakei SMER nahestehend SPE nahestehend
Vizepräsidentin (2), Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft Reding, Viviane Viviane Reding LuxemburgLuxemburg Luxemburg CSV EVP
Vizepräsident (6), Unternehmen und Industrie Tajani, Antonio Antonio Tajani ItalienItalien Italien PdL EVP
Vizepräsident (4), Verkehr Kallas, Siim Siim Kallas EstlandEstland Estland ERP ELDR
Vizepräsident (3), Wettbewerb Almunia, Joaquín Joaquín Almunia SpanienSpanien Spanien PSOE SPE
Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit Andor, László László Andor UngarnUngarn Ungarn MSZP SPE
Bildung, Kultur und Jugend, Mehrsprachigkeit Vassiliou, Androulla Androulla Vassiliou Zypern RepublikRepublik Zypern Zypern EDI ELDR
Binnenmarkt und Dienstleistungen Barnier, Michel Michel Barnier FrankreichFrankreich Frankreich UMP EVP
Energie Oettinger, Günther Günther Oettinger DeutschlandDeutschland Deutschland CDU EVP
Entwicklung Piebalgs, Andris Andris Piebalgs LettlandLettland Lettland LC ELDR
Erweiterung und europäische Nachbarschaftspolitik Füle, Štefan Štefan Füle TschechienTschechien Tschechien CSSD nahestehend SPE nahestehend
Finanzplanung und Haushalt Lewandowski, Janusz Janusz Lewandowski PolenPolen Polen PO EVP
Fischerei und maritime Angelegenheiten Damanaki, Maria Maria Damanaki GriechenlandGriechenland Griechenland PASOK SPE
Forschung und Innovation Geoghegan-Quinn, Máire Máire Geoghegan-Quinn IrlandIrland Irland FF ELDR
Gesundheit Borg, Tonio Tonio Borg MaltaMalta Malta PN EVP
Handel De Gucht, Karel Karel De Gucht BelgienBelgien Belgien Open VLD ELDR
Humanitäre Hilfe und Krisenschutz Georgiewa, Kristalina Kristalina Georgiewa BulgarienBulgarien Bulgarien GERB nahestehend EVP nahestehend
Inneres Malmström, Cecilia Cecilia Malmström SchwedenSchweden Schweden FL ELDR
Klimaschutz Hedegaard, Connie Connie Hedegaard DanemarkDänemark Dänemark KF EVP
Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Cioloș, Dacian Dacian Cioloș RumänienRumänien Rumänien parteilos EVP nahestehend
Regionalpolitik Hahn, Johannes Johannes Hahn OsterreichÖsterreich Österreich ÖVP EVP
Steuern, Zollunion und Betrugsbekämpfung Šemeta, Algirdas Algirdas Šemeta LitauenLitauen Litauen TS-LKD nahestehend EVP nahestehend
Umwelt Potočnik, Janez Janez Potočnik SlowenienSlowenien Slowenien LDS nahestehend ELDR nahestehend
Verbraucherschutz Mimica, Neven Neven Mimica KroatienKroatien Kroatien SDP SPE
Wirtschaft und Währung Rehn, Olli Olli Rehn (bis Juni 2014) FinnlandFinnland Finnland Keskusta ELDR
Katainen, Jyrki Jyrki Katainen (seit Juni 2014) FinnlandFinnland Finnland Kokoomus EVP

Wahl der Kommission

Wiederwahl Barrosos

Obwohl im Vorfeld der Europawahl 2009 eine Kampagne unter anderem der Europäischen Bewegung und der Union Europäischer Föderalisten darauf gedrängt hatte, schon im Wahlkampf verschiedene Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zur Debatte zu stellen,<ref>Vgl. die Homepage der Kampagne.</ref> nominierten die europäischen Parteien keine eigenen Kandidaten: Die Europäische Volkspartei (EVP) empfahl eine zweite Amtszeit von José Manuel Barroso, während die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) sich auf ihrem Parteiratstreffen Anfang Dezember 2008 nicht auf einen Gegenkandidaten einigen konnte.<ref>EurActiv, 3. Dezember 2008: Kein sozialdemokratischer Kandidat für Kommissionspräsidentschaft?.</ref> Obwohl über eine Kandidatur des SPE-Parteichefs Poul Nyrup Rasmussen diskutiert wurde, scheiterte sie letztlich an der Weigerung der britischen, spanischen und portugiesischen Sozialisten. Diese stellten in ihren jeweiligen Heimatländern die Regierung und waren dadurch auch an der Kandidatenauswahl im Europäischen Rat beteiligt. Hinzu kam, dass die spanischen und portugiesischen Sozialisten einer zweiten Amtszeit des Portugiesen Barroso wohl auch wegen dessen nationaler Herkunft positiv gegenüberstanden.

Erst nach der Wahl kündigte der Vorsitzende der SPE-Fraktion S&D, Martin Schulz, an, eine erneute Amtszeit Barrosos abzulehnen. Stattdessen würden die Sozialdemokraten eine mögliche Kandidatur des liberalen ehemaligen belgischen Premierministers Guy Verhofstadt unterstützen. Auch aus der Europäischen Grünen Partei sowie der liberalen Europaparlamentsfraktion ALDE wurde Barroso abgelehnt und Unterstützung für Verhofstadt geäußert.<ref>EurActiv, 10. Juni 2009: Unterstützung für Verhofstadt als Nachfolger Barrosos wächst.</ref> Verhofstadt selbst äußerte sich allerdings nicht dazu und übernahm stattdessen wenig später den ALDE-Fraktionsvorsitz.

Obwohl der Europäische Rat auf seinem Junigipfel kurz nach den Wahlen Barroso für eine erneute Kommissionspräsidentschaft nominierte, verschob das Parlament die Abstimmung über seine Bestätigung auf den September 2009.<ref>EurActiv, 17. Juli 2009: EU-Parlament legt Barrosos Bewerbung auf Eis.</ref> Nachdem Barroso während des Sommers in einem programmatischen Papier auf die Forderungen der liberalen und sozialdemokratischen Abgeordneten eingegangen war, wurde er schließlich am 16. September 2009 vom Parlament in geheimer Wahl mit 382 von 718 gültigen Stimmen wiedergewählt. Er hatte dabei die erklärte Unterstützung von EVP, ALDE und ECR sowie von den spanischen und portugiesischen Abgeordneten der S&D. Die Mehrzahl der S&D-Abgeordneten enthielt sich; Grüne/EFA, GUE/NGL und EFD stimmten mehrheitlich gegen Barroso.<ref>EurActiv, 16. September 2009: Barroso von Lissabon-Mehrheit gewählt.</ref>

Nominierung der weiteren Kommissionsmitglieder

Nach der Wiederwahl Barrosos stand die Nominierung der weiteren Kommissionsmitglieder an, die von den nationalen Regierungen im Europäischen Rat vorgeschlagen werden müssen. Unter der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft wurde beschlossen, die formelle Nominierung erst nach der Ratifikation des Vertrags von Lissabon durchzuführen, sodass die neue Kommission von Anfang an nach den neuen Regelungen zusammengesetzt sein würde. Im Herbst 2009 trafen nach und nach die Personalvorschläge der nationalen Regierungen ein. Da darunter zunächst fast nur Männer waren, rief Barroso die Regierungen ausdrücklich auf, auch Frauen zu nominieren. Letztlich wurden es neun Frauen, was der Zahl in der scheidenden Kommission Barroso I entspricht.<ref>EurActiv, 25. November 2009: Barroso II bekommt neun Frauen.</ref>

Am 19. November wurde auf einem Sondergipfel des Europäischen Rates die Britin Catherine Ashton (Labour Party) als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik nominiert.<ref>Süddeutsche Zeitung, 19. November 2009: Sozialisten nominieren Ashton.</ref> Die SPE, als zweitgrößte Gruppe im Parlament, hatte für dieses Amt eine Sozialdemokratin gefordert, während im Gegenzug das EVP-Mitglied Herman Van Rompuy zum Präsidenten des Europäischen Rates ernannt wurde.

Am 27. November, nachdem auch die letzten Regierungen ihre Vorschläge gemacht hatten, stellte Barroso die Verteilung der Politikressorts vor.<ref>European Voice, 27. November 2009: Liberals get influential portfolios in Barroso II.</ref> Diese Aufteilung ist allein dem Kommissionspräsidenten überlassen, auch wenn teilweise nationale Regierungen Präferenzen für das Ressort des Kommissars aus ihrem jeweiligen Land geäußert hatten und informelle Vorabsprachen stattfanden. Die Politikbereiche wurden von Barroso teilweise neu zugeschnitten; so wurde das Ressort für Justiz, Freiheit und Sicherheit in ein Justiz- und ein Innenpolitik-Ressort aufgeteilt; aus dem Bereich Entwicklung und humanitäre Hilfe wurde ein neues Ressort Humanitäre Hilfe und Krisenschutz ausgegliedert. Neu geschaffen wurde das Ressort für Klimaschutz. Dagegen wurde das 2007 neu geschaffene Ressort Mehrsprachigkeit wieder mit dem Bildungsressort zusammengelegt, auch die vorigen Ressorts Verbraucherschutz und Gesundheit wurden zusammengeführt. Das Ressort Steuern und Zollunion wurde um die Bereiche Audit und Betrugsbekämpfung erweitert; das Verwaltungsressort, dem diese Bereiche bisher zugerechnet waren, wurde in das Ressort für Institutionelle Beziehungen eingegliedert. Für den Bereich Kommunikationsstrategie, zuvor Teil des Ressorts Institutionelle Beziehungen, ist kein Kommissar mehr ausdrücklich zuständig. Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde vom Ressort für Außenbeziehungen (das nun von der Hohen Vertreterin übernommen wurde) ins Ressort Erweiterung verlagert. Das Ressort Informationsgesellschaft und Medien wurde in „Digitale Agenda“ umbenannt. Elf der Kommissare der Kommission Barroso II hatten zuvor bereits der Kommission Barroso I angehört, allerdings wechselten alle davon die Ressorts.

Alle nominierten Kommissionsmitglieder entstammten entweder der Europäischen Volkspartei (EVP), der Europäischen Liberalen, Demokratischen und Reformpartei (ELDR) oder der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) bzw. diesen nahestehenden Parteien (12 Kommissare der EVP, 9 der ELDR und 6 der SPE). Während in der Kommission Barroso I die politische Herkunft der Kommissare im politischen Alltag kaum eine Rolle spielte, kündigten die europäischen Parteien und deren Fraktionen im Europäischen Parlament vor der Ernennung der Kommission Barroso II eine engere Zusammenarbeit mit den Kommissaren ihrer jeweiligen politischen Richtung an. Die Kommission sollte dadurch stärker den Charakter einer Drei-Parteien-Koalition als einer Expertengruppe erhalten.<ref>EurActiv, 11. Dezember 2009: EU-Regierungschefs gestalten Kommission als ‚Koalitionsregierung’.</ref>

Konflikt um die Zustimmung des Europäischen Parlaments

Vor ihrer Ernennung müssen die nominierten Kommissare vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Hierfür wurden die nominierten Kommissionsmitglieder vom 11. bis 19. Januar 2010 von den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlament befragt.<ref>EurActiv, 8. Januar 2010: Steigende Anspannung vor EU-'Bewerbungsgesprächen'.</ref><ref>Informationen zu den Anhörungen auf der Homepage des Europäischen Parlaments.</ref> Dabei wurde an mehreren Kandidaten Kritik wegen mangelnder inhaltlicher Kompetenz geäußert.<ref>Deutsche Welle, 13. Januar 2010: Machtspiele und Kompetenzfragen.</ref> Für die für das Ressort Digitale Agenda vorgeschlagene Neelie Kroes (ELDR) wurde deshalb noch eine zweite Anhörung angesetzt.<ref>Focus, 1. Januar 2010: Anhörungen fortgesetzt: Kroes muss „nachsitzen“.</ref> Die nominierte Kommissarin für humanitäre Hilfe, die Bulgarin Rumjana Schelewa (EVP), die nicht nur wegen Kompetenzmangel, sondern auch wegen angeblich falscher Angaben über ihre Nebenverdienste während eines früheren Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments kritisiert wurde, kündigte am 19. Januar 2010 ihren Verzicht auf das Amt an.<ref>Die Zeit, 19. Januar 2010: Barrosos Kandidatin Schelewa gibt auf.</ref> An ihrer Stelle wurde von der bulgarischen Regierung Kristalina Georgiewa neu vorgeschlagen,<ref>Amtsblatt der Europäischen Union (2010) Nr. L20, S. 5-6</ref> die bei ihrer Anhörung im Parlament auf Zustimmung stieß.<ref>EurActiv, 4. Februar 2010: Glanzleistung von bulgarischer EU-Anwärterin beeindruckt Parlament.</ref>

Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion S&D, Martin Schulz, kündigte zudem an, das Parlament werde sein Zustimmungsvotum für die Kommission nur dann geben, wenn diese zuvor zusichere, dass sie während ihrer Amtszeit alle Gesetzesinitiativen des Parlaments aufgreifen werde.<ref>Handelsblatt, 18. Januar 2010: EU-Parlament fordert Initiativrecht.</ref> Das Initiativrecht für EU-Rechtsakte liegt formal ausschließlich bei der Kommission. Diese nahm Vorschläge des Parlaments auch zuvor meistens, aber nicht in jedem Fall an.

Am 9. Februar 2010 wurde die Kommission schließlich mit 488 zu 137 Stimmen bei 72 Enthaltungen bestätigt. Mehrheitlich für die Kommission stimmten EVP, S&D und ALDE, mehrheitlich dagegen waren GUE-NGL, Grüne/EFA und EFD. Die ECR enthielt sich.<ref>Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Februar 2010: Barroso: „Radikale Abwendung vom Status quo“.</ref><ref>Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Europäischen Parlaments bei der Wahl der Kommission auf VoteWatch.eu.</ref>

Veränderungen

Der finnische Kommissar Olli Rehn hat bei der Europawahl 2014 als Spitzenkandidat der Finnischen Zentrumspartei einen Sitz im Europäischen Parlament erlangt. Daher legte er am 25. Juni 2014 sein Kommissionsmandat nieder. Nachfolger als Kommissar für Wirtschaft und Währung wurde Jyrki Katainen.<ref>Reuters: Katainen ersetzt Rehn bis Herbst als EU-Währungskommissar, 25. Juni 2014, letzter Zugriff: 30. Juni 2014.</ref> Am 16. Juli 2014 wurden die neuen Übergangs-EU-Kommissare vom EU-Parlament mit großer Mehrheit demokratisch gewählt, im Vorfeld mussten diese sich einer Anhörung gegenüber den Parlamentariern stellen. Neben Jyrki Katainen, der Olli Rehn als EU-Wirtschafts- und Währungskommissar ersetzte, wurden Antonio Tajani durch Nelli Feroci, Viviane Reding durch Martine Reicherts und Janusz Lewandowski durch Jacek Dominik ersetzt. Günther Oettinger wurde bis zum Ende der Kommission Vizepräsident.<ref>Handelsblatt: [1], 16. Juli 2014.</ref>

Verbleib der EU-Kommissare

Nach dem die Kommission Barroso im November 2015 die Amtsgeschäfte an die Kommission Juncker übergeben hat, haben viele der EU-Kommissare andere Aufgabengebiete angenommen. In die Nachfolgekommission von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben sind mehrere Kommissare erneut tätig, so Günther Oettinger für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Cecilia Malmström als EU-Handelskommissarin, Kristalina Georgieva für Haushalt und Personal, Johannes Hahn für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, Maros Sefkovic für Energieunion und Neven Mimica für Entwicklung.

Weblinks

Einzelnachweise

<references />