Erste Kammer der Generalstaaten
Wappen | Gebäudeteil der Ersten Kammer |
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Logo | Gebäudeteil der Ersten Kammer |
Basisdaten | |
Sitz: | Binnenhof, Den Haag |
Legislaturperiode: | 4 Jahre |
Erste Sitzung: | 1815 |
Abgeordnete: | 75 |
Aktuelle Legislaturperiode | |
Letzte Wahl: | 26. Mai 2015 |
Vorsitz: | Ankie Broekers-Knol (VVD) |
Sitzverteilung: | |
Website | |
www.eerstekamer.nl |
Die Erste Kammer der Generalstaaten (niederländisch: Eerste Kamer der Staten-Generaal) ist die Erste Kammer des niederländischen Parlaments, der Generalstaaten. Ihr Sitz ist im Binnenhof in Den Haag. Häufig nennt man sie Senaat und ihre Mitglieder senatoren. Steht der Begriff Kamer allein, dann ist normalerweise die politisch wichtigere Zweite Kammer gemeint.
Beide Kammern wurden 1815 mit der Verfassung der Niederlande geschaffen, dabei wählten die reichen Bürger die Zweite Kammer, während der König die (adligen) Mitglieder der Ersten einsetzte. Seit der großen Staatsreform von 1848/1849 wählen die Provinzparlamente die Erste Kammer. Wahlbeschränkungen wie das Vorweisen einer hohen Steuerlast wurden um 1918 endgültig abgeschafft. Die Verfassung verlangt seitdem, dass beide Kammern durch Verhältniswahl zu wählen sind.
Seit 1956 sind es 75 Senatoren, und seit 1983 dauert ihre Wahlperiode vier Jahre. Gewählt werden sie am selben Tag von den Provinzparlamenten nach reichseinheitlichen Listen. Die Provinzparlamente selbst werden etwa zwei Monate davor, ebenfalls alle an einem Tag, vom Volk gewählt.
Grundsätzlich bedarf jedes Gesetz der Zustimmung in beiden Kammern. Allerdings kann nur die Zweite Kammer einen Entwurf mit Zusätzen versehen, der Senat kann ihn nur annehmen oder ablehnen. Neben der indirekten Wahl hat dies in der Praxis dazu geführt, dass die eigentliche Gesetzesarbeit in der Zweiten Kammer stattfindet und auch die Regierung de facto vom Vertrauen in der Zweiten Kammer abhängt.
Der Senat mit seinen Teilzeitpolitikern gilt traditionell als chambre de réflection, in der Gesetzentwürfe zum Schluss noch einmal auf technische Qualität und Ausführbarkeit geprüft werden. Ablehnungen eines Entwurfes sind selten. Seit Bestehen des Senats wurde, vor allem von der politischen Linken, seine Abschaffung diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
In den Burgundischen (Habsburger) Niederlanden kamen zuerst 1464 die Staten-Generaal zusammen, die Allgemeinen Stände. Dabei handelte es sich um Abgesandte der Stände in den einzelnen Provinzen. Es ging darum, Steuererhebungen schneller durchsetzen zu können. Nach der Teilung in Nordniederlande (die heutigen Niederlande) und Südniederlande (das heutige Belgien) nach 1568 waren nur noch die Generalstaaten des Nordens von Bedeutung. Gemeinschaftliche Angelegenheiten der Sieben Vereinigten Provinzen wurden von den Abgeordneten der Provinzen beraten, stets in Rücksprache mit der eigenen Provinz.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 25/26.</ref>
Im Süden gab es während der französischen Besetzung Ende des 18. Jahrhunderts das Zweikammersystem in Gestalt des Conseil des Cinq Cents und des Conseil des Anciens.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 26.</ref> Im Norden kam 1798 eine „batavische Verfassung“ zustande. Dabei sollte das Vertegenwoordigend Lichaam (Vertretende Körperschaft) zwei Kammern haben, eine Erste mit 64 Mitgliedern, um Gesetze einzubringen, und eine Zweite mit 30 Mitgliedern, um sie in Kraft zu setzen. Die Zweite wurde aus der Mitte der Ersten, also aus dem Gesamtparlament, gewählt. Im Oktober 1801 wurde aus dem Wetgevend Lichaam (Gesetzgebende Körperschaft) ein Einkammer-Parlament. Es hatte 35 Mitglieder und wenig Macht.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 13, 29.</ref>
Einführung des Zweikammersystems 1815
Nachdem Wilhelm von Oranien 1813 in die Niederlande zurückgekehrt war, erarbeitete der Jurist Gijsbert Karel van Hogendorp eine neue Verfassung. Die Hauptfrage bestand darin, wie der Adel in das politische System einzubeziehen sei. Eine Verfassungskommission befürwortete die Einrichtung einer einzigen Kammer; maximal ein Viertel der Abgeordneten sollten Adlige aus den Provinzen und Landschaften sein. Die Ernennung adliger Mitglieder auf Lebenszeit oder gar eine Erblichkeit stieß auf Widerstand. Die Verfassung vom März 1814 sah das Parlament, die Staten-Generaal, als mehrheitlich adlige Ständevertretung einem mächtigen König gegenüberstehen. Das Hinzukommen der südlichen Niederlande 1814 machte jedoch neue Beratungen nötig. Im Mai 1815 kam eine Kommission aus elf Nordniederländern und elf Südniederländern zusammen.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 30–33, 35.</ref>
Nicht nur, aber vor allem die Südniederländer (im Sinne des späteren Belgien) wollten ein Oberhaus für den Adel. Gerade im Süden gab es noch alten Adel. Wichtig waren auch die Vorbilder England und Frankreich mit ihren beiden Kammern.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 13, S. 34.</ref> Aus Sicht des Königs bedeutete das Oberhaus, dass seine Macht nicht einseitig durch das Volk, durch den südniederländischen Adel oder die früheren Regenten des Nordens bedroht wurde.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 34–36.</ref>
Die Unterkommission, die am 22. Mai 1815 eine zweite Kammer behandelte, befürwortete diese, nach ausländischem Vorbild, als ein Bollwerk um den Thron und gegen „alle willkürliche Ausdehnung der Macht“.<ref>Nach: Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 34–36.</ref> In der Zweiten Kammer saßen Gesandte der Provinciale Staten, der Provinzparlamente. Diese wiederum wurden indirekt nach Ständen zusammengestellt: Adel, Städte, ländliche Gebiete. Zwar konnte die Zweite Kammer Gesetze vorschlagen, doch waren Gesetze nur in begrenztem Maße für die Staatsleitung erforderlich. Der König regierte vor allem mit Verordnungen.<ref>Horst Lademacher: Geschiedenis van Nederland. Het Spectrum. Utrecht 1993, S. 269.</ref>
Adelskammer des Königs 1815–1849
In dieser ersten Periode, als der König die Senatoren ernannte, war die Gesamtzahl noch nicht festgelegt. 1815 kamen zwanzig Senatoren aus dem Süden, fast ausnahmsweise entstammten sie Adelsgeschlechtern. In den Österreichischen Niederlanden hatten ihre Väter meist zivile oder militärische Ämter bekleidet. Bei den Nordniederländern, 18 an der Zahl, waren nur wenige aus altem Adel, die meisten kamen aus dem Stand der alten städtischen oder landschaftlichen Regenten. Einige hatten Ämter in der batavischen und französischen Zeit gehabt. Im Kabinett, im Staatsrat und in der Zweiten Kammer war die Mischung aus den alten Eliten ähnlich.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 55/56.</ref>
Der Senat kam nicht sonderlich oft zusammen, 1820/1821 beispielsweise nur neunmal. Die Sitzungen waren nicht öffentlich, und die Mitgliedschaft einer der vielen Posten zur Belohnung „verdienter“ Niederländer. Der König erwartete von den Mitgliedern, dass sie ihn unterstützen, und wer davon abweichend abstimmte, wurde am Hof ignoriert.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 43.</ref> Das „Affenhaus des Königs“, wie Spötter es nannten, erfüllte seinen Zweck als Bollwerk des Königs eben nicht. Streit zwischen dem autokratischen König und den schwachen Staten-Generaal kam kaum auf.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 22/23.</ref>
Doch hatte die Erste Kammer gewissen Einfluss, vor allem durch das Blockieren von Gesetzesinitiativen. Bis 1830 gab es, in erster Linie aus dem Süden stammend, eine oppositionelle Minderheit. So wollte 1815 ein Entwurf regeln, wie die Staten-Generaal dem König Glückwünsche und Petitionen darzubieten habe. Die Zweite Kammer nahm den Entwurf mit 70 gegen 13 Stimmen an, der königstreue Senat legte sein Veto ein.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 46.</ref>
Jahrelang war die Neigung des Parlaments, die Verfassung zu reformieren, gering. Als König Wilhelm II. im Frühling 1848 von der Revolution in Deutschland hörte, berief er aus Angst vor einem Volksaufstand eine Kommission ein. Sie stellte unter dem Vorsitz des Liberalen Johan Rudolf Thorbecke radikale Veränderungen vor. Beide Kammern sollten direkt gewählt werden, und zwar alle drei Jahre jeweils ein Drittel neu. Für die Erste Kammer seien nur diejenigen Bürger wählbar, die am meisten Steuern zahlten. Die Vorschläge stießen auf Widerstand in den Kammern, doch ein Machtwort des Königs führte zur Verfassungsreform. Als Kompromiss zwischen Reformern und Konservativen wurde die Erste Kammer indirekt gewählt, und zwar von den Provinzparlamenten.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 24–27.</ref>
Kammer der Reichen 1849–1917
Nach 1848 mussten die Staatsorgane ihre neue Rolle finden, und es entstanden ungeschriebene Regeln für den Umgang miteinander. Der König war nun offiziell „unverletzlich“, die Minister übernahmen die politische Verantwortung für seine Handlungen. Die Zweite Kammer konnte einen Gesetzentwurf mit einem Zusatz (einem amendement) versehen und erhielt dadurch größeren Einfluss auf die Gesetzgebung.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 28/29.</ref>
Auch nach 1848 blieb die Erste Kammer ein Mittel des Königs gegen die Zweite Kammer. Beispielsweise stand beim Eisenbahngesetz 1860 der König auf der einen Seite und die Minister zusammen mit der Mehrheit der Zweiten Kammer auf der anderen. Der König wollte das Gesetz verhindern; dank des Einschreitens der Ersten Kammer musste er nicht die Unterschrift unter den Entwurf verweigern. So ging man einer Königskrise aus dem Weg. Der Senat erhielt so, urteilt de Vries, seine Position eines Bollwerks für den nun unverletzlichen König. Aus einem folgsamen Kollegium wurde ein durchaus politisches Organ.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 29–31.</ref>
Der Senat mit seinen 39 Mitgliedern tagte nur selten im Jahr, und zwar seit 1848 öffentlich. Es bildeten sich erste politische Gruppierungen, meist um eine Person wie Thorbecke. Sowohl bei den Wahlen zur Zweiten Kammer als auch bei den Provinzwahlen war das Interesse der Bevölkerung gering, zumal im damaligen Mehrheitswahlsystem die Auswahl oft begrenzt war.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 96–98.</ref> Die niederländische Parteiengeschichte begann erst 1879, als der calvinistische Pfarrer Abraham Kuyper die antirevolutionäre Partei gründete.
Bei der Verfassungsreform des Jahres 1887 ging es bezüglich des Senats vor allem um die Wahl. Die Provinzparlamente seien eher administrativer als politischer Natur, lautete die Kritik, so dass sie für die Wahl des Senats wenig geeignet seien. Eine Mehrheit unterstützte schließlich die Beibehaltung des damaligen Zustandes und verwarf eine Direktwahl.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 32.</ref>
Für die Erste Kammer konnte nur kandidieren, wer eine bestimmte hohe Steuerlast zahlte. Vor allem die Liberalen wollten dies abschaffen, damit jene Kammer nicht einer Geldaristokratie vorbehalten sei. Die Konfessionellen waren dafür, dass beide Kammern sich weiterhin in diesem Punkt unterschieden. Nach einem parlamentarischen Hin und Her entschieden sich die Liberalen dafür, um eine Staatskrise zu vermeiden, die Anforderung beizubehalten. Es sollten zusätzlich aber auch Männer gewählt werden können, die hohe Staatsämter bekleideten oder bekleidet haben.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 33/34.</ref>
In jener Zeit blieb die Erste Kammer bei der Wahl eines Mitglieds für neun Jahre, wobei alle drei Jahre ein Drittel der Mitglieder neu gewählt wurde. Die Gesamtzahl der Senatoren betrug seit 1888 fünfzig. Die Legislaturperiode der Zweiten Kammer hingegen wurde auf vier Jahre verkürzt, und in den 1880ern wurde das aktive Wahlrecht für wohlhabende Männer deutlich ausgeweitet. Während in der Zweiten Kammer zuweilen die Konfessionellen eine Mehrheit hatten, dominierten im Senat die Liberalen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 36.</ref>
Nachdem es bereits zu Spannungen zwischen Liberalen und Konfessionellen gekommen war, kamen nach einer längeren liberalen Periode wieder die Konfessionellen an die Macht und bildeten die Regierung. Der antirevolutionäre Ministerpräsident Abraham Kuyper wollte ein Unterrichtsgesetz durchbringen, das von der liberalen Ersten Kammer im Juli 1904 abgelehnt wurde. Kuyper löste daher die Erste Kammer auf, mit Blick auf die für ihn günstigen Machtverhältnisse in den Provinzparlamenten. So kam das Gesetz schließlich leicht durch beide Kammern. Die Liberalen beschwerten sich vergeblich, die Auflösung des Senats entspräche nicht dem Geist der Verfassung bzw. des Zweikammersystems.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 38/39.</ref>
Verfassungsreformen 1917–1922
Im Anlauf zur großen Verfassungsreform von 1917, der pacificatie, schlugen Freisinn und Sozialdemokratie die Abschaffung der Ersten Kammer vor.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 41.</ref> Zur Diskussion standen schließlich in der Debatte die Kandidatenanforderungen, die Auflösung (und eine eventuell zwangsweise Auflösung auch der Provinzparlamente), und der Aufgabenbereich. Die Erste Kammer konnte ein Gesetz, das sie nicht annehmen wollte, nur als Ganzes verwerfen. Das erschien als ein radikaler Schritt, der zu politischen Krisen führte. Daher sollte der Senat eventuell das Recht erhalten, einen Gesetzentwurf an die Zweite Kammer zurückzuschicken, oder aber selbst Zusätze anbringen dürfen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 42/43.</ref>
Bei der pacificatie 1917 wurde das passive Wahlrecht für die Erste Kammer dem für die Zweite angeglichen. Beide Kammern waren nach dem Prinzip der Verhältniswahl zu wählen. Ansonsten sollte der Gesetzgeber die Senatswahl neu regeln. Durch die Demokratisierung des passiven Wahlrechts für den Senat erhielt er eine neue Aufgabe als Volksvertretung. Seine Mitglieder hatten keinen anderen gesellschaftlichen Hintergrund mehr als die der Zweiten Kammer. Der Wert des Senats lag nun darin, Gesetzentwürfe noch einmal zu prüfen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 45, 48/49.</ref>
Nach 1918, als im Ausland Revolutionen ausbrachen, plante man eine neue Verfassungsreform und behandelte die Erste Kammer umso ausführlicher. Schließlich verkürzte man 1922 die Periode des Senats auf sechs Jahre mit Wahl der Hälfte der Mitglieder nach drei Jahren. Dadurch wurde es wesentlich unwahrscheinlicher, dass in den Kammern unterschiedliche Mehrheiten zustande kamen. Von 1904 bis 1971 verfügten die drei großen konfessionellen Parteien, die 1980 zum Christen Democratisch Appèl fusionierten, über die absolute Mehrheit.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 48.</ref>
Funktionieren und Reformen nach 1922
Mit den Reformen veränderte sich die soziale Zusammensetzung des fünfzigköpfigen Senats nicht schlagartig, und weiterhin verwarf er nur selten ein Gesetz: in den 1920er-Jahren sechsmal, in den 1930er-Jahren fünfmal. De Vries erklärt die Zurückhaltung des Senats damit, dass in beiden Kammern die Kräfteverhältnisse seit 1923 fast die gleichen waren und dass der Senat sich aus den damals scharfen politischen Spannungen heraushalten wollte.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 57/58.</ref>
Im Jahre 1923 wurde im Senat ein neues Jagdgesetz behandelt. Dabei sollten die Privilegien des Adels fallen, unter anderem durften demnach auch Bauern Schädlinge bejagen. Den Fasan rechnete der Gesetzentwurf zu den Schädlingen. Trotz des Protestes adliger Senatoren wurde das Gesetz mit 19 zu 15 Stimmen angenommen, unterstützt von Sozialdemokraten, Freisinnigen und konfessionellen Arbeitervertretern. Bert van den Braak sieht im Jagdgesetz eine Illustration dafür, dass die Atmosphäre in der Ersten Kammer sich nicht sehr verändert habe, wohl aber das politische Kräfteverhältnis. Allmählich habe sich seit 1888 das Gewicht von den Aristokraten zu den Demokraten verschoben. Der vornehme Charakter des Senats als Heerensociëteit, als Gesellschaft von Herren, verschwand.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 141–142.</ref>
Am 21. Juni 1940, also etwa einen Monat nach dem Einmarsch, stoppten die deutschen Besatzer die Arbeit beider Kammern. 1945 standen noch 74 der 100 Abgeordneten der Zweiten Kammer zur Verfügung, 34 der 50 Senatoren. Die vorläufigen Generalstaaten füllten ihre gelichteten Reihen nach Vorschlägen der Nationaal Advies Commissie. Am 20. November kamen die Generalstaaten wieder zusammen, am 17. Mai 1946 wurde die Zweite Kammer gewählt, am 30. die Provinzparlamente.<ref>Horst Lademacher: Geschiedenis van Nederland. Het Spectrum. Utrecht 1993, S. 479, 549.</ref>
Nach Ansätzen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten kam es in den 1970er-Jahren zu einer breiten Diskussion, die 1983 in eine Verfassungsreform mündete. In den Ausschussberichten und im Regierungsentwurf wurde die Position des Senats diskutiert, aber seine Existenz an sich nicht in Frage gestellt. Der Senat sollte sechs Jahre lang im Amt sein, aber nicht mehr in Hälften gewählt werden, sondern auf einmal und zwar direkt. Bei einer Auflösung wurde der Senat nämlich bereits nicht mehr regulär gewählt, sondern in einer einzigen Wahl. Bedeutende Vorschläge zur gesetzgebenden Rolle des Senats gab es nicht; die Zweite Lesung sollte nur noch in der Zweiten Kammer stattfinden, und der Senat sollte nicht mehr am Haushalt beteiligt sein.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 61–64, 68/69.</ref>
In der Zweiten Kammer stießen die moderaten Vorschläge des letzten Berichts 1974/1975 auf den Verdacht der Rechten, der Senat solle an Macht verlieren. Die Rechtsliberalen vermuteten darin eine Vorstufe zur Abschaffung. Der Großteil der Linken hingegen (PvdA, PPR, PSP, D66) beantragte direkt jene Abschaffung, denn die indirekte Wahl des Senats sei demokratisch nicht gewünscht, eine Direktwahl würde ihn jedoch zu „einem ungewünschten Doppelgänger der Zweiten Kammer“ machen. Schließlich nahm eine Kammermehrheit einen Antrag an, an den Befugnissen des Senats nichts zu ändern und ihn durch die Provinzparlamente für vier Jahre wählen zu lassen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 71–73.</ref>
Bei der Reform 1983 kam in Bezug auf den Senat als Änderung nur zustande, dass von da an sowohl Zweite als auch Erste Kammer für vier Jahre zu wählen waren. Später gab es noch mehrere Diskussionen und Verfassungsreformen, erwähnenswert aber ist nur eine kleine Änderung für die Erste Kammer: Seit 1995 muss der Senat nicht mehr zur Grundgesetzänderung aufgelöst werden, sondern nur noch die Zweite Kammer.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 81.</ref>
Stellung und Aufgaben
Im Vergleich zur Zweiten Kammer ist die Erste eindeutig die schwächere. Staatsrechtlich gibt es dafür keinen Grund. Der Senat kann seine Tagesordnung selbst bestimmen und theoretisch jedes Gesetz ablehnen. Die Zurückhaltung des Senats ist eine Sache der Praxis. So werden Gesetzesentwürfe zuerst der Zweiten Kammer vorgelegt, und die Koalitionsabsprachen binden nur die Fraktionen dort.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 406.</ref>
Auch wenn der Senat nur selten (weniger als einmal im Jahr) einen Gesetzentwurf ablehnt, gab es doch mehrere spektakuläre Fälle, in denen bedeutende politische Reformen am Senat scheiterten. So wurde 1999 in der Nacht van Wiegel das korrigierende Referendum abgelehnt, und 2005 in der Nacht van Van Thijn die Direktwahl der Bürgermeister. Beide Male ging es um alte Forderungen des sozialliberalen Koalitionspartners D66. Die Kabinettskrise von 1999 wurde dadurch verschärft, dass die Partei von VVD-Senator Hans Wiegel damals ebenfalls in der Regierung vertreten war.
Der Senat scheut sich ferner nicht, einen kaum veränderten Gesetzentwurf mehrere Male abzulehnen. Zu berücksichtigen ist, dass in der niederländischen Verfassung die Beziehungen zwischen Regierung und Parlament relativ wenig geregelt sind. Dort wird nirgendwo erwähnt, dass die Regierung bei mangelndem Vertrauen des Parlaments zurücktreten müsste. Trotzdem hat es sich eingebürgert, dass ein Misstrauensvotum in der Zweiten Kammer oder ein Koalitionsbruch zum Rücktritt der Regierung führt.
Seit 1983 nennt die Verfassung (Art. 51,1) die Zweite vor der Ersten Kammer.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 406.</ref> Allerdings ist der Vorsitzende der Ersten Kammer auch der Vorsitzende der Verenigde Vergadering, der gemeinsamen Sitzung beider Kammern beim Prinsjesdag oder bei der Vereidigung eines neuen Königs.
Politische Kontrolle
Als 1848 die Grundlagen für das politische System neu geschaffen wurden, machte man die Minister dem Parlament gegenüber auskunftspflichtig. Allerdings galt dies bis 1887 nur für die Zweite Kammer. Der Senat erhielt das Fragerecht, um seiner Prüfungsaufgabe besser gerecht werden zu können. Realistischerweise ging man aber schon damals nicht davon aus, dass der Senat häufig davon Gebrauch machen würde. Der Senat hat nur ein schriftliches Fragerecht; während die Zweite Kammer jährlich mehrere Hundert Fragen stellt, sind es in der Ersten eher wenige Dutzende.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 298, 301/302.</ref>
1887 erhielt der Senat auch das Recht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Dazu ist es nie gekommen. Anfang der 1980er-Jahre meinte die Regierungsparteien, die auch im Senat die Mehrheit hatten, ein Untersuchungsausschuss sei kein Teil der Gesetzgebung, sondern der Regierungskontrolle. Laut de Vries würde eine aktive Kontrolle der Regierung im Senat die unerwünschte Frage aufwerfen, wie das Verhältnis zwischen beiden überhaupt zu beurteilen sei. Je nach Gang der Dinge könnte ein Untersuchungsausschuss oder ein anderes Instrument zur Frage des politischen Vertrauens führen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 298, 311-313.</ref>
Gesetzgebung
Der Senat soll Gesetzentwürfe überprüfen nach juristisch-technischen Aspekten, nach nationalem und internationalem Recht, nach Kohärenz und nach gesellschaftlicher Akzeptanz und Handhabbarkeit.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 157.</ref> Allerdings erhält er die Entwürfe erst, wenn der Gesetzgebungsprozess im materiellen Sinn bereits abgeschlossen ist. Laut Art. 81 und 85 des Grundgesetzes kann der Senat einen Entwurf nur annehmen oder ablehnen, nicht etwa ein amendement (eine Änderung) einfordern oder auch nur formell vorschlagen. Er hat kein Recht zur Gesetzesinitiative, sondern nur die Regierung oder die Zweite Kammer.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 155/156.</ref>
In den Jahren 1945 bis 2001 wurden nur 47 Entwürfe (0,3 Prozent von allen) im Senat abgelehnt, weniger als einer pro Jahr. Das Motiv für die Ablehnung war meist nicht so sehr die Verteidigung einer Rechtsnorm, sondern die Frage nach der praktischen Handhabbarkeit neuer Regeln. Entwürfe, die im Senat ankommen, haben eine monate-, wenn nicht jahrelange Geschichte in Ministerien und in der Zweiten Kammer hinter sich und sind im Zusammenspiel von Regierung und Zweiter Kammer bereits oft abgeändert worden. Diese Arbeit soll nicht zunichtegemacht werden. Außerdem sind die Senatoren die Parteifreunde der Abgeordneten in der Zweiten Kammer, gerade Senatoren aus den Koalitionsparteien fällt eine Ablehnung schwer.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 164, 167/168.</ref>
Dennoch kann der Senat einen gewissen Einfluss auf den Gesetzesinhalt ausüben, ohne konkret einen Entwurf abzulehnen. So kann er einen Entwurf aanhouden (anhalten), also implizit mit der Ablehnung drohen. Von einer novelle spricht man in den Niederlanden, wenn dann die Regierung oder die Zweite Kammer ein neues Gesetz auf den Weg bringt, das die Änderungswünsche des Senats berücksichtigt. Kommt diese novelle nach Durchlauf des Gesetzgebungsprozesses in den Senat, nimmt er sie zusammen mit dem alten Entwurf an. In einer weicheren Variante gibt der Senat dem alten Entwurf bereits seine Zustimmung, aber mit der Inkraftsetzung wird auf die novelle gewartet.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 158.</ref> Wiederum eine Variante stellt eine toezegging dar, eine Zusage eines Ministers, bei der künftigen Rechtssetzung oder in der Handhabung eines Gesetzes die Wünsche des Senats zu berücksichtigen. Das kann beispielsweise durch einen Brief des Ministers an den Senat geschehen.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 161/162.</ref>
Diese Praxis, die es seit 1967 gibt, ähnelt einem amendementsrecht sehr, auch wenn der Staatsrat diese Sichtweise ablehnt. Zwischen 1983 und 2000 wurden von 4439 Gesetzentwürfen, die die Erste Kammer erreicht haben, zwanzig mit einer novelle versehen. Dabei wurde aber der hauptsächliche Inhalt eines Entwurfes nicht verändert.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 158/159.</ref>
Ferner kann der Senat seine Meinung durch eine motie kundtun, einen Antrag oder eine Resolution. Eine motie bedarf im Senat der Unterstützung von mindestens vier Senatoren. Auch zu diesem Instrument kommt es sehr selten, im Sitzungsjahr 1997/1998 bei 37 Sitzungen nur dreimal, in den zwei Jahrzehnten davor höchstens vierzehnmal pro Sitzungsjahr. Erik Knippenberg sieht in einer gesetzesbezogenen motie eher ein Mittel vor allem der Oppositionsparteien, „Luft abzulassen“ (ein „ontluchtingsventiel“).<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 161/162.</ref>
Haushaltsrecht
Ebenso wie Gesetze benötigt der Entwurf für den Reichshaushalt die Zustimmung beider Kammern, und die Erste Kammer kann ihn nur annehmen oder ablehnen. Die Erste Kammer erhält den Entwurf erst spät und muss auch nicht formell abstimmen. Der Bericht eines Kammerausschusses reicht. Als Kontrollinstrument des Senats ist das Haushaltsrecht beinahe bedeutungslos, urteilt Knippenberg.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 177/178.</ref>
Organisation
Die Senatoren kommen in Sitzungsperioden normalerweise jeweils am Dienstag um 13.30h zur Plenarsitzung zusammen, bei Bedarf selten auch am Montag oder Mittwoch. Eine Sitzung kann von acht Mitgliedern gefordert werden, das Quorum für Sitzungen und Abstimmungen beträgt 38. Die Sitzungen sich öffentlich, aber Besucher müssen sich anmelden. Auf der Besuchertribüne gibt es dreißig Sitzplätze.<ref>Parlement.com: Plenaire vergadering Eerste Kamer, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Der Vorsitzende der Ersten Kammer, der Eerste Kamervoorzitter, wird von den Kammermitgliedern für die vierjährige Legislaturperiode gewählt. Oft ist es der Vorsitzende der größten Fraktion; davon wird durchaus abgewichen, wenn dieselbe Partei bereits den Vorsitzenden der Zweiten Kammer stellt.<ref>Parlement.com: Eerste Kamervoorzitter, Abruf am 19. März 2011.</ref> Seit dem 2. Juli 2013 ist Ankie Broekers-Knol (VVD) Vorsitzende. Das College van Senioren ist ein Ältestenrat, der die Tagesordnung festlegt.<ref>Parlement.com: College van Senioren, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Die Senatoren gruppieren sich nach Fraktionen; eine Fraktion kann auch aus einem einzigen Mitglied bestehen. Größere Fraktionen wählen einen Fraktionsvorsitzenden, einen Vizevorsitzenden und einen Fraktionssekretär. Abweichungen von der Fraktionsdisziplin sind häufiger als in der Zweiten Kammer. Es gibt im Senat keine oder nur wenige Fraktionsmitarbeiter.<ref>Parlement.com: Fracties, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Die Erste Kammer arbeitet mit etwa zwanzig Ausschüssen, die oft dem Themenbereich eines Ministeriums entsprechen. Bei der Verteilung der Ausschuss-Sitze achtet der Kammervorsitzende darauf, dass jede Fraktion in jedem Ausschuss vertreten ist. In den Sitzungen geht es selten an Detailarbeit, da der Senat sowieso nur annehmen oder ablehnen darf. Viele Ausschuss-Sitzungen finden sogar nur schriftlich statt, oder in der Teepause.<ref>Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, S. 165/166.</ref>
Die innere Senatsorganisation wird von einem Griffier geleitet (ein traditionelles Wort für Sekretär). Er bereitet beispielsweise die Sitzungen vor, verantwortet die Berichte unter anderem der Ausschüsse, und berät den Kammervorsitzenden. Der Griffier hat drei Stellvertreter. Ihm untersteht ein Sekretariat.<ref>Parlement.com: Interne organisatie Eerste Kamer, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Wahl und Zusammensetzung
Die Erste Kammer wurde schon immer bewusst anders als die Zweite gewählt, um beide Kammern voneinander zu unterscheiden und der Ersten ein Existenzrecht zu geben. Dieses Argument kam in den Verfassungsdebatten jeweils zur Sprache gegenüber weitergehenden Regierungsentwürfen.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 298, 109.</ref>
19. Jahrhundert
Nach der Verfassungsreform von 1848 wurden im Februar 1849 die Senatsmitglieder noch vom König eingesetzt, da die Zeit für eine Wahlordnung zu kurz war. 1850 kam es dann zu den ersten Senatswahlen. Auch wenn nur wenige der alten, ernannten Mitglieder wiederkamen, so waren die meisten bereits zuvor in den politischen Kreisen etabliert, wirkliche Neulinge gab es kaum. Sowohl die Zweite Kammer als auch die Provinzparlamente wurden nach dem Zensuswahlrecht bestimmt, das heißt, dass nur Männer wählen durften, die eine bestimmte Steuerlast trugen.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 93–95.</ref>
Zunächst also wählten seit der Verfassungsreform die wahlberechtigten Einwohner der Provinzen jeweils ihr Provinzparlament, die Provinciale Staten. Die Mitglieder der Provinzparlamente wurden für je sechs Jahre gewählt, alle zwei Jahre wurde ein Drittel erneuert. Bei Bedarf wählten die Provinzparlamente, mit absoluter Mehrheit, die Senatoren. Da ein Senator für neun Jahre gewählt wurde, trat alle drei Jahre ein Drittel der Senatoren ab, damals 13. Wie viele Senatoren ein Provinzparlament wählen durfte, hing von der Bevölkerungsanzahl der Provinz ab: Südholland wählte sieben Senatoren, das schwach besiedelte Drenthe nur einen. Kam es zu einer Kammerauflösung und mussten alle Senatoren neu gewählt werden, entschied das Los, wer für die volle Zeit und wer nur für einen Teil der Zeit Senator wurde.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 95/96.</ref>
Von größter Bedeutung für die Zusammensetzung waren die hohen Anforderungen an das passive Wahlrecht zum Senat. Das Alter für die Wählbarkeit war zwar von vierzig auf dreißig Jahre herabgesetzt worden, doch nur die bei der Steuer hoogstaangeslagenen (Höchstbesteuerten) durften kandidieren. Es gab einen Höchstbesteuerten je 3000 Einwohner einer Provinz. In der Provinz Südholland lebten seinerzeit 619.000 Einwohner, davon 206 Höchstbesteuerte. In einer reichen Provinz musste man ein höheres Einkommen für diesen Status haben als in einer armen, so konnte es sein, dass jemand beim Umzug von einer Provinz in die andere seine Wählbarkeit verlor. Allgemein war damals die Wahl noch eher eine Persönlichkeitswahl und richtete sich wenig an politischen Unterschieden aus.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 95.</ref>
Bei der Reform 1887 stieg der Anteil der Wahlberechtigten für die Provinzparlamente, und zwar von zwölf auf 25 Prozent der Männer. Dies hatte aber wegen des Wahlsystems nur langsam Folgen für die Zusammensetzung. 1896 wurde das Wahlrecht noch weiter ausgebreitet. Davon profitierten vor allem die konfessionellen Parteien.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 143.</ref>
Demokratisierung und Reformen 1917–1923
Im Demokratisierungsprozess 1917–1920 erhielten zuerst alle Männer, kurz darauf alle Frauen das Wahlrecht. Gleichzeitig wurde für die Zweite Kammer und die Provinzparlamente die Verhältniswahl eingeführt. Das hatte große Folgen für den Senat. 1922 wurde der gesamte Senat neu gewählt, nachdem 1919 erstmals alle Männer an den Wahlen zu den Provinzparlamenten teilnehmen durften. Die nichtkonfessionellen Parteien (Freisinn, Sozialdemokratie und die von 14 auf 1 Sitz gefallenen Liberalen) stellten acht Senatoren, die Konfessionellen gewannen stark dazu und kamen auf 42.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 143.</ref>
Bezüglich des Senats selbst kam es 1923 zur Ausarbeitung des Verhältniswahlsystems. Die Senatoren wurden nur noch für je sechs Jahre statt neun gewählt. Die Stimmen der Provinzparlamentarier erhielten einen Stimmwert abhängig von der Einwohnerzahl der Provinz. Außerdem wählten die Provinzen nicht mehr einzeln mit absoluter Mehrheit, sondern in Gruppen von Provinzen:
- Gruppe I: Noord-Brabant, Limburg, Utrecht, Seeland (13 Sitze, ab 1956: 21 Sitze)
- Gruppe II: Gelderland, Overijssel, Groningen, Drenthe (13 Sitze, ab 1956: 19 Sitze)
- Gruppe III: Nordholland, Friesland (12 Sitze, ab 1956: 17 Sitze)
- Gruppe IV: Südholland (12 Sitze, ab 1956: 18 Sitze)<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 167.</ref>
Alle drei Jahre fand eine Teilerneuerung statt, wobei die Senatoren der Gruppen I und III immer gleichzeitig gewählt wurden, ebenso die Senatoren der Gruppen II und IV. Die Senatoren wurden innerhalb der Gruppen mit Parteilisten gewählt. Das machte die Wahlen berechenbar und lud zu taktischem Wahlverhalten der Provinzparlamentarier ein. Eine Partei konnte ausrechnen, auf wie viele Senatoren sie kam, und wie viele ihrer Stimmen als „Reststimmen“ keinen weiteren Senatoren erbrachten. Die Reststimmen mehrerer Parteien konnten einen Senatoren ausmachen. So stimmten 1946 einige nordholländische katholische Provinzparlamentarier für die Antirevolutionären und verhinderten damit einen Senator für die Kommunisten. 1981 wählten einige Sozialdemokraten in Gruppe I die Christdemokraten, auf diese Weise kam eine andere Reststimmenregelung zum Zuge, so dass die Demokraten einen zusätzlichen Senator bekamen.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 413.</ref>
Aktuelles Wahlsystem seit 1983
Die Erste Kammer wird von den Mitgliedern der Provinzparlamente gewählt, die wiederum von den mindestens 18 Jahre alten Niederländern in der jeweiligen Provinz auf vier Jahre gewählt werden. Damit ist die Wahlbevölkerung zu den beiden Kammern leicht unterschiedlich, denn die Zweite Kammer dürfen auch diejenigen Niederländer wählen, die im Ausland leben. 2011 waren die Räte der drei besonderen Gemeinden in der Karibik noch von der Wahl ausgeschlossen, später soll es jedoch eine Regelung für sie geben.
Mit der Verfassungsreform 1983 wurde die gleichzeitige Wahl aller 75 Mitglieder der Ersten Kammer eingeführt. Zugleich schreibt die Verfassung seither vor, dass die Erste Kammer innerhalb von drei Monaten nach der Wahl der Provinzparlamente stattfindet, außer im Fall einer Auflösung der Ersten Kammer. Seit 1987 ist daher die Wahlperiode der Ersten Kammer an die Wahlperiode der Provinzparlamente gekoppelt. Eine Kandidatenliste für eine bestimmte Provinz muss von mindestens einem Parlamentarier der Provinz unterstützt werden. Obwohl die Parteien in den einzelnen Provinzen unterschiedliche Listen einreichen können, reichen die Parteien in der Praxis immer dieselbe Liste für alle Provinzen ein. In dem Jahr, in dem die Provinzparlamente neu gewählt werden (diese Wahlen finden am Mittwoch in der Periode vom 15. bis 21. März statt), erfolgt die Einreichung der Kandidatenlisten am Dienstag in der Zeit vom 19. zum 25. April bzw. innerhalb von vierzig Tagen nach Auflösungsbeschluss.<ref>Parlement.com: Getrapte verkiezingen, Abruf am 19. März 2011.</ref> Die Wahl der Ersten Kammer findet am 34. Tag nach der Einreichung der Listen, 15 Uhr, statt, also (außer im Falle der Auflösung) am Montag in der Periode vom 23. bis zum 29. Mai.
Seit 2015 gibt es 570 Provinzparlamentarier. Sie haben je eine Stimme, die sie für einen Kandidaten auf einer der Parteilisten abgeben. Die für die Kandidaten einer Partei abgegebenen Stimmen gelten alle für jene Liste.<ref>Parlement.com: Procedure Eerste Kamerverkiezing, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Die von den Parlamentariern der einzelnen Provinzen abgegebenen Stimmen werden unterschiedlich gewichtet. Damit wird die Verhältnismäßigkeit der Wahl sichergestellt. Zwar haben die Provinzparlamente unterschiedlich viele Abgeordnete, abgestuft nach der Bevölkerungsgröße der Provinz, dennoch haben die kleineren Provinzen ein größeres Provinzparlament im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Zur Ermittlung des Stimmgewichts der Provinz wird die Einwohnerzahl durch das Hundertfache der Zahl der Provinzparlamentarier geteilt und zur nächsten ganzen Zahl gerundet. Flevoland beispielsweise hatte 2015 401.503 Einwohner und 41 Provinzparlamentarier. Daraus ergab sich ein Stimmgewicht von 98 pro Provinzparlamentarier bei der Senatorenwahl: 401.503 / (41∗100) = 97,92756…, gerundet 98. Bei der Wahl 2015 schwankte des Stimmgewicht zwischen 98 (Flevoland und Seeland) und 655 (Südholland)<ref>Kiesraad: Stemwaarden Eerste Kamerverkiezing 2015, Abruf am 30. Mai 2015.</ref>
Für die Sitzverteilung werden die Stimmen mit dem Stimmgewicht der jeweiligen Provinz multipliziert. Wählen beispielsweise 5 Provinzparlamentarier aus Flevoland eine bestimmte Liste, dann errechnen sich daraus 505 Stimmen (5∗101) für diese Liste. Listen aus verschiedenen Provinzen gelten für die Sitzverteilung als eine Liste, wenn es entweder Listen derselben Partei sind oder der Spitzenkandidat derselbe ist. Die Stimmenzahlen der Parteien in den einzelnen Provinzen werden also landesweit addiert; nicht von Parteien eingereichte Listen kommen praktisch nicht vor. Die Summe der auf alle Listen landesweit entfallenen Stimmen wird durch die Zahl der zu vergebenden Sitze (also 75) geteilt. Der sich hierbei ergebende Quotient heißt kiesdeler (wörtl.: „Wahlteiler“, entspricht der Hare-Quote). Jede Liste erhält zunächst so viele Sitze, wie der kiesdeler voll in der Stimmenzahl enthalten ist. Gibt es beispielsweise 165000 gültige Stimmen und erhält Liste A 35000 Stimmen, dann beträgt der kiesdeler 2200 (165000/75) und erhält Liste A zunächst 15 Sitze (35000/2200= 15,9090…, abgerundet 15). Können nicht alle 75 Sitze auf diese Weise vergeben werden, werden die verbleibenden Sitze nacheinander jeweils der Liste zugewiesen, die bei Zuweisung eines zusätzlichen Sitzes die größte durchschnittliche Stimmenzahl je Sitz hätte. Im Ergebnis entspricht das einer Sitzverteilung nach dem D’Hondt-Verfahren. Eine Listenverbindung (im Wahlgesetz lijstencombinatie genannt) ist seit einer am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetzesänderung für die Wahl der Ersten Kammer nicht mehr möglich.
Vorzugsstimmen
Bei den Wahlen zur Zweiten und zur Ersten Kammer gibt es die Möglichkeit, trotz schlechtem Listenplatz gewählt zu werden. Der Wähler hat vor sich eine Liste mit allen Kandidaten der Liste; er gibt seine Stimme ab, indem er einen einzelnen Kandidaten wählt. Diese Stimme gilt dann für die Gesamtstimmenanzahl dieser Liste. In der Regel geben die meisten Wähler ihre Stimme dem Kandidaten, der an der Spitze der Liste steht.
Eine Stimme, die ein Kandidat erhalten hat, gilt in Bezug auf ihn als voorkeurstem (Vorzugs- oder Präferenzstimme). Ein Kandidat mit vielen Vorzugsstimmen kann daran seine Popularität im Vergleich zu Listenkollegen einschätzen. Bei besonders vielen Vorzugsstimmen kann er ins Parlament gewählt werden, auch wenn sein Listenplatz dies ansonsten nicht zuließe.
Im Falle der Zweiten Kammer braucht ein Kandidat so viele Vorzugsstimmen, wie sie dem Viertel der Wahlzahl entsprechen. Bei der Verteilung der Sitze für eine Liste kommen dann zuerst diejenigen Kandidaten zum Zuge, die das Viertel erreichen, und zwar in der Reihenfolge ihrer Vorzugsstimmen. Erst danach erhalten weitere Kandidaten dem Listenplatz gemäß ihre Chance, wenn noch Sitze übrigbleiben. Pro Wahl erlangen zwar recht viele Kandidaten das Viertel, aber nur in zwei, drei Fällen kommen dadurch Kandidaten in die Kammer, die es normalerweise nicht geschafft hätten.
Ähnlich ist es in der Ersten Kammer. Es kommt vor, dass eine Parteispitze eine Liste aufstellt, die von den Provinzparlamentariern der Partei nicht geschätzt wird. Im Jahre 1969 wurde jemand erstmals allein mit Vorzugsstimmen in den Senat gewählt: Die Führung der PSP hatte ihren ehemaligen Führer auf Platz Eins der Liste gestellt, die PSP-Provinzparlamentarier wählten dann aber jemand anders von der Liste mit Vorzugsstimmen. Dieser wurde von der Führung unter Druck gesetzt und verzichtete auf sein Mandat.<ref>Parlement.com: Eerste Kamerleden met voorkeurstemmen gekozen, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Im Jahre 2007 gelang fünf Politikern von fünf verschiedenen Parteien (D66, SP, GroenLinks, PvdA, CDA) der Sprung mit Vorzugsstimmen in die Erste Kammer. Einen größeren Konflikt löste nur der SP-Kandidat Düzgün Yildirim aus, der auf Platz 18 gestanden hatte und unter anderem mit seiner eigenen Stimme als Provinzparlamentarier gewählt wurde. Dem Druck der Parteispitze wollte er sich nicht beugen, er wurde aus der Partei ausgeschlossen und wurde Senator in einer Einmannfraktion. Damals benötigte man nur die Hälfte der Wahlzahl, nach einer Änderung des Wahlgesetzes 2010 muss man die ganze Wahlzahl erreichen, um eventuell mit Vorzugsstimmen in den Senat zu gelangen.<ref>Parlement.com: Eerste Kamerleden met voorkeurstemmen gekozen, Parlement.com: D. (Düzgün) Yildirim, Abruf am 19. März 2011.</ref>
Absprachen über die Reststimmen gibt es immer noch, wodurch die Wahlen zur Ersten Kammer etwas mehr sind als eine reine Formalität. Außerdem konnten Parteien, wie bei den Wahlen zur Zweiten Kammer, bis 2010<ref>Parlement.com: Geschiedenis wijze van verkiezen Eerste Kamer, Abruf am 19. März 2011.</ref> Listenverbindungen miteinander eingehen. Hierdurch wurden sie bei der Reststimmenverteilung eventuell etwas besser gestellt.
Politikerprofil
Von den 1930er- bis zu den 1960er-Jahren war ein Senator meist ein über fünfzigjähriger Mann mit Erfahrung in der Politik, oder ein Professor, als Repräsentant der partikularistischen Gesellschaft. Bis 1956 war er auch vor allem Generalist, die Spezialisten kamen dann über die Volksparteien PvdA und KVP in die Erste Kammer. Sozialdemokraten und Kommunisten stammten naturgemäß aus Arbeiterhaushalten der Städte im Westen, Katholiken aus dem katholischen Süden und ländlichen Gebieten. Liberale der VVD kamen aus den höheren sozialen Schichten. Mit Ausnahme der Gewerkschafter waren die allermeisten Senatoren hochgebildet. Die Juristen waren in der Mehrheit, Mitte der 1960er-Jahre gelangten vermehrt Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler in den Senat. Da die Mitgliedschaft in der Ersten Kammer nur ein Teilzeitjob ist, üben die Senatoren normalerweise einen anderen Beruf aus. Bis 1971 war es gängig, ein anderes politisches Amt zu haben, wie Bürgermeister oder Provinzminister, oder man war Gewerkschaftschef.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 376.</ref>
Seit den 1960er-Jahren wurde die partikularistische Gesellschaft langsam überwunden. Neue Parteien außerhalb des alten Systems wurden Kammerparteien. Gewerkschafter und Bürgermeister größerer Städte verschwanden, Parteifunktionäre kamen hinzu, durch PvdA- und VVD-Senatoren aus dem Süden nahm die Vorherrschaft der westlichen Landesteile ab. Der Anteil von Frauen und jüngeren Menschen stieg in den 1970er-Jahren an, ohne zu einem Durchbruch zu führen. Jedenfalls kamen die Senatoren nicht mehr aus einer besonderen bestuurdersklasse (etwa: soziale Klasse der Regierenden).<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 376/377.</ref>
In der Zeit von 1983 bis 1995 setzte sich der Trend fort, dass Inhaber weiterer politischer oder staatlicher Ämter fernblieben. Typischerweise konnte ein Senator seine Kammermitgliedschaft mit einem freien Beruf als Anwalt, Architekt oder Wissenschaftler vereinen; eventuell war er Gemeindebeamter. So gut wie niemand war unter vierzig Jahre alt, bei linken Parteien waren Frauen gut, bei rechten schlecht repräsentiert. Zugenommen hatte der Anteil von ehemaligen Ministern, Staatssekretären und Abgeordneten der Zweiten Kammer. Für sie bot die Senatorenschaft die Gelegenheit, nach der eigentlichen politischen Karriere noch politisch aktiv zu sein; einige überbrückten die Zeit zwischen Ministeramt und einem anderen Job.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 377/378.</ref>
Weil im niederländischen Parlament recht viele Parteien vertreten sind, konzentrieren sich Wahlkämpfe stark auf die Spitzenkandidaten. Gerade bei kleineren Parteien oder nicht in der Regierung vertretenen Parteien kennt die Öffentlichkeit kaum weitere Politiker. Bei den Provinzwahlen sieht man auf den Wahlplakaten meist die nationalen Parteiführer (meist Fraktionsvorsitzende in der Zweiten Kammer) und höchstens bei den großen Parteien regionale Gesichter. Die Spitzenkandidaten für die Erste Kammer spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die Mitgliedschaft in der Ersten Kammer bringt einem Politiker kaum Bekanntheit, diese haben sich einige allenfalls im früheren politischen Leben erworben.
Sitzverteilung
Sitzverteilung 1987–2015
Sitzverteilung der Ersten Kammer seit 1987,<ref>Zetelverdeling Eerste Kamer 1946-heden, Parlement.com</ref> zuletzt wurde am 26. Mai 2015 gewählt.<ref>[1], Abruf am 26. Mai 2015.</ref>
Partei | 2015 | 2011 | 2007 | 2003 | 1999 | 1995 | 1991 | 1987 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) | 13 | 16 | 14 | 15 | 19 | 23 | 12 | 12 | |
Partei der Arbeit (PvdA) | 8 | 14 | 14 | 19 | 15 | 14 | 16 | 26 | |
Christlich-Demokratischer Aufruf (CDA) | 12 | 11 | 21 | 23 | 20 | 19 | 27 | 26 | |
Partei für die Freiheit (PVV) | 9 | 10 | |||||||
Sozialistische Partei (SP) | 9 | 8 | 12 | 4 | 2 | 1 | |||
Demokraten 66 (D66) | 10 | 5 | 2 | 3 | 4 | 7 | 12 | 5 | |
GrünLinks (GL) | 4 | 5 | 4 | 5 | 8 | 4 | 4 | 3<ref>CPN, PPR und PSP jeweils ein Sitz </ref> | |
ChristenUnion (CU) | 3 | 2 | 4 | 2 | 4 | 2 <ref name="CU">Reformatorische Politieke Federatie (RPF) und Gereformeerd Politiek Verbond (GPV)</ref> | 2 <ref name="CU"/> | 2 <ref name="CU"/> | |
Reformierte Politische Partei (SGP) | 2 | 1 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 1 | |
50PLUS (50+) | 2 | 1 | |||||||
Partei für die Tiere (PvdD) | 2 | 1 | 1 | ||||||
Unabhängige Senatsfraktion (OSF) | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | |||
Liste Pim Fortuyn (LPF) | 1 | ||||||||
Algemeen Ouderen Verbond (AOV) | 2 | ||||||||
Gesamt | 75 | 75 | 75 | 75 | 75 | 75 | 75 | 75 |
Die Unabhängige Senatsfraktion (OSF) wird von Parteien unterstützt, die sich vor allem auf Provinzebene betätigen. Die bedeutendste von ihnen ist die Fryske Nasjonale Partij. Von 2011 bis 2015 wurde das Mandat der OSF mit einem Vertreter von 50PLUS besetzt.
Auflösung
Die Regierung kann sowohl die Erste als auch die Zweite Kammer auflösen. Während die Zweite Kammer ziemlich häufig aufgelöst wird (1948, 1959, 1967, 1972, 1982, 1989, 2002, 2006, 2010 und 2012), ist der Senat seit 1986 nicht mehr aufgelöst worden. Nur die Auflösung von 1904 entsprang einem Konflikt, bei dem die Regierung eine neue Mehrheit im Senat anstrebte. Eine Auflösung aus politischen Gründen stellte immer auch die ungelöste (und von der Regierung verneinte) Frage, ob die Regierung vom Vertrauen des Senats abhängen soll.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 103/104.</ref>
Überhaupt ist die Auflösung des Senats kaum sinnvoll, wenn die Provinzparlamente unverändert bleiben. Bei einer Neuwahl des Senats können allenfalls die einzelnen Senatoren ausgewechselt werden, die Machtverhältnisse bleiben aber ohne Neuwahl der Provinzparlamente dieselben. Dieser Gedanke spielte eine Rolle bei Verfassungsänderungen. Ursprünglich mussten für eine Verfassungsänderung beide Kammern aufgelöst werden, damit das Wahlvolk die Volksvertretung neu beurteilen kann. In der Praxis wartete man die regulären Wahlen zur Zweiten Kammer ab und löste dann auch den Senat auf. Problematischerweise verkürzte dieses Vorgehen die reguläre Amtszeit der Senatoren zum Teil drastisch. Seit 1995 muss daher nur noch die Zweite Kammer aufgelöst werden.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 105–107.</ref> Kleinere Verschiebungen bei einer Auflösung sind möglich durch taktisches Wählen, durch zwischenzeitliche Fraktionswechsel einzelner Provinzparlamentarier oder durch das Abweichen einzelner von der Parteilinie, sei es absichtlich oder aus Versehen. 1986 verlor die VVD einen Sitz an die PPR, weil in der Provinz Drenthe zwei VVD-Politiker nicht rechtzeitig zur Wahl erschienen waren.
Kritik und aktuelle Entwicklung
Die Existenz der Ersten Kammer war von Anbeginn an in Frage gestellt worden. Beispielsweise forderte im Februar 1831 der gemäßigt-liberale Van Nes van Meerkerk aus Utrecht die Abschaffung der Ersten Kammer. Das verband er mit dem Verlust des Südens, aber auch damit, dass die Verfassung die Unterschiede der Geburt nach aufhebe und beide Kammern das gesamte Volk vertreten. 1840 waren 15 von 45 Mitgliedern der Zweiten Kammer für die Abschaffung. Im August 1848 schrieb Thorbecke über die Erste Kammer, sie existiere „ohne Grund und ohne Ziel“.<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 51.</ref> Etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es allerdings dazu, dass die (klassischen) Liberalen die konservative Kraft des Senats befürworteten. Aktuell sind es die Socialistische Partij, GroenLinks, Democraten 66, aber auch die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid, die den Senat abschaffen möchten.
Mit den Reformen hat der Gesetzgeber eine Situation geschaffen, die nach Ansicht von de Vries zu mehreren Problemen führt:
- Die Generalstaaten sollen das Volk vertreten, aber die Urteilsfindung ist eine doppelte.
- Der Senat soll Gesetze überprüfen, kann aber nur zwischen Annahme und Ablehnung wählen.
- Die indirekte Wahl war ein politischer Kompromiss und ist nicht unbedingt die geeignetste.
- Die Provinzparlamente sind an der Wahl beteiligt, was nicht zu einem Einheitsstaat passt.
- Es gibt keine Regelung zur Lösung eventueller Konflikte zwischen beiden Kammern.<ref>Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, S. 53.</ref>
Van den Braak resümiert, dass die seit Beginn des Königreichs andauernden Diskussionen die Stellung und Aufgaben der Ersten Kammer nicht wesentlich verändert haben. Trotz des Eindrucks, die unter Druck stehende Erste Kammer habe ständig verteidigt werden müssen, ist ihre Position unbedroht. Die vierjährige Periode hat sie sogar gestärkt. „Dabei sei hinzugefügt, dass sie auch nach 1983, immer wenn es wirklich darauf ankam, den Kürzeren zog.“<ref>Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, S. 405/406.</ref>
Im Zuge der Wahl zur Ersten Kammer im Mai 2011 ist die Erste Kammer und vor allem das Wahlsystem in die Kritik geraten. Es biete die Möglichkeit zum strategischen Wählen und damit zum politischen Geschacher.<ref>Friesch Dagblad: Hervorm de senaat, maar schaf het niet af, Abruf am 26. Mai 2011.</ref> Ministerpräsident Mark Rutte nannte das Wahlsystem bizarr, hielt eine Reform aber nicht für prioritär.<ref>NOS: Veel kritiek op kiessysteem Senaat, Abruf am 26. Mai 2011.</ref>
Die Kabinette Rutte I (2010-2012) und Rutte II (seit 2012) hatten eine Mehrheit bzw. Tolerierungsmehrheit nur in der Zweiten Kammer. Für die Zustimmung in der Ersten brauchte die Regierung daher Stimmen der Opposition. Während des ersten Rutte-Kabinetts kamen diese von der SGP, während des zweiten von verschiedenen Parteien. Für den Haushalt 2014 beispielsweise schmiedete die liberal-sozialdemokratische Regierung schließlich mit D66, CU und SGP einen Kompromiss. Bezeichnenderweise verhandelte die Regierung, wie auch vom Senat selbst gewollt,<ref>Trouw: Oppositie Senaat: Kabinet moet naar alternatieven Tweede Kamer luisteren, Abruf am 7. Dezember 2013.</ref> dazu mit den Fraktionen in der Zweiten Kammer.
Siehe auch
Literatur
- Gerhard A. M. Beekelaar, Hugo de Schepper: The First Chamber in the Netherlands 1815-1848. In: H. W. Blom, W. P. Blockmans, H. de Schepper (Hrsg.): Bicameralisme. Tweekamerstelsel vroeger en nu. Handelingen van de Internationale Conferentie ter gelegenheid van het 175-jarig bestaan van de Eerste Kamer der Staten-Generaal in de Nederlanden. Sdu Uitgeverij, Den Haag 1992, S. 279-289
- Bert van den Braak: De Eerste Kamer. Geschiedenis, samenstelling en betekenis 1815-1995. Diss. Leiden, Den Haag 1998, ISBN 90-12-08689-2.
- Erik Knippenberg: De Senaat. Rechtsvergelijkend onderzoek naar het House of Lords, de Sénat, de Eerste Kamer en de Bundesrat. Diss. Maastricht, Sdu Uitgevers. Den Haag 2002, ISBN 90-5409-332-3.
- Frank de Vries: De staatsrechtelijke positie van de Eerste Kamer. Diss. Groningen, Kluwer. Deventer 2000, ISBN 90-271-5221-7.
Weblinks
- Eerste Kamer (niederländisch)
Belege
<references/>
Staatenverbund:
Europäische Union: Europäisches Parlament
Souveräne Staaten:
Albanien: Versammlung Albaniens |
Andorra: Generalrat der Täler |
Belgien: Parlament (Abgeordnetenkammer, Senat) |
Bosnien und Herzegowina: Abgeordnetenhaus |
Bulgarien: Nationalversammlung |
Dänemark: Volksversammlung |
Deutschland: Deutscher Bundestag, Bundesrat |
Estland: Riigikogu |
Finnland: Reichstag |
Frankreich: Parlament (Nationalversammlung, Senat) |
Griechenland: Parlament |
Irland: Oireachtas (Versammlung, Senat) |
Island: Althing |
Italien: Parlament (Abgeordnetenkammer, Senat) |
Kroatien: Versammlung |
Lettland: Saeima |
Liechtenstein: Landtag |
Litauen: Seimas |
Luxemburg: Abgeordnetenkammer |
Malta: Repräsentantenhaus |
Mazedonien: Parlament |
Moldawien: Parlament |
Monaco: Nationalrat |
Montenegro: Parlament |
Niederlande: Generalstaaten (Erste Kammer, Zweite Kammer) |
Norwegen: Großversammlung |
Österreich: Parlament (Nationalrat, Bundesrat) |
Polen: Sejm, Senat |
Portugal: Versammlung der Republik |
Rumänien: Abgeordnetenkammer, Senat |
Russland: Föderationsversammlung (Duma, Föderationsrat) |
San Marino: Großer und Allgemeiner Rat |
Schweden: Reichstag |
Schweiz: Bundesversammlung (Nationalrat, Ständerat) |
Serbien: Nationalversammlung |
Slowakei: Nationalrat |
Slowenien: Staatsversammlung, Staatsrat |
Spanien: Cortes Generales (Abgeordnetenhaus, Senat) |
Tschechien: Abgeordnetenhaus, Senat |
Türkei: Große Nationalversammlung |
Ukraine: Oberster Rat |
Ungarn: Parlament |
Vatikan |
Vereinigtes Königreich: Parlament (Unterhaus, Oberhaus) |
Weißrussland: Repräsentantenhaus, Rat der Republik |
Zypern: Repräsentantenhaus
Sonstige (autonome und überseeische) Gebiete:
Åland: Lagting |
Färöer: Løgting |
Gibraltar: Parlament |
Guernsey: States of Guernsey |
Isle of Man: Tynwald (Haus der Schlüssel, Gesetzgebender Rat) |
Jersey: States of Jersey
Umstrittene (nicht anerkannte) Gebiete:
Kosovo: Parlament |
Transnistrien: Oberster Sowjet |
Türkische Republik Nordzypern: Versammlung der Republik