Chemische Waffe


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25px Giftgas ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Für den gleichnamigen Film aus dem Jahre 1929 siehe Giftgas (Film).
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Warnzeichen der US-amerikanischen Streitkräfte für chemische Waffen

Chemische Waffen (auch Chemiewaffen) sind toxisch wirkende, feste, flüssige oder gasförmige Substanzen oder Gemische, die – in Verbindung mit der notwendigen Waffentechnik zur Ausbringung (Granaten, Sprühvorrichtungen) – ursprünglich hergestellt wurden, um Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen sowie bei Terror- und Sabotageakten zeitweilig kampf- bzw. handlungsunfähig zu machen oder zu töten.<ref name=roemppCW>Eintrag zu chemische Waffen. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 9. September 2013.</ref> In der 1997 inkraftgetretenen Chemiewaffenkonvention wird die Verwendung auf jede Chemikalie in Waffen erweitert, deren toxische Eigenschaften Menschen oder Tiere zeitweiligen oder permanenten Schaden zufügen und auch die zu ihrer Produktion verwendeten Vorgängerstoffe, sofern sie nicht für eine andere Form der Weiterverarbeitung vorgesehen sind, zu den chemischen Waffen gezählt.<ref name="CWC">Article II. Definitions and Criteria. Chemical Weapons Convention, abgerufen am 10. September 2013.</ref> Im erweiterten Sinn werden auch Brand- (Napalm), Nebel- und Rauchstoffe sowie Entlaubungsmittel (Herbizide) und Nesselstoffe zu den chemischen Waffen gerechnet.<ref name=roemppCW/> Chemische Waffen gehören zu den Massenvernichtungswaffen (CBRN-Waffen).

Geschichte

Bereits im Peloponnesischen Krieg 431 bis 404 v. Chr. setzten die Spartaner Brandkörper ein, die hohe Luftkonzentrationen von Schwefeldioxid verursachten. In der Schlacht bei Liegnitz 1241 wurden die christlichen Ritter von den Mongolen durch „dampfausstoßende Kriegsmaschinen“ in Schrecken gesetzt.

Die ersten modernen chemischen Waffen sind im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden und basierten zunächst auf Substanzen, die bereits in der chemischen Industrie verwendet wurden, also in ausreichend großen Mengen vorhanden waren; das waren Gase wie Chlor, Phosgen, Cyanwasserstoff (Blausäure) oder Arsin. Diese hatten jedoch zwei große Nachteile: Zum einen waren sie durch wechselnde Windrichtungen unberechenbar (so konnte eine Gaswolke auf die eigene Stellung zurückgeweht werden), und andererseits verflüchtigte sich das Gas relativ schnell. Daher sind die meisten späteren chemischen Kampfstoffe Flüssigkeiten, die als Aerosole versprüht werden. Das hat zur Folge, dass die Substanzen an Boden, Kleidung, Haut und Gasmasken klebenbleiben und in die Filter eindringen können. Deshalb ist die Verweildauer viel länger als bei Gas, und die in die Filter eingedrungenen Tröpfchen verdunsten mit der Zeit, so dass die Träger kontaminierter Gasmasken kontinuierlich eine gewisse Rate an Kampfstoff einatmen.

Das Hauptziel der neueren Kampfstoffe ist nicht allein die Lunge, sondern auch die Haut. Ein solcher Kampfstoff diffundiert durch die Haut hindurch in die Blutbahn und wird so schnell im ganzen Organismus verteilt. Daher stellen nur Ganzkörperschutzanzüge einen ausreichenden Schutz gegen Kampfstoffe dar. Ein bekannter und wichtiger Kampfstoff dieser Gruppe ist Schwefellost, auch bekannt unter dem Namen Senfgas.

Dass bereits 21 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg die Entwicklung von Chemiewaffen politisch relevant war, zeigt ein Artikel der Times von 1893, in dem das War Office Explosives Committee die Unmöglichkeit thematisierte, Tests der neuen Waffen geheim zu halten:

„Die Experimente müssen teilweise in den eigenen Labors durchgeführt werden, die an öffentliche Einrichtungen angegliedert sind, an deren Angestellte kein offizieller Anspruch auf Geheimhaltung gestellt werden kann; teilweise im Gebäude des War Department Chemical Establishments, wo Angestellte verschiedenster Grade arbeiten und wo laufend Beamte aller Art vorbeischauen, sowie Privatpersonen; gleichzeitig muss die Einrichtung ihre praktischen Experimente im Freien auf dem Gelände des Waffenlagers ausführen, wozu die Zeitungsreporter und ihre Agenten freien Zugang haben.“<ref>The Times vom 24. August 1893, S. 9: The Explosives Committee.</ref>

Erster Weltkrieg

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Livens-Gasgranatwerfer werden geladen
Datei:Bundesarchiv Bild 183-F0313-0208-007, Gaskrieg (Luftbild).jpg
Luftaufnahme eines deutschen Gasangriffs (1916)
Datei:British 55th Division gas casualties 10 April 1918.jpg
Durch Giftgas geblendete britische Soldaten warten auf die Behandlung

Im Ersten Weltkrieg kam es zum ersten Einsatz von chemischen Kampfstoffen im August 1914 durch französische Truppen, die Xylylbromid – ein für die Pariser Polizei entwickeltes Tränengas – gegen deutsche Truppen einsetzten. Erste Versuche beider Seiten mit Stoffen wie Bromessigsäureethylester (durch Frankreich im März 1915) und o-Dianisidinchlorsulfonat, einem feinkristallinen Pulver, das Schleimhäute der Augen und Nase reizte (durch Deutschland am 27. Oktober 1914 bei Neuve-Chapelle), verliefen nicht zufriedenstellend, da die Stoffe sich beim Abschuss durch die entstehende Hitze zersetzten.

In großem Umfang setzte zuerst das deutsche Heer Kampfgase ein, als Ende Januar 1915 an der Ostfront bei Bolimów in Polen bei einer Offensive der 9. Armee mit Xylylbromid gefüllte Geschosse gegen russische Truppen abgefeuert wurden. 18.000 Gasgranaten waren bereitgestellt worden, deren Wirkung aber durch Kälte und Schnee nahezu aufgehoben wurden.<ref>Der Weltkrieg von 1914 bis 1918. Band 7: Die Operationen des Jahres 1915. Die Ereignisse im Winter und Frühjahr. Berlin 1931, S. 166.</ref> Ungleich bekannter wurde jedoch der erste wirkungsvolle Einsatz von chemischen Waffen an der Westfront vom 22. April 1915 in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern. Das deutsche XV. Armee-Korps unter General der Infanterie von Deimling ließ 150 Tonnen Chlorgas nach dem so genannten Haberschen Blasverfahren aus Flaschen entweichen. Eingeatmetes Chlorgas führt zu einem lebensbedrohlichen toxischen Lungenödem. Da Chlor schwerer als Luft ist, sank das Gas in die französischen Schützengräben und forderte dort angeblich rund 5.000 Tote und 10.000 Verletzte; heute geht man von 1.200 Toten und 3.000 Verwundeten aus.<ref>Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz: Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2004, 2. Aufl., S. 520.</ref>

Frankreich setzte als erste der kriegführenden Nationen am 22. Februar 1916 Phosgen (COCl2) in Reinform ein, nachdem deutsche Gastruppen eine Mischung aus Chlorgas mit einem etwa fünfprozentigen Zusatz von Phosgen bereits Ende Mai 1915 an der Ostfront in Bolimów an der Bzura gegen russische Truppen<ref>Hans Günter Brauch: Der chemische Alptraum, oder, gibt es einen C-Waffen-Krieg in Europa? Dietz Verlag, 1982.</ref><ref name="Duisberg Kühlem">Carl Duisberg, Kordula Kühlem (Hrsg.): Carl Duisberg (1861–1935): Briefe eines Industriellen. Oldenbourg Verlag, 2012, ISBN 978-3-486-71283-4.</ref> sowie an der Westfront am 31. Mai 1915 bei Ypern gegen französische Truppen<ref>Georg Feulner: Naturwissenschaften: Daten, Fakten, Ereignisse und Personen. Compact Verlag, 2008, ISBN 978-3-8174-6605-4.</ref> verwendet hatten. Phosgen wird der größte Anteil an allen Gasverletzten zugeschrieben. Später wurden die Kampfstoffe mittels Giftgasgranaten verschossen, bei denen durch farbige Kreuze (Blaukreuz, Gelbkreuz, Grünkreuz und Weißkreuz) erkennbar war, welche Art von Kampfstoff sie enthielten. An der Westfront wurde verstärkt „Gelbkreuz“ eingesetzt, das für Hautkampfstoffe stand.

Buntschießen

Während des Ersten Weltkrieges wurden Kampfstoffe in der Spätphase häufig kombiniert eingesetzt. Stark reizend wirkende Kampfstoffe in Aerosol- oder Pulverform wie Blaukreuz konnten die Filter der Gasmasken durchdringen und zwangen die Träger, die Gasmaske abzunehmen. Gleichzeitig mit diesen Maskenbrechern wurden lungenschädigende Kampfstoffe wie Grünkreuz eingesetzt. Der kombinierte Einsatz verschiedener Kampfstoffe zu diesem Zweck wurde als „Buntschießen“ oder „Buntkreuz“ bezeichnet.

Bei der Offensive deutscher und österreichisch-ungarischer Verbände im Raum Flitsch-Tolmein (Schlacht von Karfreit oder auch Zwölfte Isonzoschlacht) am 24. Oktober 1917 wurde der Angriff durch „Buntschießen“ von Gasbatterien vorbereitet. Die italienischen Soldaten verfügten nur über ungenügende oder gar keine Schutzbekleidung – in diesem Abschnitt starben durch den Gasangriff über 5.000 Italiener. Die angreifenden Verbände hatten es dadurch erheblich leichter, den Durchbruch durch die italienische Front zu erreichen. Auch die psychische Wirkung auf die Italiener war verheerend. Sehr viele Soldaten ergaben sich den Angreifern, die Kampfmoral sank drastisch. Die italienische Front musste bis an den Piave zurückgenommen werden; zur Verstärkung wurden französische und britische Verbände an diese Front verlegt. Die Italiener konnten die Lage nach einer Reorganisation später selbst wieder stabilisieren. Im Juni 1918 versuchte Österreich-Ungarn in einer letzten Offensive, den Piave zu überschreiten. Der Angriff war jedoch nicht erfolgreich, da zum einen die Italiener besser gegen Gasangriffe gerüstet waren und zum anderen ein Teil der chemischen Waffen zu lange gelagert worden war und damit seine Wirksamkeit verloren hatte.

Ein weiterer militärisch erfolgreicher Fall von Buntschießen, wie von Oberst Georg Bruchmüller erfunden, erfolgte bei der Deutschen Frühjahrsoffensive vom 21. März bis 17. Juli 1918 an der Westfront in Nordfrankreich. Dabei lag das Augenmerk nicht auf einer langen Artillerievorbereitung und einem schwerfälligen Angriff auf breiter Front, sondern auf einem kurzen, aber zusätzlich durch gemischten Einsatz von Gasgranaten effektiven Artillerieschlag. Danach sollten die sogenannten Sturmbataillone nachrücken und verbliebene Widerstandsnester ausräumen. Der gemischte Gaseinsatz lähmte dabei die Widerstandskraft des Gegners entscheidend.

Bewertung von chemischen Kampfstoffen als Kriegswaffe

Chemische Kampfstoffe werden heute allgemein als die schrecklichsten Waffen des Ersten Weltkrieges angesehen. Sie verursachten kurzzeitig große Ausfälle, wobei allerdings im Vergleich zu anderen damaligen Waffen die Todesraten sehr gering waren. Trotz der teilweise qualvollen Verletzungen waren die Heilungschancen besser als im Vergleich zu Verwundungen durch Schussverletzungen oder Artillerie; abgesehen von den Spätfolgen wie zum Beispiel Hautkrebs im Falle von S-Lost, die zum Teil erst nach Jahrzehnten eintraten.

Chemische Waffen verursachten im Ersten Weltkrieg auf beiden Seiten insgesamt etwa 90.000 Tote und 1,2 Millionen Verwundete. Aufgrund mangelhafter Ausstattung mit Schutzausrüstung hatte Russland mehr als die Hälfte der Toten zu beklagen. An der Westfront hatten die Alliierten etwa doppelt so hohe Verluste wie die Deutschen.<ref>Analyse des Giftgases im Ersten Weltkrieg.</ref> Deutschland und Österreich-Ungarn rüsteten ihre Soldaten mit wirksameren Gasmasken aus und konnten so höhere Verluste bei Gasangriffen vermeiden.

Aufgrund der verhältnismäßig niedrigen Todesrate (manche Historiker nehmen an, dass insgesamt nur 18.000 Mann an der Westfront durch Gasangriffe starben) und der teilweise unkalkulierbaren Wirkung infolge von nicht vorhersehbaren Faktoren wie bspw. wechselnde Windrichtungen gilt Giftgas im Ersten Weltkrieg als eine wenig effektive Waffe.<ref>Höllisch Wolke</ref>

Zwischen den Weltkriegen

Im Ersten Weltkrieg hatte die Flugzeugtechnik deutliche Fortschritte gemacht: Reichweite, Zuverlässigkeit, Geschwindigkeit und maximale Zuladung hatten stark zugenommen. Auch hatten alle Seiten die Nützlichkeit von Aufklärungsflugzeugen erkannt.

Ab 1919 wurde das Konzept der kolonialen Kontrolle aus der Luft von Winston Churchill erstmals umgesetzt. Die Royal Air Force sollte dabei die Kontrolle über die Kolonien im Nahen Osten übernehmen. Neben konventionellen Waffen wurden dabei auch Giftgaseinsätze aus der Luft erwogen und von Churchill gefordert. Aufgrund von technischen Problemen wurde Giftgas nur mit den bereits im Ersten Weltkrieg erprobten Methoden gegen die irakische Bevölkerung angewandt. Dabei kam es auch zu Giftgaseinsätzen gegen die Kurden in Sulaimaniyya im heutigen Irak.<ref>Chomsky, N.: Deterring Democracy, Hill and Wang, New York 1992, S. 181–182.</ref>

Vorbehalte britischer Militärs wies Churchill zurück: „Ich verstehe die Zimperlichkeit bezüglich des Einsatzes von Gas nicht. Ich bin sehr dafür, Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen“, ließ er verlauten. Das eingesetzte Gas müsse ja nicht tödlich sein, sondern nur „große Schmerzen hervorrufen und einen umfassenden Terror verbreiten“.<ref>Winston Churchill's Secret Poison Gas Memo. Abgerufen am 11. Januar 2015.</ref>

Im Rifkrieg in Nordmarokko setzte Spanien ab 1924 chemische Waffen gegen die aufständischen Rifkabylen, einen Berber-Stamm, ein. Dabei wurde Spanien von Frankreich und in einem Geheimvertrag von der deutschen Reichswehr unterstützt.<ref name="balfour02"> Balfour, Sebastian: Deadly embrace: Morocco and the road to the Spanish Civil War. Oxford University Press, Oxford 2002, ISBN 0-19-925296-3, 5 The secret history of chemical warfare against Moroccans.</ref>

Ein weiteres Mal wurde Giftgas vom faschistischen Italien im Krieg gegen Libyen 1924–1930 sowie gegen Äthiopien 1935–1936 verwendet. Italien setzte Giftgasbomben in Äthiopien ein, nachdem die äthiopische Weihnachtsoffensive erfolgreich italienische Truppen zurückgedrängt und Versorgungslinien unterbrochen hatte. Die äthiopischen Truppen waren sehr schlecht ausgerüstet und viele Krieger kämpften noch mit Speeren. Die Krieger trugen traditionelle Kleidung und verfügten über keine Schutzausrüstung, so dass besonders das hautschädigende Senfgas zu hohen Verlusten führte. Laut sowjetischen Schätzungen kamen durch den Einsatz von Giftgas 15.000 bis 50.000 Äthiopier ums Leben.<ref>The use of chemical weapons in the 1935–36 Italo-Ethiopian War. Abgerufen am 11. Januar 2015.</ref>

Einheiten der Roten Armee unter dem Befehl des späteren Marschalls Michail Tuchatschewski setzten bei der Niederschlagung des Aufstands von Tambow 1921 mit Erlaubnis der Regierung Giftgas ein, um Aufständische zu töten.<ref>Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes, Berlin, 1998, S. 811ff Richard Pipes : Russia under the Bolshevik regime, New York, 1993 S. 387–401. Siehe auch Nicolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion; in: Stéphane Courtois, Nicolas Werth, Jean-Louis Panné, Andrzej Paczkowski, Karel Bartosek, Jean-Louis Margolin. Mitarbeit: Rémi Kauffer, Pierre Rigoulot, Pascal Fontaine, Yves Santamaria, Sylvain Boulouque: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. Mit einem Kapitel „Die Aufarbeitung der DDR“ von Joachim Gauck und Ehrhard Neubert. Aus dem Französischen von Irmela Arnsperger, Bertold Galli, Enrico Heinemann, Ursel Schäfer, Karin Schulte-Bersch, Thomas Woltermann. Piper. München, Zürich 1998, ISBN 3-492-04053-5, S. 51–295, hier S. 165–178.</ref>

Der deutschen Reichswehr war die Entwicklung und der Besitz von chemischen Waffen durch den Versailler Vertrag verboten. Um das Verbot zu umgehen, kooperierte Deutschland ab 1923 mit der Sowjetunion (siehe: Vertrag von Rapallo) und erprobte auf dem Testgelände Tomka chemische Waffen.<ref>Henning Sietz: Es riecht nach Senf! in Die Zeit, 22. Juni 2006 (abgerufen 1. September 2010).</ref> Eine Zusammenarbeit fand auch mit Spanien statt<ref name="balfour02" />.

In den USA wurden Chemiewaffen zwischen den Weltkriegen weiterentwickelt. Zuständig dafür war neben der American Chemical Society (Institut für Chemie an der Northwestern University) eine Militärbehörde, die National Association for Chemical Defense.<ref>siehe dazu William Baxter: The Chemical Warfare Service of the United States Army During the Inter-War Period. Technische Universität Texas, 2004. PDF.</ref> Deren Leiter H. Edmund Bullis<ref>Harold Edmund Bullis, *1888. Der Offizier gründete später das Bullis Project, eines von mehreren Vorhaben, in Grundschulen Standards für „geistige Hygiene“ festzulegen. Siehe das Health Instruction Yearbook 1951, Stanford University Presse, S. 203.</ref> empfahl 1928 sogar den Polizeibehörden den Einsatz dieser „höchst effektiven und zugleich humansten aller Waffen“, eben Chemiewaffen. In Cleveland und Chicago testeten Polizisten in dem Jahr „erfolgreich“ aus „genialen“ Füllfederhalter-großen oder aus normalen Pistolen abgefeuerte neuartige Gase, die „gezeigt haben, dass man drei oder vier Männer, die zusammen nicht weiter als fünf Meter entfernt stehen, mit einem einzigen Schuss nachhaltig ausschalten kann“. Auch Kneipen, die illegal Alkohol ausschenkten (Speakeasys), könne man mit Chemiewaffen „mindestens einen Monat lang unbewohnbar“ machen.<ref>zitiert nach der New York Times vom 30. Juli 1928: War Gas Advocated to Replace Dry Padlock.</ref> Bullis setzte sich vehement gegen ein weltweites Verbot von chemischen Waffen im Krieg ein, mit der Begründung:

„Wir sollten uns nicht die Hände durch eine internationale Übereinkunft binden lassen, deren Einhaltung man nicht sicherstellen kann.“<ref>New York Times vom 15. Juli 1928: Warnos of War Gas Treaty.</ref>

Er nannte als Beispiel den Austritt toxischen Phosgengases aus einem Tank in Hamburg. Das Deutsche Reich durfte eigentlich solche Giftgase gar nicht herstellen und lagern.

Die englische Öffentlichkeit diskutierte nach dem Ersten Weltkrieg über eine stärkere Zusammenlegung von ziviler und militärischer Forschung, wozu auch die Entwicklung neuer Chemiewaffen gehörte. „Die ganze Zukunft der chemischen Kriegführung hängt von der Farbstoffindustrie ab“, schrieb 1920 der Kriegskorrespondent der Londoner Times.<ref>The Times vom 21. Januar 1920, S. 7: The Future of the Army. Science as Substitute for Numbers.</ref>

Genfer Protokoll

Die Verwendung von vergiftenden Waffen war schon vor dem Ersten Weltkrieg durch die Haager Landkriegsordnung geächtet, deren Formulierung bot jedoch ausreichend Spielraum zu verschiedenen Auslegungen, so dass der Einsatz von Giftgas nicht eindeutig verboten war. Angesichts der Gräuel im Ersten Weltkrieg wurde 1925 im Genfer Protokoll die Anwendung von Giftgasen und bakteriologischen Mitteln ausdrücklich verboten.

Die Ratifizierung erfolgte zögerlich: 1926: Frankreich, 1928: Italien, Sowjetunion (Erklärung), 1929: Deutschland, 1930: Großbritannien, 1970: Japan, 1975: USA.<ref name="kirstein">Wolfgang Kirstein (Uni Hamburg): Chemiewaffen und Chemiewaffenübereinkommen (PDF, 576 S.; 10,4 MB), undatiert (offenbar 2007), S. 30.</ref>

Viele der Unterzeichnerstaaten behielten sich bestimmte Handlungen vor, namentlich<ref name="kirstein" />

  • den C-Waffeneinsatz gegen Nichtvertragsstaaten und
  • Gegenangriffe, falls sie mit solchen Waffen angegriffen werden sollten (⇒ Abschreckung/Vergeltung)

Der Vertrag ist nur ein Verbot des Ersteinsatzes von B- und C-Waffen.<ref name="kirstein" />

Zweiter Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkrieges war die einzige Nation, die chemische Waffen einsetzte, das Kaiserreich Japan. Diese wurden zusammen mit biologischen Waffen in China sowohl gegen chinesische Truppen als auch zur gezielten Massentötung von Zivilisten eingesetzt.<ref>PBS Perilous Flight.</ref><ref name="JT1">Vet refuses to take Unit 731 to his grave, Japan Times, 2004.</ref>

Nach Erkenntnissen der Historiker Yoshiaki Yoshimi und Seiya Matsuno erhielt Yasuji Okamura vom Kaiser Hirohito die Erlaubnis, chemische Waffen während dieser Gefechte einzusetzen.<ref>Yoshiaki Yoshimi/Seiya Matsuno: Dokugasusen Kankei Shiryō II (Material on Toxic Gas Warfare). Kaisetsu, 1997, S. 25–29.</ref> Zum Beispiel ermächtigte der Kaiser den Einsatz von Giftgas während der Schlacht um Wuhan von August bis Oktober 1938 in 375 verschiedenen Einsätzen gegen die 1,1 Millionen chinesischen Soldaten, von denen 400.000 während der Schlacht starben.<ref name="The Tragedy of Wuhan, 1938">The Tragedy of Wuhan, 1938.</ref> Artikel 23 der Haager Konvention (1899 und 1907) und Artikel V des Vertrags in Bezug auf die Nutzung von U-Booten und Schadgasen in der Kriegführung vom 6. Februar 1921 verurteilten jedoch bereits den Einsatz von Giftgas.<ref>Chang, Maria Hsia; Barker, Robert P. (2003). Victor's Justice and Japan's Amnesia. in Peter, Li. Japanese War Crimes: The Search for Justice. Transaction Publishers, S. 44, ISBN 0-7658-0890-0.</ref><ref>Washington Treaty in Relation to the Use of Submarines and Noxious Gases in Warfare abgerufen am 14. Juni 2010.</ref> Während der Schlacht von Changsha im Herbst 1939 setzte die Kaiserlich Japanische Armee ebenfalls in großen Mengen Giftgas gegen chinesische Positionen ein. Ein weiteres Beispiel ist die Schlacht von Yichang im Oktober 1941, in der das 19. Artillerieregiment die 13. Brigade der 11. Armee durch Beschuss der chinesischen Streitkräfte mit 1.000 gelben Gasgranaten und 1.500 roten Gasgranaten unterstützte. Das Gebiet war mit chinesischen Zivilisten, deren Evakuierung durch die japanische Armee untersagt wurde, überfüllt. Von den rund 3.000 chinesischen Soldaten in dem Gebiet waren 1.600 von der Wirkung des Gases erheblich betroffen.<ref>Yuki Tanaka, Poison Gas, the Story Japan Would Like to Forget, Bulletin of the Atomic Scientists, October 1988, S. 17.</ref>

Während der Schlacht um Changde im November und Dezember 1943 versuchten Truppen der Kaiserlich Japanischen Armee, darunter die Einheit 516, zusammen mit der Versprühung von biologischen Kampfstoffen von Flugzeugen aus, durch den massiven Einsatz von Giftgas, welches hauptsächlich mit Artilleriegranaten sowohl auf chinesische Stellungen im Umland als auch in die Stadt abgeschossen wurde, den Widerstand der Verteidiger zu brechen.<ref name="JT1" /> Bei dem eingesetzten Gas handelte es sich neben anderen Arten zur Hauptsache höchstwahrscheinlich um Senfgas und Lewisit. Im Laufe der Schlacht starben 50.000 chinesische Soldaten und 300.000 Zivilisten. Wie viele davon durch die biologischen und chemischen Waffen gestorben sind, ist ungeklärt. Sowohl die Einsätze von biologischen als auch von chemischen Waffen durch die Kaiserlich Japanische Armee werden zu den japanischen Kriegsverbrechen gezählt.

Zu den zahllosen Menschenexperimenten der japanischen Armee, darunter der Einheit 731, gehörte auch das Testen von Giftgas an gefangenen chinesischen Zivilisten. Im Jahr 2004 entdeckten Yuki Tanaka und Yoshimi im australischen Nationalarchiv Dokumente, die belegen, dass Zyanidgas im November 1944 auf den Kai-Inseln (Indonesien) an australischen und niederländischen Kriegsgefangenen getestet wurde.<ref>Japan tested chemical weapon on Aussie POW: new evidence The Japan Times Online vom 27. Juli 2004, abgerufen am 14. Juni 2010.</ref>

Das Verbot der Anwendung von vergiftenden, chemischen und biologischen Waffen wurde im Zweiten Weltkrieg zumindest auf dem europäischen Kriegsschauplatz weitgehend beachtet, obwohl nicht alle beteiligten Länder dem Protokoll beigetreten waren. Ein weiterer wichtiger Aspekt war auch die gegenseitige Abschreckung, vergleichbar mit der atomaren Abschreckung im Kalten Krieg: Hätte eine der kriegführenden Parteien Giftgas eingesetzt, wurde als Folge eine Bombardierung des eigenen Territoriums mit chemischen Waffen durch Gegner befürchtet. Für den Fall, dass Deutschland an der Ostfront Kampfstoffe einsetzen sollte, hatte der britische Premierminister Churchill bereits im Mai 1942 mit einem Großeinsatz von Kampfstoffen gedroht. Ein amerikanischer Plan vom April 1944 sah für den Fall des Kampfstoffeinsatzes durch Deutschland einen Vergeltungsangriff gegen 30 große deutsche Städte vor. Innerhalb von 14 Tagen sollten in diesem Fall die Städte mit einer Gesamtfläche von 217 km² angegriffen und über ihnen insgesamt 15.345 t Senfgas (Lost) und 21.176 t Phosgen abgeworfen werden. Wegen der extrem hohen Kampfstoffkonzentration in diesem Fall (168 Gramm je Quadratmeter) gingen Schätzungen von 5,6 Millionen unmittelbar durch den Einsatz Getöteten und weiteren 12 Millionen an den Folgen des Angriffs Gestorbenen und Verletzten aus. Auch wäre der Einsatz meist unvorteilhaft gewesen, da die eigenen Soldaten in der Offensive verseuchtes Gelände eingenommen hätten und daher selbst Vergiftungen zu fürchten gehabt hätten.

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Ein britisches Plakat während des Zweiten Weltkrieges warnt vor möglichen Gasangriffen

An den europäischen Fronten sind während des ganzen Zweiten Weltkriegs nur vier Fälle bekannt geworden, in denen Menschen durch Kampfstoffe getötet oder verletzt wurden, dabei handelte es sich um einen gezielten Kampfstoffeinsatz sowie drei Unfälle:

  • Vermutlich aufgrund der Entscheidung eines einzelnen Offiziers verwendeten polnische Truppen Senfgasbomben zur Sprengung einer Brücke und zur Verminung einer Straßensperre in der Nähe von Jaslo. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet.
  • Am 11. September 1939 wurden drei deutsche Soldaten bei Ostrowiec (Polen) durch Gas verletzt, als sie einen auffälligen Behälter öffneten.
  • Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe den italienischen Hafen von Bari. Dabei wurde der unter anderem mit 100 t Stickstoff-Lost beladene US-Frachter John Harvey getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da auf Grund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt durch das Gas getötet wurden, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht; es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, wovon etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1.000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass Vergeltungsschläge mit Giftgas gegen die deutschen Truppen unterblieben.
  • Am 8. April 1945 griffen amerikanische Jagdbomber den Bahnhof Lossa (zwischen Sömmerda und Naumburg) an. Dabei wurden einige mit Tabun gefüllte Bomben beschädigt, die im Rahmen der Verlagerung eines Luftwaffen-Munitionslagers während ihres Transportes dort standen. Genaue Verluste sind nicht bekannt geworden.

Im nationalsozialistischen Deutschen Reich wurde im Dezember 1936 bei I.G. Farben im Werk Leverkusen durch den Chemiker Gerhard Schrader das Nervengas Tabun entdeckt. Im Dezember 1939 synthetisierte er das in seiner Wirkung noch stärkere Nervengas Sarin. Ab Frühjahr 1942 produzierte I.G. Farben in ihrem Werk in Dyhernfurth in Schlesien das Nervengift Tabun. 1944 entdeckte der Nobelpreisträger Richard Kuhn mit seinem Mitarbeiter, Konrad Henkel, das Nervengas Soman in einer vom Heereswaffenamt unterhaltenen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg. Diese Nervengase wurden aufgrund der Furcht vor einem Gegenschlag nicht eingesetzt.

Deutschland hatte Ende der dreißiger Jahre als erste Nation die großtechnische (industrielle) Produktion von Nervengasen entwickelt, war also als einzige Kriegspartei zur Herstellung von Nervengasen im Kilogramm- und Tonnenbereich in der Lage. Dieser Umstand, gekoppelt mit der Verfügbarkeit modernster Trägersysteme wie der V-2, hätte die politische Führung in die Lage versetzt, einen strategischen Gaskrieg zu entfesseln, der unter Umständen von der Tragweite her ähnlich gravierend hätte sein können wie die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Die verantwortliche Führung des deutschen Kampfgasentwicklungsprogramms verheimlichte Hitler gegenüber bewusst die tatsächlichen Möglichkeiten, denn eine Eskalation zum Gaskrieg wurde befürchtet, falls Hitler klar werden sollte, welche Wirkung beispielsweise ein mit Tabungefechtsköpfen bestückter V-2-Angriff auf London hätte haben können. Für den taktischen Einsatz waren bereits als Träger Werferwaffen (sog. Nebelwerfer) hergestellt und die entsprechenden Truppen (Nebeltruppe) geschult worden. Die oft geäußerte Vermutung, dass die Erfahrungen Hitlers im Ersten Weltkrieg ihn davon abgehalten haben sollen, chemische Kampfstoffe einsetzen zu lassen, entbehrt jeder Grundlage, da er selbst die Produktion dieser befahl und die Vorbereitungen für den Beginn eines Gaskrieges anordnete.<ref>Hubatsch (Hg.): Kriegstagebuch des OKW (Bd. III.I). 1963, S. 112.</ref> Die Gründe dafür, dass die ab 1942 in großem Umfang produzierten Nervengase nicht zum Einsatz kamen, waren größtenteils logistischer (Rohstoffknappheit) und militärstrategischer Art. Ebenfalls von Bedeutung waren sowohl die deutsche Fehleinschätzung, die Alliierten würden ebenfalls über Nervengas verfügen, als auch die alliierte Androhung massiver Gegenschläge im Falle eines deutschen Ersteinsatzes chemischer Kampfstoffe.<ref>Schmaltz, Florian: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus : zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Göttingen : Wallstein 2005, S. 30 f.</ref>

In den Gaskammern der deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Belzec, Sobibor, Mauthausen, Treblinka und Lublin-Majdanek wurden viele Opfer des Holocaust mit dem blausäurehaltigen Insektizid Zyklon B und mit Motorabgasen (Kohlenstoffmonoxid) ermordet.

Nach 1945

Datei:Agent Orange Cropdusting.jpg
Ausbringen von Entlaubungsmitteln im Zuge der Operation Ranch Hand durch drei UC-123B während des Vietnamkrieges

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden umfangreiche deutsche Bestände – zwischen 30.000 und 40.000 Tonnen chemischer Waffen<ref name=kaffka>Kaffka, Alexander V. und North Atlantic Treaty Organization, Scientific Affairs Division. Sea Dumped Chemical Weapons: Aspects, Problems, and Solutions, (Books link), Springer, 1996, S. 31-38, ISBN 0792340906.</ref> – in der Nord- und Ostsee in der von US-amerikanischen Streitkräften geleiteten Operation Davy Jones' Locker mitsamt ihren Transportschiffen versenkt, so vor der norwegischen Hafenstadt Arendal 1946. Die Versenkung der Schiffe erfolgte durch Sprengung oder Beschuss durch Bordwaffen begleitender britischer Kriegsschiffe. 1955/56 wurden Restbestände, die von der Royal Air Force gebunkert worden waren, in der Operation Sandcastle nordwestlich von Irland im Atlantik versenkt, so auch die SS Kotka. Von 1944 bis 1970 wurden von Seiten der United States Army in 26 so genannten Versenkungszonen (dump zones) an der Ostküste der USA chemische Kampfstoffe versenkt, von denen aufgrund mangelnder oder unzureichender Dokumentation unklar ist, wo sie sich exakt befinden und welche Chemikalien in welcher Menge dort lagern.

Gesichert ist, dass Ägypten chemische Waffen im Jemen eingesetzt hat. Die Technologie dazu stammte aus der Sowjetunion, welche diese auch an andere mit ihr verbündete Staaten des Nahen Ostens – wie dem Irak – weitergegeben hatte.

Während anfangs von Frankreich und den USA noch konventionelle Brandbomben wie Napalm gegen die Nordvietnamesen und die FNL verwendet wurden, startete die Regierung Kennedy 1961 den systematischen Einsatz von Chemikalien gegen Nordvietnam. Die im Zuge der Operation Ranch Hand als Entlaubungsmittel eingesetzten Herbizide (vor allem Agent Orange) sollten dem Gegner die Deckung durch die Vegetation nehmen sowie seine Ernte vernichten. Agent Orange war mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin verunreinigt und verursachte dadurch schwere gesundheitliche Schäden unter der Bevölkerung und Soldaten beider Seiten.

Erste Verhandlungen zu einem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ, auch Chemiewaffenkonvention genannt) begannen 1968 mit der Working Group on Chemical Weapons bei der Eighteen Nations Conference on Disarmament (ENCD) der UN in Genf, die seit 1962 bestand. 1969 nahm eine Conference of the Committee on Disarmament of the UN (CCD) ihre Tätigkeit auf. Der angebliche Einsatz von Sarin gegen eigene Kräfte (Deserteure) in der Operation Tailwind im September 1970 in Laos entpuppte sich als politisch motivierte Falschmeldung. 1975 gab es 30 Teilnehmerstaaten für ein CWÜ; darunter waren auch die Bundesrepublik und die DDR. 1976 fanden bilaterale Verhandlungen von USA und UdSSR statt. Die Verhandlungen wurden im selben Jahr unterbrochen. Erst 1979 einigten sich die USA und UdSSR weitgehend über die Grundstruktur des Vertrags und weitgehend auch über Verifikationsmaßnahmen; ungelöst blieb aber die Frage von Ad-hoc-Verdachtskontrollen vor Ort. 1979 gab es ein Committee on Disarmament of the United Nations (CD); es hatte 40 Teilnehmerstaaten.<ref name="k2">Wolfgang Kirstein (Uni Hamburg): Chemiewaffen und Chemiewaffenübereinkommen (PDF, 576 S.; 10,4 MB), undatiert (offenbar 2007), S. 32.</ref> 1980 bildete sich ein Ad Hoc Committee on Chemical Weapons.<ref name="k2" />

1981 beschuldigte der US-amerikanische Außenminister Alexander Haig die UdSSR und die von ihr unterstützte Vietnamesische Volksarmee, im Zweiten Laotischen Bürgerkrieg (1963–73) Mykotoxine eingesetzt zu haben, um Tausende von Hmong zu töten.<ref>Gelber Regen. Der Spiegel vom 11. Januar 1982, abgerufen am 26. November 2014.</ref> Diese Vorwürfe konnten nicht bewiesen werden.<ref>Philip M. Boffey: Declassified Cables Add to Doubts About U.S. Disclosures on 'Yellow Rain'. In: New York Times. 31. August 1987. Abgerufen am 26. November 2014.</ref>

Ende der 1980er Jahre erkannte das US-Militär, dass die bisherigen, lange gelagerten Chemiewaffen bis spätestens 1990 zum Großteil zersetzt und damit militärisch unbrauchbar sein würden; daher unterschrieb Präsident Ronald Reagan 1987 ein Gesetz, um die alten chemischen Kampfstoffe zu zerstören und gegen neue, binäre Kampfstoffe zu ersetzen.<ref name="bartels">Wolfgang Bartels: Altes und neues Giftgas in der Bundesrepublik. Wissenschaft und Frieden, 1989-4: Die 90er Jahre: Neue Horizonte.</ref> Bei diesen wird nicht der endgültige und wirksame chemische Kampfstoff bereitgehalten, sondern verschiedene, stabilere und weniger korrosive Komponenten, die beim Einsatz der binären Waffen dann erst zum Wirkstoff reagieren.

Siehe auch: Aktion Lindwurm

Chemiewaffenübereinkommen (1992/1997)

Hauptartikel: Chemiewaffenkonvention

Nach dem Ende des Kalten Krieges um 1990 änderte sich die geostrategische Lage deutlich. Es kam zu zahlreichen Abrüstungsverhandlungen zwischen westlichen Staaten und Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Chemische Waffen (oft lagerten sie in inzwischen rostigen Tanks) galten vielen inzwischen als Altlast.

Am 3. September 1992 wurde das CWÜ von den Mitgliedstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz (UNCD) verabschiedet. Seit 13. Januar 1993 kann es unterzeichnet werden.<ref>www.ausfuhrkontrolle.info (BAFA)</ref> Eine Unterzeichnung erfolgte durch etwa 150 Staaten, darunter USA und Russland.<ref name="k2" />

Deutschland hat die Konvention 1994 ratifiziert, Österreich und die Schweiz 1995.

Am 29. April 1997 trat das Chemiewaffenübereinkommen in Kraft 1997 erfolgte die Ratifizierung auch durch die USA und Russland.<ref name="k2" /> Die ratifizierenden Staaten haben sich durch das CWÜ unter anderem dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2012 sämtliche Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht zu vernichten.

Stand Dezember 2013 sind 190 Staaten der Konvention beigetreten. Als jüngstes Ratifizierungsland ist Syrien der Konvention am 14. September 2013 beigetreten.<ref>Liste der Mitglieds-Staaten der OPCW.</ref> Im Januar 1993 unterzeichnet, aber bis heute noch nicht ratifiziert wurde der Vertrag von Israel und Myanmar. Vier Staaten haben die Konvention bisher weder unterzeichnet noch ratifiziert: Ägypten, Angola, Nordkorea und Südsudan.<ref>Liste der Nicht-Mitglieds-Staaten der OPCW.</ref> Die Einhaltung des Abkommens wird durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, OVCW (englisch Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW) überwacht. Die OVCW ist eine internationale Organisation mit Sitz in Den Haag.<ref>www.opcw.org eine internationale Organisation.</ref>

Erster Golfkrieg

Datei:Chemical weapon1.jpg
Iranischer Soldat mit Gasmaske

Schon zu Beginn des Ersten Golfkriegs setzte die irakische Armee auf Weisung Saddam Husseins chemische Waffen gegen den Iran ein. So warf die irakische Luftwaffe bereits 1980 speziell dafür entwickelte Kanister mit chemischen Kampfstoffen über iranischen Stellungen ab.<ref>Botschaft d. Islamischen Republik Iran, Presse- u. Kulturabteilung (Hrsg.): Iran und die Islamische Republik: Zum Irakisch-Iranischen Krieg. Bonn 1981, S. 41.</ref> Bekanntheit erlangte der Giftgasangriff auf die Fernverkehrsstraße am 9. August 1983 Rawanduz–Piranschahr.<ref name="Fuertig">Henner Fürtig: Der irakisch-iranische Krieg. Akademie Verlag GmbH, 1992, ISBN 3-05-001905-0, S. 81.</ref>

Insgesamt wurden etwa 100.000 iranische Soldaten Opfer von Gasangriffen. Viele davon wurden durch Senfgas verwundet. Etwa 20.000 davon wurden während des Einsatzes sofort hauptsächlich durch die Nervengase Tabun und VX getötet. Diese Zahlen schließen allerdings keine Zivilisten ein. Da Giftgas während der Kämpfe auch auf Stellungen und Posten abgeworfen wurde, die sich in oder um Dörfer befanden und deren Einwohner keine Möglichkeit hatten, sich gegen die Gase zu schützen, gab es auch unter der Zivilbevölkerung sehr viele Opfer. Außerdem wurden durch den Einsatz verschiedener Gase Gebiete mit gefährlichen chemischen Schadstoffen kontaminiert.<ref>Farnaz Fassihi: In Iran, grim reminders of Saddam's arsenal. October 27, 2002. Abgerufen am 17. Dezember 2010.</ref> <ref>Elaine Sciolino: Iraq Chemical Arms Condemned, but West Once Looked the Other Way. February 13, 2003. Abgerufen am 17. Dezember 2010.</ref>

Der Irak setzte chemische Waffen auch gezielt ein, um Zivilisten zu töten. Tausende wurden bei Giftgasangriffen auf Dörfer, Städte und Frontkrankenhäuser getötet, so auch beim und der Giftgasangriff auf Sardasht vom 28. Juni 1987. Bekanntestes Beispiel ist der Giftgasangriff auf Halabdscha am 16. März 1988, bei dem etwa 5.000 irakische Kurden getötet und 7.000 bis 10.000 so schwer verletzt wurden, dass viele von ihnen später starben. Die irakischen Streitkräfte setzten mehrere verschiedene Gase gleichzeitig ein. Dazu gehören Nervengase wie Tabun, Sarin und möglicherweise VX, aber auch Senfgas und ein Cyanidkampfstoff.<ref>Death Clouds: Saddam Hussein’s Chemical War Against the Kurds.</ref>

Im Rahmen der Vorbereitung auf den Ersten und Zweiten Irakkrieg kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den USA und Deutschland über die Herkunft der irakischen Chemiewaffentechnologie.

Terrorismus

1995 kam es beim Terror-Anschlag der japanischen Aum-Sekte zur Freisetzung des Nervengases Sarin in der U-Bahn von Tokyo. Es gab 12 Tote und über 5.000 Verletzte. Ein früherer Anschlag der Sekte mit 7 Toten und 144 Verletzten wurde erst im Nachhinein bekannt.

Im Oktober 2002 verwendeten russische Sicherheitskräfte in Moskau vermutlich das Opioid Carfentanyl und das Anästhetikum Halothan in Form eines Aerosol-Gas-Gemischs, um Terroristen kampfunfähig zu machen, die in einem Musical-Theater 800 Geiseln festhielten. Alle Geiselnehmer und über 129 Geiseln kamen ums Leben, die meisten aufgrund des Gases. Viele erlagen im Krankenhaus ihren Vergiftungen, wozu möglicherweise auch die fehlende Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit den Ärzten beigetragen hat. Der Einsatz von Carfentanyl wurde offiziell nie bestätigt, möglicherweise im Hinblick auf die von Russland ratifizierte Chemiewaffenkonvention.

Während des Irakkrieges setzte eine Terrororganisation, bei der es sich Berichten zufolge um die al-Qaida handelte,<ref>Multi-National Force Iraq, Combined Press Information Center: Chlorine Tanks Destroyed, Terrorists Killed in Raids. 20. April 2007. Press Release A070420a. Abgerufen am 17. Dezember 2010.</ref><ref>Multi-National Force Iraq, Combined Press Information Center: Suicide Vehicle Detonates outside Police Checkpoint. 6. April 2007. Press Release 20070406-34. Abgerufen am 17. Dezember 2010.</ref> chemische Waffen hauptsächlich gegen Zivilisten ein, aber auch gegen US-Soldaten und irakische Soldaten und Polizisten. Bei dem eingesetzten Gas handelte es sich um Chlorgas. Da die Anschläge alle unter freiem Himmel durchgeführt wurden, war die Zahl der Todesopfer meistens gering, die Zahl der Verletzten betrug jedoch oft mehrere hundert. Zu den am meisten wahrgenommenen Giftgasanschlägen im Irak zählen der Anschlag auf eine Polizeiwache am 6. April 2007 mit 27 Toten<ref>ABC News: Suicide Chlorine Bombing Kills 27.</ref> und der Anschlag auf einen Dorfmarkt in Abu Sayda am 15. Mai 2007 mit 45 Toten.<ref>Ian Black: Chlorine bomb blamed for up to 45 deaths in Iraqi Shia town, The Guardian. 17. Mai 2007. Abgerufen am 23. Januar 2008. </ref>

Bürgerkrieg Syrien 2013

Im Umland von Damaskus sind laut Chemiewaffeninspektoren der UNO in mehreren Dörfern Kampfmittel mit Sarin zum Einsatz gekommen. Der mögliche Einsatz von chemischen Waffen in drei weiteren Orten (Chan al-Asal und Scheich Maksud in der Provinz Aleppo sowie Sarakib, einer Kleinstadt nahe der Provinzhauptstadt Idlib,<ref>Syrische Rebellen sagen sich von Nationaler Koalition los, ORF.at vom 25. September 2013.</ref>) soll untersucht werden.

Chemische Waffen

Chemische Kampfmittel

Datei:155mmMustardGasShells.jpg
155-mm-Senfgasgranaten der US-Armee

Als chemische Kampfmittel bezeichnet man jede Art von Gegenständen (Munition, Schweltöpfe, aber auch im strengen Sinne z. B. einfache Flaschen), die es ermöglichen, einen chemischen Kampfstoff zu transportieren. Sie lassen sich nach ihrem Angriffsgebiet am menschlichen Körper beziehungsweise ihrer Wirkung einordnen. Eine Grenzziehung zwischen den einzelnen Gruppen ist dabei aber nicht immer eindeutig möglich. Auch ist bei manchen dieser Gruppen bereits die bloße Zuordnung zu den chemischen Kampfstoffen umstritten.

Die chemischen Kampfmittel an sich werden in folgende Kategorien unterteilt:

  • Chemische Kampfstoffe im klassischen Sinn: Lungenkampfstoffe, Blutkampfstoffe, Hautkampfstoffe, Nervenkampfstoffe, Psychokampfstoffe.
  • Reizstoffe: Reizen die Augen oder die Atemwege. Ein Beispiel ist das CS-Gas, das von der Polizei und zur Selbstverteidigung eingesetzt wird. Reizstoffe unterscheiden sich von anderen Hautkampfstoffen durch ihre weniger starke Wirkung. In sehr hohen Dosen oder bei empfindlichen Personen (z. B. Asthmapatienten) können die so genannten „Tränengase“ ebenfalls zu Hautreizungen, Atemnot oder Augen- und Lungenschäden führen und in ausreichender Konzentration tödlich sein. Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Maskenbrecher. Sie führen zu Übelkeit und sollten ihre Opfer dazu bringen ihre Atemschutzmasken abzunehmen. Meist wurden diese Substanzen mit anderen chemischen Kampfstoffen in Kombination eingesetzt, um deren toxische Wirkung voll zum Einsatz zu bringen.
  • Nebelkampfstoffe: Diese Stoffe erzeugen in der Luft dichte, undurchdringliche Nebelschwaden und sollen somit dem Gegner die Sicht nehmen. In diese Kategorie fallen z. B. Rauchgranaten.

Chemische Kampfstoffe

Die chemischen Kampfstoffe im klassischen Sinn können erneut in verschiedene Kampfstoffklassen unterteilt werden, je nach Art und Ort ihrer Wirkung:

  • Lungenkampfstoffe: Greifen direkt die Lunge an. Dadurch wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers unterbrochen, was zum Tode führt. Darunter fallen zum Beispiel Chlor, Phosgen, Diphosgen (Perstoff) und Chlorpikrin.
  • Blutkampfstoff: Auch hier wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers blockiert. Allerdings wird bei diesen Kampfstoffen die Zellatmung oder das Blut angegriffen, das den Sauerstoff zu den einzelnen Organen transportiert. Darunter fallen unter anderem Cyanwasserstoff, Arsenwasserstoff und Chlorcyan.
Datei:Mustard gas burns.jpg
Kanadischer Soldat mit Senfgas-Verbrennung während des Ersten Weltkrieges

Viele chemische Kampfstoffe werden bevorzugt als Binärkampfstoffe eingesetzt, etwa die Nervenkampfstoffe Sarin, Soman und VX. Dabei werden zwei oder mehr im Vergleich zum Endstoff relativ ungefährliche Substanzen voneinander getrennt in einem Geschoss gelagert. Der eigentliche Kampfstoff entsteht erst nach dem Abschuss meist durch einfaches Vermischen der Komponenten, teilweise unter Zuhilfenahme eines geeigneten Reaktionsbeschleunigers. Vorteile sind die relativ gefahrlose Lagerung und Handhabung, da die verwendeten Chemikalien meist weniger giftig sowie besser lagerfähig als die Kampfstoffe selbst sind, d.h. es tritt keine oder nur geringe Zersetzung der Chemikalien oder Korrosion der Geschosse auf.<ref name=roempp>Eintrag zu binäre Kampfstoffe. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 9. September 2013.</ref>

Einsatzkonzept

Im Gegensatz zu den frühen Kampfstoffen, die gasförmig waren, werden heute überwiegend flüssige Kampfstoffe (selten auch Feststoffe) verwendet. Diese werden als Aerosol eingesetzt. Man unterscheidet hierbei nach der Tropfengröße zwischen zwei Einsatzarten: flüchtig und sesshaft.

Einsatz flüchtig

Beim flüchtigen Einsatz werden sehr kleine Tropfen verwendet, die größtenteils augenblicklich verdampfen, so dass sehr schnell eine hohe Konzentration des Kampfstoffes wirksam werden kann (50 % als Dampf und 50 % als Feinaerosol). Die Belegungsdichte wird so gewählt, dass ein Atemzug in den meisten Fällen tödliche Mengen des Kampfstoffes enthält. Durch die rasche Verdampfung sollte das Gebiet nach maximal vier Stunden wieder ohne Schutz passierbar sein. Ziel des Angriffes ist es, den Gegner im angegriffenen Gebiet stark zu schwächen, um einen Durchbruch zu erleichtern, jedoch ohne die eigenen Truppen durch Schutzanzüge zu behindern. Am besten für einen flüchtigen Einsatz geeignet sind Sarin, Soman und Tabun (zusammengefasst unter dem Begriff G-Stoffe oder Trilone) oder Blausäure. Letztere stellt eine Ausnahme dar, da sie sehr leicht flüchtig ist und schon nach wenigen Minuten nicht mehr nachzuweisen ist (maximal 15 Minuten). Man spricht hier von einem superflüchtigen Kampfstoff. Wahrscheinlichste Einsatzmittel sind Mehrfachraketenwerfer und Fliegerbomben (eventuell mit Submunition), da diese eine sehr hohe Belegungsdichte ermöglichen.

Einsatz sesshaft

Beim sesshaften Einsatz werden vergleichsweise große Tropfen (0,1 mm bis 1 mm Durchmesser) eingesetzt. Aufgrund der Größe fallen die Tropfen schneller, die Dampfkonzentration ist wesentlich kleiner (20 % Dampf, 80 % Tropfen) und ein Großteil des Kampfstoffes erreicht den Boden, wo er je nach Art des Kampfstoffes und der Witterung mehrere Wochen verbleiben kann. Ziel des Angriffes ist nicht die unmittelbare Vernichtung des Feindes, sondern die Einschränkung seiner Handlungsfreiheit. Schutz- und Dekontaminationsmaßnahmen kosten Zeit, kontaminiertes Gebiet ist nur mühsam zu durchqueren und die Moral der Truppe leidet erheblich. Des Weiteren müssen kontaminierte Truppenteile ersetzt und evakuiert werden, bevor die Schutzanzüge gesättigt sind (normalerweise nach spätestens 12 Stunden). Die wahrscheinlichsten Ziele sind gegnerische Flankenstellungen (um deren Gegenangriff zu erschweren oder zu verhindern), Artilleriestellungen (Ausschalten der Feuerunterstützung), Kommandostände und Nachschubwege. Am besten für diese Einsatzart geeignet sind Yperit (Senfgas/Lost) und V-Stoffe (namentlich VX). Die möglichen Einsatzmittel sind vielfältig, da nicht auf die Belegungsdichte geachtet werden muss (Artillerie, Bomben, Sprühflugzeuge, Raketen, Marschflugkörper etc.). Eine Sonderform des sesshaften Einsatzes ist der Einsatz verdickter Kampfstoffe. Dem Kampfstoff werden hierzu Verdickungsmittel beigemischt, um dessen Viskosität und damit die Tropfengröße weiter zu erhöhen. Dies führt wiederum zu einer geringeren Verdunstungsrate und damit größerer Sesshaftigkeit. Des Weiteren wird die Dekontamination stark erschwert. Hauptziele wären z. B. Flugplätze, um deren Benutzung langfristig zu verhindern.

Internationale Ächtung

Seit 1997 sind chemische Waffen durch die Chemiewaffenkonvention international offiziell geächtet; auch die Entwicklung, Herstellung und Lagerung sind verboten. Dennoch bleiben die USA, neben Russland, nach wie vor größter Besitzer chemischer Kampfstoffe.

Vernichtung

Albanien

Datei:Albania chemweapcanister.jpg
Ein sowjetischer Chemiewaffenkanister aus albanischen Beständen, 2006

Mitte Juli 2007 wurde mitgeteilt, dass Albanien als weltweit erster Staat seine sämtlichen Bestände an Chemischen Waffen nachweislich vernichtet hat. Die Finanzierung des Projektes erfolgte mit insgesamt 48 Millionen US-Dollar. Die Vernichtung der Kampfstoffe Schwefellost, Lewisit, Adamsit und Chloracetophenon dauerte von Februar bis Juli 2007. Die Technologie und damit die Anlage für die Vernichtung der Kampfstoffe wurde von einem renommierten deutschen Anlagenbauer gestellt. Der Betrieb der Vernichtungsanlage erfolgte ebenfalls durch deutsches Personal.<ref>„Albanien vernichtet alle Chemiewaffen“, Deutsche Welle, 13. Juli 2007.</ref>

Deutschland

In Deutschland wurden chemische Kampfstoffe im Zweiten Weltkrieg unter anderem bei der Firma ORGACID in Halle-Ammendorf und in beiden Weltkriegen in Munster hergestellt.<ref>geschichtsspuren.de: Kampfstoff in Munster-Nord – Heeresversuchsstelle Raubkammer.</ref> Nach Ende des Krieges verblieben beträchtliche Mengen an Waffen in den Produktionsstätten. Sie wurden von den Alliierten beschlagnahmt und auf diverse Schiffe (z. B. SMS Berlin) geladen, die dann im Skagerrak versenkt wurden. Aus heutiger Sicht wäre dies eine Umweltstraftat, war aber damals erlaubt.

Heute ist an den ehemaligen Produktionsstandorten nur noch verseuchter Boden übrig, der in zwei Entsorgungsanlagen der Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten mbH (GEKA) kontrolliert vernichtet wird.<ref>www.geka-munster.de. Abgerufen am 11. Januar 2015.</ref> In den Anlagen der bundeseigenen Gesellschaft wird kontaminierter Boden zuerst „gewaschen“, um die hochkontaminierten Bereiche abzutrennen. Diese werden mit Kalk vermischt und in einer Plasmaanlage bei 1.350 bis 1.550 °C im Lichtbogen geschmolzen. Es entsteht dabei nach dem Abkühlen glasartige Schlacke, in der nichtbrennbare Stoffe gebunden sind sowie Verbrennungsgase. Mit Chemikalien befüllte Munition wird vorher in einem so genannten Sprengofen gesprengt. In beiden Fällen werden die Gase ausgewaschen und anschließend die Salze ausgefällt.

Russland

Am 1. April 2006 wurde die zweite russische Anlage zur Vernichtung von Chemiewaffen in Kambarka, Republik Udmurtien in Betrieb genommen. In der Anlage, die mit deutscher Hilfe finanziert wurde, sollten 6.350 t arsenhaltiger Hautkampfstoff beseitigt werden, deren Vernichtungskosten über 270 Millionen Euro betragen. Deutschland trägt davon 90 Millionen Euro. Die erste C-Waffen-Vernichtungsanlage wurde im Dezember 2002 in der Kleinstadt Gorny im Gebiet Saratow am Mittellauf der Wolga gebaut. Außerhalb von Potschep, im Gebiet Brjansk, lagern abgefüllt in über 67.000 Fliegerbomben rund 7.500 t der Nervenkampfstoffe Vx, Sarin und Soman. In einem ersten Schritt wurden die Kampfstoffe von russischer Seite waffenuntauglich gemacht und ab 2009 eine Anlage mit Hochturbulenzreaktoren zur thermischen Entsorgung der Kampfstoffe in Betrieb genommen. Russland übernahm von der ehemaligen Sowjetunion rund 40.000 Tonnen Chemiewaffen, die bis 2012 vernichtet werden sollen.

Die etwa 400 km östlich von Moskau gelegene Stadt Dserschinsk wurde 2006, 2007 und 2013 vom amerikanischen Blacksmith Institute zu einem der zehn am stärksten verseuchten Orte der Welt „nominiert“. Wasser und Böden sind hier hochgradig mit Chemikalien aus der Zeit der Chemiewaffenproduktion im Kalten Krieg verseucht, da neben Leckagen und anderen Unfällen in den Jahren 1930 bis 1998 etwa 300.000 Tonnen chemischer Abfälle unsachgemäß entsorgt wurden. Über laufende Sanierungsmaßnahmen ist bislang nichts bekannt.<ref>THE WORLDS WORST 2013: THE TOP TEN TOXIC THREATS. Abgerufen am 11. Januar 2015.</ref>

Vereinigte Staaten

Datei:First Chemical weapons destroyed at JACADS.jpg
Vernichtung einer mit Sarin, einem Nervengas, gefüllten Rakete im Johnston Atoll Chemical Agent Disposal System (kurz JACADS)

Die USA nutzten ab Ende der 1980er Jahre bis Ende der 1990er Jahre eine Anlage für die Vernichtung von chemischen Kampfstoffen auf dem Johnston-Atoll im Pazifik.

Die Vernichtung von 90 % der C-Waffen der USA in den letzten zwei Jahrzehnten durch Verbrennung hat 35 Milliarden US-Dollar gekostet.<ref name="orf_11-09-2013"/>

Überlegungen für Syrien

Russland schlug im September 2013 vor, Syrien möge seine Chemiewaffen unter westlicher Aufsicht zerstören. Die USA, die zuerst mit einem militärischen Schlag gedroht hatten, setzten dann auf eine diplomatische Lösung.<ref name="orf_11-09-2013">Gigantische Herausforderung. ORF.at vom 11. September 2013.</ref> Syrien hat nunmehr am 14. September 2013 den Beitritt zur OPCW ratifiziert welcher 30 Tage später vertragsgemäß in Kraft trat. Alle Anlagen zur Produktion der Waffen und zum Abfüllen von Munition sollen nach Angaben der OPCW unmittelbar danach zerstört worden sein.<ref>OPCW-Bericht: Syriens Produktionsstätten für Chemiewaffen stillgelegt. In: Spiegel Online. 31. Oktober 2013, abgerufen am 9. Januar 2014.</ref> Da die NGO Arms Control Association und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen davon ausgehen, dass eine Vernichtung während des laufenden Bürgerkriegs kaum vorstellbar sei, hat letztgenannte einen mehrstufigen Plan zum Abtransport der nunmehr auf 1.000 Tonnen geschätzten chemischen Kampfstoffe und eine Vernichtung außerhalb Syriens unter der Beteiligung mehrerer Staaten voraussichtlich bis Ende 2014 vorgestellt.<ref>OPCW stellt Plan für Vernichtung syrischer Chemiewaffen vor. In: derStandard.at. 18. Dezember 2013, abgerufen am 9. Januar 2014.</ref>[veraltet]

Chemikalien-Lieferungen für Waffenproduktion?

Die britische Zeitung Daily Mail enthüllte am 7. September 2013, dass von 2004 bis 2010 die britische Regierung fünfmal zwei britischen Firmen die Lieferung der Chemikalie Natriumfluorid bewilligt habe, die zur Synthese von fluorhaltigem Sarin verwendet werden kann.<ref>»Sechs-Jahres-Vorrat« an Chemikalien für Sarin-Produktion von Großbritannien an Syrien geliefert. In: de.sott.net (Signs Of The Times). 9. September 2013, abgerufen am 9. Januar 2014.</ref><ref>Mark Nicol: Britain sent poison gas chemicals to Assad: Proof that the UK delivered Sarin agent to Syrian regime for SIX years. In: Daily Mail. 7. September 2013, abgerufen am 9. Januar 2014 (english).</ref>

Auf Anfrage der Fraktion Die Linke gab die deutsche Regierung am 18. September 2013 bekannt, dass zwischen 2002 und 2006 insgesamt 137 Tonnen Fluorwasserstoff, Ammoniumhydrogendifluorid, Natriumfluorid sowie Zubereitungen mit Kalium- und Natriumcyanid nach Syrien exportiert worden sind. Syrien hat eine geplante Verwendung dieser Dual-Use-Güter für zivile Zwecke plausibel dargestellt. Die Ausfuhrgenehmigung sei erst nach „sorgfältiger Prüfung aller eventueller Risiken, einschließlich von Missbrauchs- und Umleitungsgefahren im Hinblick auf mögliche Verwendungen in Zusammenhang mit Chemiewaffen“ erteilt worden, so das Wirtschaftsministerium.<ref>Deutschland lieferte Chemikalien nach Syrien. Newsmeldung bei ORF.at vom 18. September 2013.</ref>

Siehe auch

Literatur

  • Joachim Badelt: Chemische Kriegführung – Chemische Abrüstung. Die Bundesrepublik Deutschland und das Pariser Chemiewaffenübereinkommen. Berlin-Verlag Spitz, Berlin 1994, ISBN 3-87061-269-X, (Militärpolitik und Rüstungsbegrenzung 5).
  • Christoph Bundscherer: Deutschland und das Chemiewaffenübereinkommen. Wirtschaftsverwaltungsrecht als Instrument der Rüstungskontrolle. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1997, ISBN 3-631-32353-0, (Europäische Hochschulschriften Reihe 2, Rechtswissenschaft 2213), (Zugleich: Greifswald, Univ., Diss., 1997).
  • Walter Böttger: Kultur im alten China, Urania-Verlag, Leipzig 1977.
  • Jochen Gartz: Chemische Kampfstoffe. Der Tod kam aus Deutschland. Pieper u. a., Löhrbach 2003, ISBN 3-922708-28-5, (Der Grüne Zweig 243).
  • Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand. Möglichkeiten, Überlegungen und Entscheidungen der deutschen obersten Führung zur Verwendung chemischer Kampfstoffe im Zweiten Weltkrieg. Bernard & Graefe, Bonn 1986, ISBN 3-7637-5804-6.
  • Olaf Groehler: Der lautlose Tod. Rowohlt TB, Reinbek 1990, ISBN 3-499-18738-8.
  • Ludwig F. Haber: The Poisonous Cloud. Chemical Warfare in the First World War. Oxford University Press, Oxford u. a. 1986, ISBN 0-19-858142-4.
  • Gerhard Grümmer: Giftküchen des Teufels. Militärverlag der DDR, Berlin 1985, (Ereignisse – Tatsachen – Zusammenhänge).
  • Robert Harris, Jeremy Paxman: Eine höhere Form des Tötens. Die geheime Geschichte der B- und C-Waffen. Econ, Düsseldorf u. a. 1986, ISBN 3-430-14052-8.
  • Reinhard Klimmek, Ladislaus Szinicz, Nikolaus Weger: Chemische Gifte und Kampfstoffe – Wirkung und Therapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1983, ISBN 3-7773-0608-8.
  • Thilo Marauhn: Der deutsche Chemiewaffenverzicht. Rechtsentwicklungen seit 1945. Springer, Berlin u. a. 1994, ISBN 3-540-58352-1, (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 116), (Zugleich: Heidelberg, Univ., Diss., 1993–1994).
  • Dieter Martinetz: Der Gaskrieg 1914–1918. Entwicklung, Herstellung und Einsatz chemischer Kampfstoffe. Das Zusammenwirken von militärischer Führung, Wissenschaft und Industrie. Bernard & Graefe, Bonn 1996, ISBN 3-7637-5952-2.
  • Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-880-9. (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 11).
  • Jonathan B. Tucker: War of nerves. Chemical warfare from World War I to al-Qaeda. Pantheon Books, New York NY 2006, ISBN 0-375-42229-3.
  • Gertrud Woker: Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung, 278 Seiten mit Illustrationen, 6.–9. Auflage, Ernst Oldenburg Verlag, Leipzig 1932.

Weblinks

Commons Commons: Chemische Waffe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references />