Julius Dorpmüller
Julius Heinrich Dorpmüller (* 24. Juli 1869 in Elberfeld; † 5. Juli 1945 in Malente-Gremsmühlen) war ein deutscher Eisenbahningenieur und Politiker. Von 1926 bis zu seinem Tod war er Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, von 1937 zusätzlich Reichsverkehrsminister sowie kurzzeitig im Mai 1945 Reichspostminister.
Dorpmüller studierte an der Technischen Hochschule Aachen Eisenbahnbau und Straßenbau. Nach dem Studium begann er 1893 seine Laufbahn bei den Preußischen Staatseisenbahnen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sammelte er in China Auslandserfahrungen und galt bald als international anerkannter Eisenbahnfachmann. 1920 wurde er in den Dienst der Deutschen Reichsbahn übernommen, wo er sehr rasch aufstieg und zu den Vorarbeiten und Beratungen für den Dawes-Plan herangezogen wurde. 1925, ein Jahr nach Gründung der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, wurde er Stellvertreter des Generaldirektors Rudolf Oeser, dem er nach dessen Tod 1926 nachfolgte. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 behielt er seinen Posten trotz anfänglicher vehementer Kritik von SA- und NSDAP-Mitgliedern. Dorpmüller konnte die innere Autonomie der Reichsbahn vor Eingriffen durch Parteiinstanzen bewahren, setzte aber dafür die nationalsozialistische Aufrüstungs- und Rassenpolitik in der Reichsbahn um. Ebenso forcierte er die Übernahme des Autobahnbaus durch die Reichsbahn. Ab 1937 war er in Personalunion zudem Reichsverkehrsminister.
Während des Zweiten Weltkriegs blieb Dorpmüller oberster Reichsbahner, trotz verschiedener Versuche, vor allem von Albert Speer, ihn abzulösen. Unter seiner Führung erreichte die Reichsbahn die größten Beförderungs- und Transportleistungen ihrer Geschichte. Zugleich sicherte sie unter Dorpmüller auch den Nachschub der Wehrmacht an allen Fronten des Krieges und war am Transport der Opfer des Holocaust in die Vernichtungslager beteiligt. Die westlichen Alliierten sahen den Reichsverkehrsminister eingedenk seines guten Rufs aus Vorkriegszeiten zunächst für die Leitung des Wiederaufbaus der Reichsbahn vor, der bereits schwer kranke Dorpmüller starb aber kurz nach Kriegsende.
Die Vorstände der Deutschen Bundesbahn und viele Eisenbahner sahen in Dorpmüller noch lange Jahre nach dem Krieg vor allem den vorbildlichen Fachmann, dessen Andenken in Ehren gehalten wurde. Erst seit den 1980er Jahren distanzierte sich die Bundesbahn von ihm. Die Rolle der Reichsbahn und ihres Generaldirektors bei den Verbrechen des Dritten Reichs wurde von Historikern erst allmählich thematisiert und aufbereitet.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Leben
- 1.1 Jugend und Ausbildung
- 1.2 Dienst bei den Preußischen Staatseisenbahnen und in China
- 1.3 Aufstieg zum Reichsbahn-Generaldirektor
- 1.4 Die Weltwirtschaftskrise und der Schenker-Vertrag
- 1.5 Im Dritten Reich bis zum Kriegsbeginn
- 1.6 Dorpmüller und die Reichsbahn im Zweiten Weltkrieg
- 1.7 Kriegsende und Tod
- 2 Nach dem Tode
- 3 Mitgliedschaften, Auszeichnungen und Ehrungen
- 4 Schriften (Auswahl)
- 5 Literatur
- 6 Weblinks
- 7 Einzelnachweise
Leben
Jugend und Ausbildung
Julius Dorpmüller wurde als ältester Sohn des Eisenbahn-Ingenieurs Heinrich Dorpmüller (1841–1918) und seiner Frau Maria Anna, geborene Raulff (1839–1890) in Elberfeld geboren. Sein Vater entstammte einer westfälischen Familie und war in Unna aufgewachsen.<ref>Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 25.</ref> Er war im Jahr vor der Geburt seines ersten Sohnes in den Dienst der Preußischen Staatsbahnen getreten. Heinrich Dorpmüller gelang der Aufstieg bis zum Betriebsingenieur, zudem betätigte er sich als Erfinder verschiedener eisenbahntechnischer Hilfsmittel. Sein Dorpmüller-Gleismesser wurde 1882 vom Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen preisgekrönt und in der Folgezeit von vielen Verwaltungen eingesetzt.
Nach Julius kamen noch seine Geschwister Maria (1871–1966), Heinrich (1874–1935) und Ernst (1877–1958) zur Welt. Der Vater wurde 1871 nach Mönchengladbach und einige Jahre später nach Aachen versetzt. Julius Dorpmüller besuchte in beiden Städten die Schule, sein Abitur machte er 1888 am Kaiser-Karls-Gymnasium in Aachen. Im Anschluss daran studierte er von 1889 bis 1893 an der RWTH Aachen Eisenbahn- und Straßenbau. Auch seine Brüder studierten dort, sie traten später ebenfalls in den Eisenbahndienst. Alle drei Brüder gehörten dem Corps Delta Aachen an. Dorpmüller knüpfte in diesem Corps Verbindungen zu einigen seiner späteren Kollegen und Mitarbeiter, auch sein Vorgänger als Reichsverkehrsminister, Paul von Eltz-Rübenach, war zu dieser Zeit Mitglied des Corps.
Dienst bei den Preußischen Staatseisenbahnen und in China
Als Regierungsbauführer trat Dorpmüller zur Fortsetzung seiner Ausbildung nach dem ersten Staatsexamen 1893 in den Dienst der Königlichen Eisenbahndirektion Köln. Zunächst leistete er von 1894 bis 1895 seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger beim 5. Westfälischen Infanterie-Regiment Nr. 53. An der Preisbewerbung für das Schinkelfest 1898 des Architekten- und Ingenieur-Vereins in Berlin beteiligte er sich 1897 als einer von 14 Ingenieuren an der Aufgabe für den Entwurf eines „Seehafens an der Mündung eines der Ebbe und Flut unterworfenen Flusses“.<ref>Deutsche Bauzeitung, 31. Jahrgang 1897, Nr. 104 (vom 29. Dezember 1897), S. 650.</ref> Seine Ausarbeitung wurde mit einer Schinkelmedaille prämiert und zugleich als Probearbeit für das zweite Staatsexamen (Assessor) angerechnet, das er im Sommer 1898 ablegte.<ref name="dorpmüller-12">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 12.</ref> Nach der Ernennung zum Regierungsbaumeister im Ingenieurfach<ref>Centralblatt der Bauverwaltung, 18. Jahrgang 1898, Nr. 30 (vom 23. Juli 1898), S. 349.</ref> wechselte Dorpmüller danach zur Direktion Saarbrücken, wo er mit dem 30. Dezember 1903<ref name="Werists1928">Herrmann Degener: Wer Ist's. 9. Ausgabe, Berlin 1928, S. 314.</ref> unter gleichzeitiger Ernennung zum Eisenbahn-Bau- und Betriebsinspektor<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 24. Jahrgang 1904, Nr. 3 (vom 9. Januar 1904), S. 13.</ref> in den planmäßigen Dienst übernommen wurde. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem die Umbauplanungen für die Hauptbahnhöfe von Saarbrücken und Neunkirchen. Durch seine Vorgesetzten wurde ihm bereits 1905 bescheinigt, „für jede leitende Stellung hervorragend geeignet“ zu sein.<ref name="dorpmüller-13">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 13.</ref>
1907 ließ sich Dorpmüller beurlauben und trat als Vorstand des technischen Büros in den Dienst der chinesischen Schantung-Eisenbahn in Tsingtau. 1908 wurde er deutscher Chefingenieur des durch deutsche und englische Anleihen finanzierten Baus der Kaiserlich Chinesischen Staatseisenbahn Tientsin–Pukow, die im November 1912 mit Fertigstellung der ersten Eisenbahnbrücke über den Huang Ho durch das MAN-Werk Gustavsburg<ref>Max Geitel: Schöpfungen der Ingenieurtechnik der Neuzeit, Die Hoanghobrücke in China. S. 16.</ref> vollständig in Betrieb ging. Dorpmüller leitete seit 1912 den Betrieb der Bahn.<ref name="dorpmüller-13"/> Während seines Aufenthalts in Tientsin verlieh ihm der Preußische König 1910 den Charakter als Baurat.<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 30. Jahrgang 1910, Nr. 33 (vom 23. April 1910), S. 221.</ref>
Der Erste Weltkrieg unterbrach die Verbindungen nach Deutschland, Dorpmüller konnte seine Tätigkeit zunächst jedoch fortsetzen. 1917 wegen der Kriegserklärung Chinas gegenüber dem Deutschen Reich des Dienstes enthoben, kehrte er 1918 als holländischer Missionar verkleidet über die Mandschurei und die Transsibirische Eisenbahn nach Europa zurück. Nach der Rückkehr meldete er sich im Mai 1918 bei den deutschen Eisenbahntruppen in Berlin. Zunächst mit dem Balkanzug nach Bukarest beordert, diente er schließlich als Teil der Deutschen Kaukasus-Truppe unter General Kreß von Kressenstein in Georgien. Dort war er im Feldbahnwesen bei der Organisation der transkaukasischen Eisenbahnen tätig.
Aufstieg zum Reichsbahn-Generaldirektor
Noch vor Ende des Ersten Weltkriegs wurde Dorpmüller im Juli 1918 in Saarbrücken unter Ernennung zum Regierungs- und Baurat<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 38. Jahrgang 1918, Nr. 59 und 60 (vom 20. Juli 1918), S. 289.</ref> die planmäßige Stelle als Mitglied des Eisenbahnzentralamts und der dortigen Eisenbahndirektion verliehen.<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 38. Jahrgang 1918, Nr. 57 (vom 18. Juli 1918), S. 277.</ref> Ab Januar 1919 war er bautechnischer Streckendezernent der Eisenbahndirektion Stettin<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 39. Jahrgang 1919, Nr. 29 (vom 5. April 1919), S. 149; Versetzung augenscheinlich erst zum 1. April 1919 (?).</ref>. Bereits zum 23. Dezember 1919<ref name="Werists1928" /> ging er bei gleichzeitiger Ernennung durch die Preußische Staatsregierung zum Oberbaurat im Rang eines Oberregierungsrats<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 40. Jahrgang 1920, Nr. 3 (vom 10. Januar 1920), S. 13.</ref> zur Direktion Essen.<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 40. Jahrgang 1920, Nr. 5 (vom 17. Januar 1920), S. 25.</ref> Überlegungen, als Berater für Krupp zurück nach China zu gehen, musste er beenden, nachdem Krupp den avisierten Auftrag für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Brücke über den Huang Ho nicht bekam.<ref name="gottwaldt-25">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 25.</ref> Als Teil der Länderbahnen gingen die Preußischen Staatsbahnen zum 1. April 1920 in der neugegründeten Deutschen Reichsbahn auf,<ref name="ZdB501924" /> in deren Dienst Dorpmüller übernommen wurde. Im Folgejahr war er deutscher Vertreter in Verhandlungen mit der Reparationskommission über die finanzielle Bewertung des nach dem Waffenstillstand an die Alliierten übergebenen Rollmaterials.<ref name="asset-1-130">Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich, 1; S. 130.</ref>
Reichsverkehrsminister Wilhelm Groener ernannte Dorpmüller am 23. Mai 1922 zum Präsidenten der Reichsbahndirektion Oppeln. Dorpmüller war damit in der Zeit nach Ende der Aufstände in Oberschlesien und der neuen Grenzziehung zwischen dem Deutschen Reich und Polen dafür verantwortlich, die neugegründete Direktion zu organisieren und das durch die Grenzziehung geteilte Schienennetz der früheren Reichsbahndirektion Kattowitz auf die geänderten Anforderungen im wichtigen oberschlesischen Industriegebiet anzupassen. Ebenso sollte er entsprechend der konservativen Einstellung der Reichsbahnführung die seit 1918 eingeführte Mitbestimmung des Reichsbahnpersonals möglichst minimieren.<ref name="gottwaldt-28">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 28.</ref> Dorpmüller zeigte sich diesen Aufgaben gewachsen, machte sich aber auch frühzeitig die Eisenbahngewerkschaften zum Feind.<ref name="gottwaldt-41">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 41.</ref>
In Vorbereitung des Dawes-Plans sandte der neue Verkehrsminister Rudolf Oeser Dorpmüller im Mai 1924 als Sachverständigen zur Londoner Konferenz. Ebenso war er im Anschluss daran an den Beratungen zum neuen Reichsbahngesetz beteiligt, mit dem die Deutsche Reichsbahn in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen „Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft“ umgewandelt wurde. Diese Gesellschaft sollte aus ihren Gewinnen die Reparationen bezahlen, zu denen das Reich im Vertrag von Versailles verpflichtet worden war. Als Aktiengesellschaft sollte die Reichsbahn wirtschaftlich und weitgehend unabhängig von politischen Einflüssen agieren. Mitspracherechte des Reichs als Eigentümer bestanden lediglich über den Reichsbahn-Verwaltungsrat, in dem aber auch Vertreter der Siegermächte und der Wirtschaft saßen. Der Dawes-Plan und die auf deutscher Seite an ihm beteiligten Politiker und Fachleute wurden von den Völkischen wie den Nationalsozialisten heftig attackiert. Auch Dorpmüller wurde als Vertreter der „Dawesbahn“ von Nationalsozialisten wie Gottfried Feder oder Hans Buchner, einem Wirtschaftsredakteur des Völkischen Beobachters, angegriffen.<ref name="gottwaldt-29">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 29.</ref>
Ab 1. Oktober 1924 war Dorpmüller Präsident der Reichsbahndirektion Essen, wo er vor allem mit den Folgen der belgisch-französischen Ruhrbesetzung zu tun hatte.<ref name="kolb-121">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 121.</ref> Bedingt durch die Besetzung hatte die Direktion ihren Sitz zu diesem Zeitpunkt in Hamm.<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 44. Jahrgang 1924, Nr. 41 (vom 8. Oktober 1924), S. 354.</ref> Erst zum 16. November 1924 endete der Regiebetrieb und die Eisenbahnen im Ruhrgebiet gingen nach fast zweijähriger Unterbrechung wieder in deutschen Betrieb über.<ref name="ZdB501924">Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, 44. Jahrgang 1924, Nr. 50 (vom 10. Dezember 1924), S. 439.</ref> Diese schwierige Aufgabe bewältigte er ausgesprochen erfolgreich und empfahl sich damit für höhere Funktionen.<ref name="kolb-121" />
Auf Wunsch des schwerkranken, seit September 1924 amtierenden Generaldirektors und früheren Reichsverkehrsministers Rudolf Oeser schuf der Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft 1925 die Stelle eines ständigen Vertreters des Generaldirektors. Dorpmüller wurde am 1. Juli 1925 auf diesen Posten berufen, die Bestätigung durch Reichspräsident Paul von Hindenburg folgte bereits am 3. Juli 1925.<ref name="gottwaldt-31">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 31.</ref> Aufgrund der krankheitsbedingten häufigen Abwesenheit Oesers leitete Dorpmüller die Reichsbahn bald de facto alleine. Am 10. Dezember 1925 verlieh ihm die Technische Hochschule Aachen auf Antrag der Fakultät für Bauwesen in Anerkennung seiner Verdienste um das Eisenbahnwesen und das Ansehen deutscher Technik und deren Exportmöglichkeiten ins Ausland<ref>Zentralblatt der Bauverwaltung, 45. Jahrgang 1925, Nr. 51 (vom 23. Dezember 1925), S. 624.</ref> die Würde eines Dr.-Ing. e. h. Bereits nach der Ernennung zum Stellvertreter war er nach Berlin gezogen. Dorpmüller war Junggeselle, seine Schwester Maria führte ihm den Haushalt.
Am 4. Juni 1926, bereits einen Tag nach dem Tod seines Vorgängers Rudolf Oeser, wurde er vom Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft zum Generaldirektor gewählt. Diese schnelle Wahl rief vor allem bei den Gewerkschaften Kritik hervor, weil Dorpmüller in Oppeln rigide mit den Mitbestimmungsrechten umgegangen war und zudem als „Mann der Großindustrie“ galt.<ref name="gottwaldt-39">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 39.</ref> Die Reichsregierung selbst hatte den früheren Reichskanzler Hans Luther und Reichsverkehrsminister Rudolf Krohne in Erwägung gezogen.<ref name="asset-1-127">Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway. Band 1: 1920–1932. The University of North Carolina Press, Chapel Hill und London 1999, S. 127.</ref> Im Reichstag traf die rasche, als pietätlos empfundene Vorgehensweise auf heftige Kritik. Die Reichsregierung fühlte sich ebenfalls übergangen und sah ihren Einfluss auf die Reichsbahn gefährdet. Reichsaußenminister Gustav Stresemann beurteilte Dorpmüller als ungeeignet, nachdem dieser in einer Rede vor dem Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) behauptet hatte, dass die Gütertarife der Reichsbahn ohne den Dawes-Plan um 27 % gesenkt werden könnten. Stresemann sah damit seine Erfüllungspolitik gefährdet.<ref name="asset-1-128">Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway. Band 1: 1920–1932. The University of North Carolina Press, Chapel Hill und London 1999, S. 128.</ref> Betrieben worden war die Ernennung Dorpmüllers tatsächlich vor allem von Industrievertretern im Verwaltungsrat, neben dem Vorsitzenden Carl Friedrich von Siemens vor allem von Paul Silverberg, einem Vertreter der rheinischen Braunkohlenindustrie, und dem Stahlindustriellen Peter Klöckner. Auch der der Ministerialbürokratie entstammende einflussreiche Verwaltungsrats-Vize Karl von Stieler wollte unbedingt einen Politiker als Generaldirektor vermeiden.<ref name="asset-1-127" /> Aufgrund dieser öffentlichen Diskussion verzögerte Minister Krohne die Vorlage der Bestätigung beim Reichspräsidenten. Hindenburg wollte das Personalproblem gelöst haben und übte Druck auf die Reichsregierung aus. Sein Staatssekretär Otto Meissner entwarf gemeinsam mit Siemens und Krohne schließlich eine Vereinbarung, die künftig wenigstens die Benennung des stellvertretenden Generaldirektors durch den Reichspräsidenten sowie frühzeitige Konsultationen bei einer künftigen Auswahl des Generaldirektors vorsah.<ref name="asset-1-129">Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway. Band 1: 1920–1932. The University of North Carolina Press, Chapel Hill und London 1999, S. 129.</ref> Dorpmüllers Rede beim RDI wurde als künftig nicht mehr vorkommender Irrtum bezeichnet. Der neue Generaldirektor wurde auf dieser Basis schließlich am 19. Oktober 1926 von Hindenburg bestätigt.<ref name="gottwaldt-41" /> Der Verwaltungsrat bestätigte Dorpmüller in den Folgejahren mehrfach in seinem Amt, zuletzt 1935.
Zur Kritik an Dorpmüllers Ernennung trug eine Serie von Unfällen im Sommer 1926 bei, die sowohl bei rechter wie linker Presse Zweifel an der Betriebssicherheit aufkommen ließen. Spektakulär war neben dem Eisenbahnunfall von Langenbach vor allem das Eisenbahn-Attentat bei Leiferde mit 21 Toten. Nachdem ein anonymer Brief zunächst auf einen Racheakt eines entlassenen Reichsbahners hindeutete, schrieb Die Rote Fahne, das Parteiblatt der KPD, von einem „Lügenrekord der Dorpmüller-Presse“.<ref name="gottwaldt-44">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 44.</ref>
Als Generaldirektor verstand es Dorpmüller, sich mit fähigen Mitarbeitern zu umgeben, denen er auch große Handlungsspielräume gab. Sein Pressechef Hans Baumann entwickelte neue Ideen zur Verkehrswerbung, so den von Jupp Wiertz gestalteten „Reichsbahn-Kalender“. Der Dezernent für den Reisezugfahrplan, Alfred Baumgarten, entwickelte mit dem erstmals 1927 erschienenen Kursbuch ein wesentliches Medium für den Verkauf der Beförderungsleistungen.<ref>Gottwaldt: Die Reichsbahn und die Juden 1933–1945; S. 106.</ref> Als obersten Betriebsleiter der Reichsbahn setzte er Max Leibbrand ein, der sich mit der Einführung des „Fliegenden Hamburgers“ verdient machte.
Reichspräsident Hindenburg, der an Dorpmüllers Ernennung mitgewirkt hatte, wusste die Benennung des Hindenburgdamms zu schätzen und hielt in den Folgejahren engen Kontakt zum neuen Generaldirektor, der des Öfteren in der Präsidentenloge der Berliner Staatsoper Unter den Linden zu Gast war. Auch sonst frequentierte Dorpmüller rege das Berliner Gesellschaftsleben und erwarb sich einen gewissen Ruf als trinkfester Unterhalter.<ref>Harry Graf Kessler berichtete bspw. über einen entsprechenden Abend im Oktober 1928 mit dem von ihm als „Rauhbein“ titulierten Dorpmüller, vgl. Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880-1937: Band 9, 1926-1937, Cotta, Stuttgart 2010, ISBN 978-3768198196, S. 217.</ref> Intern setzte Dorpmüller vor allem auf Rationalisierung und Modernisierung der Reichsbahn, was auch mit Personalabbau einherging. Waren 1918 noch gut eine Million Beschäftigte bei den Staatsbahnen beschäftigt, so ging diese Zahl bis 1927 auf rund 710.000 Eisenbahner zurück.<ref name="gottwaldt-64">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 64.</ref> Ebenso wurde die Zahl der Reichsbahndirektionen reduziert, gegen den heftigen Widerstand der betroffenen Länder verloren 1930 Würzburg und 1931 Magdeburg ihre Direktionen. Dagegen gelang es Dorpmüller nicht, die Gruppenverwaltung Bayern aufzulösen, die sich Bayern bei Zusammenführung der Länderbahnen als gesonderte Zwischeninstanz gesichert hatte. Der wirtschaftliche Aufschwung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ermöglichte es Dorpmüller, sowohl die Reparationsverpflichtungen des Dawes-Plans zu erfüllen als auch spürbare Schritte zur Modernisierung der Reichsbahn zu unternehmen. Trotz aller Kritik versagten ihm schließlich die Eisenbahner und ihre Gewerkschaften nicht den Respekt: Eine Gewerkschaftszeitung schrieb zu seinem 60. Geburtstag: „Für die Eisenbahner ist Dorpmüller ein Mann vom Fach, der die Welt gesehen hat und der auch weiß, wie eine Eisenbahn gebaut werden muß.“<ref name="gottwaldt-63">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 63.</ref> Vor allem rechte Kräfte schmähten ihn dagegen weiter als Gehilfen der „Erfüllungspolitiker“. Sie kritisierten auch sein Gehalt, das mit 122.000 Reichsmark weit über dem des Verkehrsministers mit 35.000 Reichsmark lag,<ref name="gottwaldt-60">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 60.</ref> so etwa Adolf Hitler in einer Rede auf einer NSDAP-Veranstaltung am 3. Juni 1927.<ref>Gottwaldt: Die Reichsbahn und die Juden 1933–1945; S. 26.</ref> Dorpmüller trat unbeschadet der Kritik im In- und Ausland vielfach als Repräsentant der Reichsbahn auf, unter anderem bei Besuchen ausländischer Bahnverwaltungen oder als Gastgeber der zweiten Weltkraftkonferenz 1930 in Berlin.<ref name="gottwaldt-66">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 66.</ref> Der Reichsbahn-Generaldirektor sprach fließend Englisch und Französisch und hatte umfangreiche internationale Kontakte. Der Völkerbund machte ihn daher 1931 zum Vorsitzenden einer Kommission für öffentliche Arbeiten mit internationaler Bedeutung.<ref name="gottwaldt-71">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 71.</ref>
Exemplarisch für die begrenzten Möglichkeiten unter den Rahmenbedingungen des Dawes-Plans sind die zögerlichen Fortschritte bei der Elektrifizierung des Reichsbahnnetzes. Dorpmüller, der für technische Experimente wie die Hochdrucklokomotive H 02 1001 oder den Schienenzeppelin – mit dem er am 14. Oktober 1930 selbst eine Fahrt machte – durchaus offen war,<ref name="gottwaldt-69">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 69.</ref> sah sehr große wirtschaftliche Vorteile aufgrund der möglichen Reduzierung von Betriebs- und Personalkosten.<ref name="kolb-141">Eberhard Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik. In: Lothar Gall, Manfred Pohl (Hrsg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag C.H.Beck, München 1999, S. 141.</ref> Es war der Reichsbahn aber nicht möglich, die erforderlichen hohen Anfangsinvestitionen im gewünschten Umfang aufzubringen, der Anteil des elektrisch betriebenen Netzes blieb bis zum Zweiten Weltkrieg gegenüber vielen europäischen Ländern wie Italien, Frankreich oder der Schweiz vergleichsweise klein.<ref name="kreidler-257">Eugen Kreidler: Die Eisenbahnen im Zweiten Weltkrieg. Nikol-Verlag, 2001, ISBN 3-933203-52-X, S. 257.</ref>
Die Weltwirtschaftskrise und der Schenker-Vertrag
Ab 1930 sanken aufgrund der Weltwirtschaftskrise die Beförderungsleistungen der Reichsbahn rapide. 1932 machte die Reichsbahn erstmals Verluste.<ref name="kolb-144">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 144.</ref> Einen Ausweg aus dieser Krise sah die Reichsbahnführung neben der generell erforderlichen Belebung der Wirtschaft in der Bekämpfung der in den 1920er Jahren entstandenen Konkurrenz des Straßenverkehrs. Vor allem der Güterverkehr per Lkw machte der Reichsbahn bereits vor der Weltwirtschaftskrise als Konkurrent zu schaffen. Dorpmüller bezifferte 1930 die Einnahmeverluste durch den Lkw-Verkehr auf rund 250 Mio. Reichsmark.<ref name="kolb-156">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 156.</ref> Er forderte gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Reichsbahn, vor allem durch verschärfte Konzessionsbestimmungen für Lkw-Speditionen und eine Erhöhung der Kfz-Steuer. Insbesondere wandte sich Dorpmüller gegen eine Unterbietung der Eisenbahntarife durch Fuhrunternehmen. Die Regierung hatte zwar die Benzin- und Benzolsteuer leicht erhöht, Dorpmüller sah dies aber als unzureichend an.
Zugleich ging Dorpmüller auch auf anderen Wegen gegen die Straßenkonkurrenz vor. Die Reichsbahn hatte bereits seit 1925 enge Beziehungen zur Spedition Schenker aufgenommen und ihr ein Darlehen in Höhe von 17 Mio. Reichsmark gewährt. Im Februar 1931 schlossen Schenker und die Reichsbahn den sogenannten „Schenker-Vertrag“ ab, der der Firma Schenker das Monopol als Rollfuhrunternehmer für den An- und Abtransport von Stück- und Expressgut an den deutschen Bahnhöfen gab.<ref name="gottwaldt-71" /> Sie konnte dieses Monopol selber wahrnehmen oder an örtliche Unternehmen weitergeben. Da angesichts des damaligen Straßennetzes und des technischen Entwicklungsstands bei Lastkraftwagen der Güterfernverkehr fast ausschließlich über die Schiene abgewickelt wurde, hatte die Reichsbahn hier die Möglichkeit, das Speditionsgewerbe empfindlich zu treffen. Über die Tarifgestaltung, so ihr Ziel, konnte sie sich zusammen mit dem Vertrag quasi ein halbstaatliches Monopol auch im Straßenverkehr sichern.<ref name="gottwaldt-72">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 72.</ref> Insgeheim hatte die Reichsbahn zudem die Firma Schenker bereits im Januar 1931 aufgekauft.<ref name="kolb-160">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 160.</ref> Gegenüber der Öffentlichkeit betonte Dorpmüller, dass der Vertrag vor allem die Transportkosten der deutschen Wirtschaft senken solle. Die Kritik von Speditionen, Handelskammern und Reichstagsabgeordneten war erheblich, viele Unternehmen befürchteten ihren Ruin.
Am 18. Februar 1931 musste der Generaldirektor dem Reichskabinett Rede und Antwort stehen. Er informierte Reichskanzler Heinrich Brüning und die Minister über den Vertrag und den Kauf der Firma Schenker. Das Kabinett fühlte sich durch die Reichsbahn brüskiert, Reichsverkehrsminister Theodor von Guérard war von Dorpmüller – anders als der Reichsbahn-Verwaltungsrat – zuvor nicht informiert worden.<ref name="kolb-160" /> Guérard warf Dorpmüller Täuschung vor, der Kaufvertrag sei durch die Reichsregierung zu genehmigen gewesen. Der Rollfuhrvertrag mit Schenker sei lediglich ein Scheinvertrag zur Irreführung der Öffentlichkeit. Dorpmüller konnte in der Sitzung dennoch das Kabinett davon überzeugen, den Kaufvertrag weiter geheim zu halten.
Letztlich musste die Reichsbahn den Schenker-Vertrag für andere Fuhrunternehmen öffnen. Diese konnten zu den gleichen Konditionen dem Vertrag beitreten. Dorpmüller bat zudem in einem veröffentlichten Schriftwechsel um die Genehmigung des Schenker-Vertrags. Der Verwaltungsrat unter Carl Friedrich von Siemens suchte zugleich in einem vertraulichen Schriftwechsel bei der Reichsregierung um die Genehmigung des Schenker-Kaufs nach.<ref name="kolb-160" /> Parallel dazu verabschiedete die Reichsregierung eine neue Verordnung, die alle Güterfernverkehre über 50 Kilometer Entfernung genehmigungspflichtig machte, die Reichsbahn musste allerdings auf bestimmte Niedrigtarife zur Unterbietung des Lkw-Verkehrs verzichten. In der Folge zeigte sich, dass die Speditionen die Neuregelungen kreativ umgehen konnten, beispielsweise durch Ausweisung als Werksfernverkehr.<ref name="gottwaldt-73">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 73.</ref>
Brüning schätzte den Reichsbahn-Generaldirektor sehr und zog ihn als Verkehrsminister für sein zweites Kabinett in Betracht. Aufgrund des Schenker-Vertrags und der öffentlichen Diskussion verzichtete er darauf und ernannte Gottfried Treviranus zum Reichsverkehrsminister.<ref name="gottwaldt-73" /> Diesem blieb es dann vorbehalten, den geänderten Schenker-Vertrag am 6. Dezember 1931 zu genehmigen, nachdem auch das Speditionsgewerbe seine Zustimmung signalisiert hatte. Im März 1932 trat der neue Vertrag in Kraft.<ref name="kolb-161">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 161.</ref> Eine dauerhafte Lösung des Konflikts zwischen Schiene und Straße, wie von Dorpmüller erhofft, brachte der Vertrag aber nicht.
Im Dritten Reich bis zum Kriegsbeginn
Dorpmüller als umstrittener Generaldirektor
In der Zeit des Nationalsozialismus stieg der bis 1941 parteilose Dorpmüller am 2. Februar 1937 zum Reichsverkehrsminister auf. Danach hatte es nach der Machtergreifung Adolf Hitlers zunächst nicht ausgesehen. Bereits kurz nach Regierungsantritt Hitlers hatten sich die Verbände von Fuhrunternehmen und Speditionen beim neuen Reichskanzler über den Schenker-Vertrag beschwert und dessen Rücknahme verlangt. Dorpmüller konnte Hitler im März 1933 davon überzeugen, den Vertrag beizubehalten. Ein von Dorpmüller erbetenes Monopol für den Straßengüterverkehr lehnte Hitler dagegen ab.<ref name="gottwaldt-78">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 78.</ref>
Kritischer für Dorpmüller war die seit Jahren von NSDAP-Vertretern geäußerte Kritik gegenüber der Reichsbahn und ihm als Generaldirektor. Als weitgehend unabhängig vom Willen der Reichsregierung agierendes Unternehmen war die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft vielen Wünschen nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Sondertarifen und sonstigen Vergünstigungen nicht nachgekommen. Die „NS-Fachschaft Reichsbahn“ hatte diese „Industriehörigkeit“ und „Erfüllungspolitik“ vielfach kritisiert. Ein Dorn im Auge war den Nationalsozialisten zudem die Beschäftigung von Juden bei der Reichsbahn und ihren Tochterunternehmen. Dorpmüller hatte vor 1933 seine Mitarbeiter ausschließlich nach fachlichen Kriterien ausgewählt, mit Ludwig Homberger, einem international anerkannten Finanzfachmann, gehörte ein getaufter Jude dem Reichsbahnvorstand an. Der Leiter des Reichsbahn-Zentralamts für Einkauf, Ernst Spiro war ebenso Jude wie der Reisezugfahrplandezernent Alfred Baumgarten und Marcell Holzer, der Direktor und frühere Mitinhaber der Spedition Schenker.
Die NSDAP-Mitglieder bei der Reichsbahn, die überwiegend in den mittleren und unteren Dienstgraden zu finden waren,<ref name="kolb-171">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 171.</ref> wurden sehr bald gegen Dorpmüller aktiv. Bereits im März 1933 übergab die NS-Fachschaft in der Reichskanzlei eine Eingabe, in der unter anderem die Entfernung aller Juden aus der Reichsbahn-Hauptverwaltung und die Überprüfung der Direktorengehälter verlangt wurde. Der Reichsbahn-Architekt Richard Brademann, seit 1931 NSDAP-Mitglied, reichte eine Liste aller angeblich jüdischen Mitarbeiter nach.<ref>Alfred Gottwald: Die Reichsbahn und die Juden 1933–1939 – Antisemitismus bei der Eisenbahn in der Vorkriegszeit. Marix-Verlag, Wiesbaden 2011, S. 71 f.</ref> Am 6. April 1933 besetzte sogar ein SA-Trupp kurzzeitig die Hauptverwaltung in der Berliner Voßstraße, wiederholte die Forderungen und verlangte den Rücktritt des Verwaltungsrats.<ref name="kolb-171" />
Dorpmüller, dessen nationalkonservative, noch im Kaiserreich wurzelnde politische Einstellung in der Weimarer Republik bekannt war, hatte allerdings Rückhalt bei Reichspräsident Hindenburg. Wie viele Vertreter der konservativen Eliten stellte er sich zudem rasch auf die neuen Verhältnisse ein und suchte gezielt die Allianz mit „gemäßigten“ Nationalsozialisten.<ref name="kolb-172">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 172.</ref> Die bewusst unpolitische Ausrichtung der Reichsbahn und vieler Eisenbahner als ein dem ganzen Volk dienendes Unternehmen – unbeschadet der wirtschaftlichen Zielsetzungen unter den Rahmenbedingungen des Dawes-Vertrags – trug zu dieser raschen Anpassung bei. Formal blieb die Organisationsform gemäß diesem völkerrechtlich bindenden Vertrag noch bis 1937 bestehen, aber ähnlich wie die Weimarer Verfassung wurde sie faktisch durch die vollständige politische Kontrolle seitens des nationalsozialistischen Regimes außer Kraft gesetzt.<ref name="kolb-168">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 168.</ref> Mit einem Aufruf an die Eisenbahner anlässlich der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes stellte sich Dorpmüller bereits am 24. März 1933 vorbehaltlos auf die Seite der „nationalen Regierung“.<ref name="gottwaldt-78" />
Die Kritik der radikaleren Nationalsozialisten an Dorpmüller war damit nicht zu besänftigen. Der Generaldirektor wandte sich daher an Hitler und Verkehrsminister Paul von Eltz-Rübenach. Hitler, der auf ein funktionierendes Verkehrssystem angewiesen war und Ruhe in diesem Bereich haben wollte, beauftragte im Mai 1933 den SA-Führer Rudolf Reiner mit der Bildung eines „Führerstabs der NSDAP bei der Reichsbahn“, der die erhobenen Vorwürfe gegen Dorpmüller und die Reichsbahnleitung untersuchen sowie Ruhe herstellen sollte. Der NS-Fachschaft wurden weitere Aktivitäten gegen die Reichsbahnführung zunächst untersagt.<ref name="kolb-171" /> Der Groll gegen Dorpmüller saß bei den NS-Reichsbahnern dennoch tief, trotz Verbots versammelten sich beispielsweise am 21. Juni 1933 tausende Reichsbahner vor dem Verkehrsmuseum Nürnberg zu einer Demonstration, auf der Parolen wie „Fort mit Dorpmüller“, „Hinaus mit den Juden“ und „Wir beziehen 18 Mk Wochenlohn, Dorpmüller 100000 Mk“ zu lesen waren.<ref name="gottwaldt-79">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 79.</ref> In Berlin reagierten nationalsozialistische Eisenbahner auf die Mitteilung, dass Reiner gemeinsam mit Dorpmüller und Carl Friedrich von Siemens die „Gleichschaltung“ des Verwaltungsrats „in Aussicht“ genommen habe, mit spontanen Demonstrationen in der Voßstraße vor dem Sitz der Hauptverwaltung. Hitler musste die Führer der NS-Fachschaft in der benachbarten Reichskanzlei empfangen und beruhigen.<ref name="gottwaldt-79" />
Dorpmüller schaffte es schließlich, Hitlers Unterstützung für seinen Verbleib im Amt zu gewinnen. Nicht nur der Rückhalt bei Hindenburg und Eltz-Rübenach trug dazu bei, sondern Dorpmüllers Bereitschaft die Erwartungshaltungen des Regimes zu erfüllen. Auf der Leitungsebene und im Verwaltungsrat wurden nun missliebige Mitglieder abgelöst oder entlassen und durch linientreue Nationalsozialisten ersetzt. Dorpmüller trennte sich rasch von fast allen „nichtarischen“ oder sonstwie den neuen Machthabern verhassten Mitarbeitern. Bereits im Mai 1933 beförderte er den seit 1931 der NSDAP angehörenden Wilhelm Kleinmann von seinem bisherigen Posten als Leiter der Oberbetriebsleitung West zum Präsidenten der Reichsbahndirektion Köln. Auch in Mainz, Erfurt und Regensburg rückten Eisenbahner mit NSDAP-Parteibuch an die Spitze der Direktionen.<ref name="gottwaldt-80">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 80.</ref> Der bisherige Vertreter des Generaldirektors und Personalvorstand Wilhelm Weirauch, der aufgrund des Personalabbaus während der Weltwirtschaftskrise besonders in der Kritik stand, wurde am 25. Juli 1933 durch Kleinmann abgelöst. Dorpmüller schlug noch weitere Parteigenossen vor, konnte sich aber im konservativ dominierten Verwaltungsrat nicht mit allen Personalvorschlägen durchsetzen. In Zusammenarbeit mit dem ostentativ in SA-Uniform auftretenden Kleinmann, dessen fachliche Kompetenz nicht bezweifelt wurde, gelang dem Reichsbahn-Chef in den Folgemonaten eine Beruhigung der Lage. Nicht zuletzt die rasche Bereitschaft Dorpmüllers, mit der Reichsbahn den Bau der Reichsautobahnen zu übernehmen, trug dazu bei, seine Position im für den Nationalsozialismus typischen polykratischen Herrschaftsgeflecht zu stabilisieren. Nach dem Tod Hindenburgs am 2. August 1934, an dessen Beisetzung im Tannenberg-Denkmal er teilnahm, rief Dorpmüller die Eisenbahner zur Zustimmung in der anschließenden Volksabstimmung zur Zusammenlegung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten auf und vereidigte die Beamten der Reichsbahn-Hauptverwaltung auf Hitler als „Führer und Reichskanzler“.<ref name="gottwaldt-96">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 96.</ref> Im September 1934 konnte Dorpmüller nach Intervention bei Eltz-Rübenach und Martin Bormann schließlich die Zustimmung von Rudolf Heß zur Auflösung des Führerstabs erreichen. Er hatte die innere Autonomie und alleinige fachliche Verantwortung der Reichsbahn letztlich verteidigt, dafür aber akzeptiert, dass die Reichsbahn die nationalsozialistische Ideologie und die Politik des Dritten Reichs umstandslos umsetzte und vertrat. Dieser Kompromiss sollte bis zum Ende des Dritten Reichs 1945 andauern.<ref name="asset-2-13">Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich, 2; S. 13.</ref>
Umsetzung der nationalsozialistischen Politik bei der Reichsbahn
Zu den ersten Schritten im Sinne einer nationalsozialistischen Politik gehörte die Entfernung aller „Nichtarier“ aus dem Dienst der Reichsbahn. Zwar war die Reichsbahn, die bis 1937 formell keine Reichsbehörde war, nicht dazu verpflichtet, das im April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums anzuwenden. Sie tat es unter Dorpmüllers Führung dennoch. Lediglich bereits vor 1914 beschäftigte Beamte blieben zunächst verschont, auch das Frontkämpferprivileg wandte die Reichsbahn an. Persönliche Mitarbeiter Dorpmüllers wie etwa sein Pressechef Hans Baumann und höhere Beamte der Hauptverwaltung wie etwa Alfred Baumgarten und Ernst Spiro wurden zügig auf nachrangige Posten versetzt, entlassen, oder „auf eigenen Wunsch“ in den Ruhestand versetzt, auch wenn sie die Bedingungen des Berufsbeamtentumgesetzes erfüllten. Eine Ausnahme unter den „nichtarischen“ höheren Reichsbahnern war lediglich Ludwig Homberger, dessen Fachkenntnis selbst der neue stellvertretende Generaldirektor Kleinmann zunächst noch als unentbehrlich beurteilte.<ref name="gottwaldt-82">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 82.</ref> Dem Verwaltungsratsmitglied Silverberg, wie Homberger jüdischer Herkunft, legte Dorpmüller ebenfalls den Rücktritt nahe. Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter verloren ebenfalls vielfach ihre Arbeitsplätze, manche, wie der Gewerkschafter und Verwaltungsratsmitglied Matthäus Herrmann wurden inhaftiert.<ref name="gottwaldt-78" /> Dafür wurden über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Arbeitslose eingestellt, wobei NSDAP-Mitglieder und insbesondere Alte Kämpfer besonders profitierten. Der „Deutsche Gruß“ wurde bei der Reichsbahn auf Weisung von Dorpmüller bereits am 15. Juli 1933 eingeführt – allerdings musste diese Anordnung nach einigen Wochen wieder teilweise zurückgezogen werden, da es zu Verwechslungen mit den Handzeichen des Zugpersonals bei der Bremsprobe gekommen war.<ref name="gottwaldt-81">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 81.</ref>
Der Bau der Reichsautobahnen war ein weiteres Element nationalsozialistischer Politik, dessen Umsetzung sich Julius Dorpmüller fast vorbehaltlos zu eigen machte. Dorpmüller hatte bereits 1927 an ersten Veranstaltungen des Hafraba-Vereins teilgenommen und den Kontakt zu dessen Geschäftsführer Willy Hof gehalten. Schon Heinrich Brüning hatte als Reichskanzler Pläne diskutiert, die Finanzierung des Autobahnbaus durch die Reichsbahn zu übernehmen und anschließend über eine Maut zu refinanzieren, wogegen sich Dorpmüller noch gewehrt hatte.<ref name="gottwaldt-83">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 83.</ref> Hitler übernahm diese Pläne und band die Reichsbahn unter der Leitung von Dorpmüller ein. Dorpmüller sah darin nach ersten Widerständen eine Chance, sowohl seine persönliche Position zu befestigen als auch den Konkurrenzkampf mit dem privaten Gütergewerbe für die Eisenbahn zu entscheiden. Hitler sagte ihm zu, dass die Reichsbahn für die einheitliche Leitung des gesamten Güterfernverkehrs verantwortlich sein sollte.<ref name="gottwaldt-85">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 85.</ref> Am 25. August 1933 wurde die Gesellschaft zur Errichtung der Reichsautobahnen als Tochterunternehmen der Reichsbahn begründet, Julius Dorpmüller wurde Vorsitzender sowohl des Vorstands als auch des Verwaltungsrats der neuen Gesellschaft. Schon im Juni war Dorpmüller an der Spitze einer großen Delegation zusammen mit Reichsarbeitsminister Franz Seldte nach Italien gereist, um den dortigen Autobahnbau zu studieren.
Einen Konkurrenten um die Gunst Hitlers und die Verantwortung für den Autobahnbau erhielt Dorpmüller mit der Ernennung von Fritz Todt zum „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“. Todt war in dieser Position für die Linienführung und die Planfeststellung der Autobahnen verantwortlich. Hitler schätzte Todt, der bereits seit 1923 Parteimitglied war, als loyalen und zugleich fachlich kompetenten Gefolgsmann. Dorpmüller durfte Hitler am 23. September 1933 immerhin den Spaten für den ersten Spatenstich zum Bau des ersten Abschnitt der Reichsautobahn zwischen Frankfurt und Heidelberg reichen.<ref name="gottwaldt-88">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 88.</ref> Auch bei weiteren Spatenstichen und Eröffnungsfeiern war der Reichsbahn-Generaldirektor oft dabei, stand aber in der öffentlichen Wahrnehmung meist hinter Hitler und Todt sowie der sonstigen Parteiprominenz zurück.
Die Gleichschaltung der Länder ermöglichte es Dorpmüller schließlich, seinen schon lange gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen und die Gruppenverwaltung Bayern zum 1. Oktober 1933 aufzulösen.<ref>Hildebrand: Die Reichsbahn in der nationalsozialistischen Diktatur 1933–1945; S. 168.</ref> Als Ausgleich erhielt Bayern ein neues Reichsbahn-Zentralamt München. Im Jahr darauf verloren die Länder durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs ihre bisherigen Mitbestimmungsrechte bei der Genehmigung von Bahnstrecken sowie der Bahnaufsicht.<ref>Hildebrand: Die Reichsbahn in der nationalsozialistischen Diktatur 1933–1945; S. 169.</ref> In den Folgejahren konnte Dorpmüller zudem die vergleichsweise kleinen Reichsbahndirektionen Oldenburg und Ludwigshafen, beides Nachfolger früherer Länderbahnen, auflösen.
Weitere Modernisierung der Reichsbahn
Zur Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten gehörten auch Ausbau und Modernisierung des Schienenverkehrs. Entgegen der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus standen bei diesem Ausbau moderne Technik und Rationalisierung im Vordergrund.<ref name="kolb-175">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 175.</ref> Die Modernisierung der Reichsbahn blieb jedoch trotz ihrer erheblichen strategischen Bedeutung hinter dem Autobahnbau und dem Aufbau von Wehrmacht und Rüstungsindustrie zurück. Aufbauend auf Plänen und Vorarbeiten der Weimarer Zeit konnte sich die Reichsbahn trotz mangelnder Stahlkontingente und unzureichender Investitionsmittel einen guten Ruf als modernes Verkehrsunternehmen im In- und Ausland erarbeiten. In den Jahren 1935 und 1936 boten das hundertjährige Jubiläum der ersten deutschen Eisenbahn, der am 7. Dezember 1835 eröffneten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft von Nürnberg nach Fürth und die Olympischen Sommer- und Winterspiele 1936 dem Generaldirektor viele Möglichkeiten, die Leistungen der Reichsbahn publikumswirksam zu präsentieren. In dieser Zeit entstand sein Ruf als „Deutschlands erster Eisenbahner“ und „Hindenburg der Eisenbahn“, der in den Folgejahren und während des Krieges gezielt ausgebaut wurde.<ref name="gottwaldt-98">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 98.</ref><ref name="gottwaldt-106">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 106.</ref> Durch vielfältige Auslandsreisen knüpfte Dorpmüller Kontakte zu anderen Bahngesellschaften und Fachleuten. Unter anderem führten ihn größere Auslandsreisen 1935 zu den polnischen Staatsbahnen, 1936 zur dritten Weltkraftkonferenz nach Washington, D.C. einschließlich Begegnungen mit amerikanischen Eisenbahndirektoren und Präsident Franklin D. Roosevelt sowie 1937 nach Schweden, wo ihm die SJ als Zeichen der Hochachtung einen Sonderzug mit festlich geschmückter Lokomotive zur Verfügung stellte.
Ihren Anspruch als modernes Verkehrsunternehmen demonstrierte die Reichsbahn 1935 auf der großen Jubiläumsausstellung in Nürnberg auf der sie ihre modernsten Fahrzeuge wie den seit 1933 zwischen Hamburg und Berlin mit bis zu 160 km/h fahrenden „Fliegenden Hamburger“, den Henschel-Wegmann-Zug mit der Stromlinienlokomotive der DR-Baureihe 61, den neuen „Gläsernen Zug“ sowie weitere neue Lokomotiven und Wagen präsentierte. Julius Dorpmüller eröffnete gemeinsam mit Verkehrsminister Eltz-Rübenach am 14. Juli 1935 die Ausstellung, beide drehten in historischen Kostümen eine Runde auf dem Führerstand der anlässlich des Jubiläums nachgebauten ersten deutschen Lokomotive „Adler“. Dorpmüller präsentierte sich damit erneut publikumswirksam als oberster Eisenbahner und Leitfigur.<ref name="gottwaldt-100">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 100.</ref> An einer großen Fahrzeugparade am 8. November in Nürnberg nahm auch Adolf Hitler teil, der ansonsten bei Veranstaltungen der Reichsbahn eher selten zu Gast war.<ref name="gottwaldt-102">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 102.</ref> In der gleichgeschalteten Presse nicht mehr erwähnt wurde dagegen, dass die Reichsbahn in diesem Jahr ihre letzten „nichtarischen“ Beamten in den ungewollten Ruhestand schickte, darunter Vorstandsmitglied Ludwig Homberger.
Die Olympischen Spiele 1936 führten zu einem weiteren Modernisierungsschub. In Berlin konnte rechtzeitig der erste Abschnitt des Nord-Süd-Tunnels für die Berliner S-Bahn eingeweiht werden. Die umfangreichen Leistungen der Reichsbahn zur Beförderung der Besuchermassen vor allem während der Berliner Sommerspiele beeindruckten viele Beobachter. Für Dorpmüller gab es aber einen persönlichen Verlust. Sein jüngerer Bruder Heinrich, der bei der Reichsbahndirektion Berlin für die Vorbereitung und Planung der Olympia-Sonderverkehre verantwortlich war, starb aufgrund von Überarbeitung kurz nach den Spielen am 1. September. Auch andere Teile des Reichsbahnnetzes wurden modernisiert. Anstelle der veralteten Fährverbindung zur Insel Rügen weihte Dorpmüller am 5. Oktober den neuen Rügendamm ein. Im Güterverkehr baute die Reichsbahn verstärkt den Haus-Haus-Verkehr per Straßenroller und den Behälterverkehr als Vorläufer des Containertransports aus und beschleunigte mit Kleinlokomotiven der Rangierbetrieb.<ref name="kolb-179">Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik; S. 179.</ref>
Besonders prominent wurde die Rekordfahrt der Schnellfahrlokomotive der DR-Baureihe 05 in den gleichgeschalteten Medien des Dritten Reichs propagandistisch verwertet. Am 11. Mai 1936 erreichte die Lokomotive 05 002 zwischen Hamburg und Berlin eine Spitzengeschwindigkeit von 200,3 km/h und stellte damit einen Weltrekord auf. An der Fahrt nahmen neben Dorpmüller, Verkehrsminister Eltz-Rübenach, Fritz Todt, Adolf Hühnlein und anderen Prominenten der Reichsführer SS Heinrich Himmler, Gestapo-Chef Reinhard Heydrich und Reichsleiter Martin Bormann teil. Die Gästeliste zeigt, wie Dorpmüller und die Reichsbahn den wichtigsten Personen des Regimes durch die Demonstration technischer Leistungsfähigkeit ihre Unentbehrlichkeit verdeutlichen wollten.<ref name="gottwaldt-106" /> Zu den alljährlichen Reichsparteitagen in Nürnberg, an denen auch Dorpmüller regelmäßig teilnahm, bewältigte die Reichsbahn ein enormes Verkehrsaufkommen und konnte so ebenfalls ihre Bedeutung unter Beweis stellen. Alleine zum Parteitag 1935 stellte die Reichsbahn über 530 Sonderzüge für rund 850.000 Teilnehmer.<ref name="gottwaldt-105">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 105.</ref> Diese zu Billigsttarifen angebotenen Fahrten sorgten wie auch vergleichbar rabattierte Fahrten für KdF-Reisen und Gruppentarife für die diversen nationalsozialistischen Organisationen für erhebliche Defizite bei der Reichsbahn. Eine Tariferhöhung oder anderweitige Ausgleichsmaßnahmen vermochte Dorpmüller trotz wiederholter Bemühungen bei der Parteikanzlei nicht zu erreichen.<ref name="gottwaldt-103">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 103.</ref>
Generaldirektor und Reichsverkehrsminister
Am 30. Januar 1937 kündigte Adolf Hitler dem Reichstag die Unterstellung der Reichsbahn unter die Hoheit des Reiches an. Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Verhältnisse der Reichsbank und der Deutschen Reichsbahn vom 7. Februar 1937 wurde die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft in „Deutsche Reichsbahn“ umbenannt – sie hatte schon seit 1936 den Zusatz „Gesellschaft“ nicht mehr im Schriftverkehr verwendet – und der Verwaltungsrat durch einen lediglich beratenden Beirat ersetzt. Die Reichsbahn wurde in ein Sondervermögen des Reichs umgewandelt.<ref name="gott-schulle-44">Gottwaldt, Schulle: „Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt“; S. 44.</ref> Hitler löste sich damit erneut von Verpflichtungen infolge des Versailler Vertrags. Ebenfalls am 30. Januar verlieh Hitler aus diesem Anlass mehreren Ministern und Beamten das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP. Reichspost- und Verkehrsminister Eltz-Rübenach, der als gläubiger Katholik zunehmend Unbehagen über die Kirchenpolitik des Regimes empfand, stellte für die Annahme die Bedingung einer veränderten Politik gegenüber der Kirche. Dies führte zu seiner zügigen Demission.<ref name="gottwaldt-115">Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn; S. 115.</ref> Bereits am 2. Februar ernannte Hitler den damals 68 Jahre alten Dorpmüller zum neuen Reichsverkehrsminister, Postminister wurde der “Alte Kämpfer” Wilhelm Ohnesorge. Einen Tag später verkündeten Hitler und Dorpmüller gemeinsam tausenden Reichsbahnern vom Balkon der Reichskanzlei eine „Reichsbahn, frei von Versailles“. Der französische Botschafter André François-Poncet, der Dorpmüller persönlich kannte, charakterisierte ihn aus diesem Anlass so: „Eltz Rübenach auf einem Empfang am 30. Januar 1929. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, 49. Jahrgang 1929, Nr. 10 (vom 6. März 1929), S. 158–161.
Literatur
- Dirk Böndel, Alfred Gottwaldt u.a.: Ich diente nur der Technik. Sieben Karrieren zwischen 1940 und 1950, Band 13 der Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik (Deutsches Technikmuseum Berlin), Nicolai Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-87584-549-8.
- Alfred Gottwaldt: Julius Dorpmüller, die Reichsbahn und die Autobahn. Argon Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-87024-330-9.
- Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: „Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt“. Die antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945. Forschungsgutachten, erarbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Hentrich & Hentrich, Teetz 2007, ISBN 978-3-938485-64-4, (Schriftenreihe des Centrum Judaicum 6).
- Alfred Gottwaldt: Dorpmüllers Reichsbahn – Die Ära des Reichsverkehrsministers Julius Dorpmüller 1920–1945. EK-Verlag, Freiburg 2009, ISBN 978-3-88255-726-8.
- Alfred Gottwaldt: Die Reichsbahn und die Juden 1933–1939. Antisemitismus bei der Eisenbahn in der Vorkriegszeit. Marix Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-254-1.
- Raul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz. Dumjahn, Mainz 1981, ISBN 3-921426-18-9 (Dokumente zur Eisenbahngeschichte 18).
- Klaus Hildebrand: Die Reichsbahn in der nationalsozialistischen Diktatur 1933–1945. In: Lothar Gall, Manfred Pohl (Hrsg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München 1999, ISBN 3-406-45817-3.
- Eberhard Kolb: Die Reichsbahn vom Dawes-Plan bis zum Ende der Weimarer Republik. In: Lothar Gall, Manfred Pohl (Hrsg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München 1999, ISBN 3-406-45817-3.
- Erwin Massute: Dorpmüller, Julius. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, ISBN 3-428-00185-0, S. 84 f. (Digitalisat).
- Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway, Volume 1, 1920–1932, The University of North Carolina Press, Chapel Hill and London, 1999, ISBN 0-8078-2496-8.
- Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway, Volume 2, 1933–1945, The University of North Carolina Press, Chapel Hill and London, 2000, ISBN 0-8078-2574-3.
Weblinks
- Literatur von und über Julius Dorpmüller im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- <span/> Zeitungsartikel zu Julius Dorpmüller in der „Pressemappe 20. Jahrhundert“ der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW)
- Biographie von Julius Dorpmüller im Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbands Rheinland, erstellt von Joachim Lilla
Einzelnachweise
<references />
Johannes Bell | Gustav Bauer | Wilhelm Groener | Rudolf Oeser | Rudolf Krohne | Wilhelm Koch | Theodor von Guérard | Georg Schätzel | Adam Stegerwald | Theodor von Guérard | Gottfried Treviranus | Paul von Eltz-Rübenach | Julius Dorpmüller
Johannes Giesberts | Karl Stingl | Anton Höfle | Karl Stingl | Georg Schätzel | Paul von Eltz-Rübenach | Wilhelm Ohnesorge | Julius Heinrich Dorpmüller
Adolf Hitler (Reichskanzler, Reichspräsident) | Franz von Papen (parteilos) | Freiherr von Neurath (bis 1937 parteilos) | Joachim von Ribbentrop | Wilhelm Frick | Heinrich Himmler | Graf Schwerin von Krosigk (bis 1937 parteilos) | Alfred Hugenberg (DNVP) | Kurt Schmitt | Hjalmar Schacht (bis 1937 parteilos) | Hermann Göring | Walther Funk | Franz Seldte (bis April 1933 DNVP) | Franz Gürtner (bis Juni 1933 DNVP, 1933–1937 parteilos) | Franz Schlegelberger | Otto Georg Thierack | Werner von Blomberg (bis 1937 parteilos) | Wilhelm Keitel (parteilos) | Freiherr von Eltz-Rübenach (parteilos) | Julius Heinrich Dorpmüller (bis 1941 parteilos) | Wilhelm Ohnesorge | Walther Darré | Herbert Backe | Joseph Goebbels | Bernhard Rust | Fritz Todt | Albert Speer | Alfred Rosenberg | Hanns Kerrl | Hermann Muhs | Otto Meissner (bis 1937 parteilos) | Hans Heinrich Lammers | Martin Bormann | Karl Hermann Frank | Rudolf Heß | Ernst Röhm
Alle Mitglieder der NSDAP soweit nicht anders gekennzeichnet
Graf Schwerin von Krosigk (Leitender Minister, parteilos) | Wilhelm Stuckart (NSDAP) | Albert Speer (NSDAP) | Franz Seldte (NSDAP) | Otto Georg Thierack (NSDAP) | Großadmiral Dönitz (parteilos) (In seiner Eigenschaft als Reichskriegsminister) | Julius Heinrich Dorpmüller (NSDAP) | Herbert Backe (NSDAP)
Personendaten | |
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NAME | Dorpmüller, Julius |
ALTERNATIVNAMEN | Dorpmüller, Julius Heinrich (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn und Reichsverkehrsminister |
GEBURTSDATUM | 24. Juli 1869 |
GEBURTSORT | Elberfeld |
STERBEDATUM | 5. Juli 1945 |
STERBEORT | Malente |