Syphilis
Klassifikation nach ICD-10 | ||
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A50 | Syphilis connata | |
A51 | Frühsyphilis | |
A52 | Spätsyphilis | |
A53 | Sonstige und nicht näher bezeichnete Syphilis | |
ICD-10 online (WHO-Version 2013) |
Syphilis (Aussprache in Deutschland nur , S. 4 f. : »… ut affirmant Astronomi, ex coniunctione Saturni et Iovis in tertia scorpionis facie in 23 gradu transacta 1484 ...«</ref>
Verschmelzungstheorie
Paracelsus glaubte an die Entstehung durch den Geschlechtsakt eines leprösen Mannes mit einer tripperkranken Frau. Letztlich war eine religiöse und sozialkritische Erklärung der Syphilis, dass es sich bei dieser Erkrankung um eine Geißel Gottes für die notorischen Sünden der Welt handele.
Kolumbus-Theorie
Es existiert ein Bericht des spanischen Arztes Ruy Díaz de Isla (1467–1542), der bei der Besatzung der zweiten Reise des Kolumbus auf der Rückfahrt von Hispaniola 1493 die Erkrankung festgestellt haben will. Der Bericht wurde zwar frühestens 1509 verfasst und erst 1539 veröffentlicht, gilt aber heute durch Vergleiche von Fingerabdrücken als authentisch und damit glaubhaft. Auch Fernandez de Orviedo y Valdés, der 10 Jahre als Administrator auf der Insel Hispaniola lebte, schrieb 1526 in seiner Allgemeinen Geschichte Westindiens, es sei sicher, dass die Erkrankung aus Westindien stamme und von den Seeleuten des Columbus nach Europa gebracht wurde. Daraus wurde später die Kolumbus-Theorie formuliert, nach der die Syphilis ursprünglich aus Mittelamerika stammte und von Christoph Kolumbus bzw. seinen Matrosen erstmals nach Europa eingeschleppt wurde, als er 1493 nach seiner Entdeckung Amerikas zurückkehrte. Diese Theorie wurde zuerst 1988 von dem Anthropologen George Armelagos von der Emory University in Atlanta aufgestellt und zuletzt 2011 im Yearbook of Physical Anthropology erneut so publiziert.<ref>Syphilis kam doch aus der Neuen Welt. In: Ärzteblatt. vom 21. Dezember 2011.</ref> Kristin Harper und ihr Forscherteam stellen die Hypothese auf, dass die Erkrankung nicht direkt aus Amerika eingeschleppt wurde, sondern die Folge einer Anpassung von in der Neuen Welt verbreiteten Treponema-Arten an das kühlere Klima in Europa gewesen sei.<ref>Studie: Und Kolumbus brachte die Syphilis doch nach Europa. In: Ärzteblatt. vom 16. Januar 2008.</ref>
Präkolumbische Theorie
Der Engländer Simon Mays begründet eine zunächst heftig umstrittene präkolumbische Theorie auf Knochenfunde, die auf die Zeit von 1296 bis 1445 datiert wurden. Spezifische Veränderungen an den Knochen lassen seiner Ansicht nach mit großer Sicherheit auf eine Infektion mit Syphilis schließen. Die bedeutendsten Funde dieser Art stammen aus Riverhall, Essex, in England. Demnach trat die Syphilis also bereits deutlich früher als 1495 zuerst in England auf.
Weiterhin wurden im Bereich der Kirche eines zerstörten Klosters der englischen Hafenstadt Kingston upon Hull drei Skelette gefunden, die nach Ansicht der Experten eindeutige Spuren einer fortgeschrittenen Syphiliserkrankung aufweisen.<ref>T. E. von Hunnius, C. A. Roberts, A. Boylston, S. R. Saunders: Histological identification of syphilis in pre-Columbian England. In: Am J Phys Anthropol. Apr. 2006, Band 129, Nr. 4, S. 559–66, PMID 16345063.</ref><ref>Interview mit der Paläopathologin Charlotte Roberts. (engl.)</ref> Durch diese Befunde wurde die Forschung motiviert, nunmehr intensiver in Europa nach weiteren Spuren der Syphilis aus der Zeit vor 1495 zu suchen. In Süditalien entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen in Metapont, einer griechischen Siedlung aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., viele Knochen mit den klassischen Anzeichen der Syphilis. Dabei konnte erstmals auch in Europa bei einem Kinderskelett an den zugehörigen Zähnen eine nur von der Syphilis verursachte Querfurche nachgewiesen werden. Solche Zahnspuren entstehen allein, wenn ein Kind von seiner Mutter während der Schwangerschaft oder unter der Geburt mit dem Erreger der Syphilis infiziert worden ist.<ref>Geneviève Lüscher: Zeichen der Syphilis im Europa vor Kolumbus. Auf: NZZ Online. vom 17. Mai 2006.</ref> Sowohl bei der Suche nach Anzeichen dieser Erkrankung in Pompeji als auch bei Knochenfunden aus dem 13. Jahrhundert in der Türkei<ref>Y. S. Erdal: A pre-Columbian case of congenital syphilis from Anatolia (Nicaea, 13th century AD). In: International Journal of Osteoarchaeology (Int J Osteoarchaeol). 2006, Band 16, Nr. 1, S. 16–33, doi:10.1002/oa.802.</ref> wurde man ebenfalls fündig. Diese Funde schienen zu belegen, dass die schwere Erkrankungsform der Syphilis in Europa auch schon lange vor dem 15. Jahrhundert anzutreffen und nicht erst von den Conquistadoren aus Lateinamerika eingeschleppt worden war.<ref>http://www.arte.tv/de/suche/1472760.html S. Cerasuolo, E. Fergnachino: Das Syphilisgeheimnis. TV-Dokumentation, Großbritannien 2002.</ref><ref>P. D. Mitchell: Pre-Columbian treponemal disease from 14th century AD Safed, Israel, and implications for the medieval eastern Mediterranean. In: American journal of physical anthropology. (Am J Phys Anthropol) Juni 2003, Band 121, Nr. 2, S. 117–124, PMID 12740955.</ref> Bei einer genaueren Durchsicht der Publikationen von bis dahin 54 Fällen einer angenommenen Syphilisinfektion in der alten Welt vor Kolumbus kamen andere Forscher jedoch zu dem Ergebnis, dass entweder die diagnostischen Kriterien einer tertiären Syphilis bei strikter Prüfung nicht erfüllt waren, oder dass in den Fällen mit tatsächlicher Kriterienerfüllung die Radiokohlenstoffdatierungen durch den sogenannten Reservoireffekt verfälscht waren.<ref>K. N. Harper, M. K. Zuckerman, M. L. Harper, J. D. Kingston, G. J. Armelagos: The origin and antiquity of syphilis revisited: An Appraisal of Old World pre-Columbian evidence for treponemal infection. In: American Journal of Physical Anthropology. 146 (2011), S. 99–133. doi:10.1002/ajpa.21613</ref><ref>Skeletons point to Columbus voyage for syphilis origins. Auf: pasthorizonspr.com ; abgerufen am 21. Dezember 2011.</ref>
Bei Ausgrabungen am Domplatz in St. Pölten konnten Forscher des Departments für Gerichtsmedizin und des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie (Knochenlabor) der MedUni Wien mehrere Fälle von wahrscheinlich kongenitaler Syphilis aus der Zeit zwischen 1320 und 1390 morphologisch (strukturell) nachweisen, wobei Veränderungen des Gebisses von Skeletten aus dem 14. Jahrhundert als Grundlage dienten. „Wir konnten die so genannten Hutchinson-Zähne mit zentralen Einkerbungen und konvergierenden Rändern sowie die Maulbeer- oder Knospenform bei Mahlzähnen nachweisen, die charakteristisch für die Syphilis sind“, erklären die Studienautoren Kanz und Großschmidt (Abteilung für Zell- und Entwicklungsbiologie). Der morphologische Nachweis soll nun im nächsten Schritt sowohl molekularbiologisch als auch mithilfe der Proteomik untermauert werden. Vor allem aus der proteomischen Untersuchung erwarten sich die Wissenschaftler weitere Rückschlüsse, da die DNA der Syphilis sehr schnell zerfällt.<ref>Johanna Sophia Gaul, Karl Grossschmidt, Christian Gusenbauer, Fabian Kanz: A probable case of congenital syphilis from pre-Columbian Austria. In: Anthropologischer Anzeiger. 72, Nr. 4, 2015, S. 451–472, doi:10.1127/anthranz/2015/0504.</ref>
Kombinationstheorie
Auch der Ansatz, dass der Syphilis-Erreger in verschieden pathogenen Stämmen sowohl in der Alten als in der Neuen Welt vor Kolumbus existierte, wurde verfolgt.<ref>("combination theory") Alfred W. Crosby: The Columbian exchange: biological and cultural consequences of 1492. Praeger, New York 2003, ISBN 0-275-98092-8, S. 146.</ref> Durch molekularbiologische Untersuchungstechniken gewonnene Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass von den Schiffsbesatzungen der spanischen Entdecker erstmals ein südamerikanischer Stamm des Bakteriums Treponema pallidum nach Europa eingeschleppt wurde. Dieser hat sich anschließend sehr schnell ausgebreitet, da die europäische Bevölkerung gegenüber diesem Erregerstamm keinerlei Anpassung aufwies.<ref>K. N. Harper, P. S. Ocampo u. a.: On the origin of the treponematoses: a phylogenetic approach. In: PLoS Neglected Tropical Diseases. 15. Jan. 2008, Band 2, Nr. 1, Art. e148, PMID 18235852.</ref><ref>Kristin Harper u. a.: PLoS Neglected Tropical Diseases. Band 2, Nr. 1, Art. e148, siehe auch Kommentar zur Studie: Connie Mulligan u. a.: Molecular Studies in Treponema pallidum Evolution: Toward Clarity.</ref>
Weiterhin gibt es Hinweise, dass die Syphilis in einer harmloseren Form, als Hautkrankheit, schon im alten Griechenland oder im präkolumbischen Amerika existierte, und die Wissenschaftler vermuten, dass der Erreger im Verlaufe der frühen Menschheits- und Zivilisationsentwicklung bei zunehmender Anwendung von Körperpflege (Hygiene) weltweit in den verschiedenen Kulturen zu der für den Menschen so gefährlichen Form der Syphilis mutierte.
Selbstversuch des John Hunter
Der schottische Chirurg und Anatom John Hunter (1728–1793) versuchte 1767 in einem Aufsehen erregenden Selbstversuch, Syphilis und Gonorrhoe als unterschiedliche Ausformung einer einzigen Krankheit zu belegen, indem er Eiter aus der Harnröhre eines Tripperkranken mit einem Skalpell in seinen eigenen Penis einbrachte. Aufgrund eines methodischen Fehlers (der Spender war mit beiden Erkrankungen infiziert) glaubte Hunter, der typische syphilitische Symptome entwickelte, den gemeinsamen Ursprung bewiesen zu haben. Der Irrtum wurde erst fünfzig Jahre später aufgedeckt. Hunter verstarb 1793 an den Spätfolgen seines Experimentes.
Neuere Geschichte der Erkrankung
Diagnostische Verfahren und Erregernachweis
August von Wassermann und Mitarbeiter entwickelten 1906 ein Nachweis-Verfahren (Wassermann-Test), bei welchem bei der Syphilis in Blut oder Liquor cerebrospinalis auftretende Antikörper (Reagine) mit Cardiolipin reagierten, das aus Rinderherzen gewonnen wurde.<ref>August von Wassermann, Albert Neisser, Carl Bruck: Eine serodiagnostische Reaktion bei Syphilis. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. 1906, Nr. 48, S. 745–746.</ref> Der Test stellt eine Modifikation der Komplementbindungs-Reaktion dar, die von Jules Bordet und Octave Gengou entwickelt wurde. Erstmals stand damit eine effektive Möglichkeit zur Verfügung, eine Syphilis-Infektion zu diagnostizieren. Der Nachweis mit diesem Verfahren ist jedoch relativ unspezifisch und produzierte viele falsch-positive Ergebnisse. In den 1930er Jahren entwickelte William Augustus Hinton den Hinton-Test, der auf Flockung beruht und etwas spezifischer war. Beide Tests sind heute durch modernere Verfahren ersetzt.
Fritz Schaudinn und Erich Hoffmann gelang 1905 der erste mikroskopische Nachweis der Treponemen,<ref>Fritz Richard Schaudinn und Erich Hoffmann: Vorläufiger Bericht über das Vorkommen von Spirochaeten in syphilitischen Krankheitsprodukten und bei Papillomen. In: Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamtes (Berlin). 1905, Band 22, S. 527–534.</ref> die Reinzüchtung des Syphiliserregers erstmals 1911 dem japanischen Bakteriologen Noguchi Hideyo.<ref>Hideyo Noguchi: The Establishment of Treponema pallidum as the causative agent of Syphilis, and the cultural Differentiation between this organism and certain morphologically allied Spirochaetae. In: Can Med Assoc J. April 1912, Band 2, Nr. 4, S. 269–276.</ref> Der Japaner war es auch, der zwei Jahre später erstmals einen Zusammenhang zwischen der Infektion mit Treponema pallidum und der progressiven Paralyse sowie Tabes dorsalis herstellen konnte, da er die Treponemen im Gehirn und im Knochenmark nachgewiesen hatte.<ref name="Japanische Medizin">R. Rullière: Die Japanische Medizin. In: R. Toellner: Illustrierte Geschichte der Medizin. Band 2, Andreas, Salzburg 1992, ISBN 3-86070-204-1.</ref>
Entwicklung von Behandlungsverfahren
Die Syphilis wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem giftigen Quecksilber behandelt, mit dem man den Körper des Erkrankten großflächig bestrich, was gewöhnlich zu einem vollständigen Ausfall der Körperbehaarung sowie sämtlicher Zähne führte und den rapiden Verfall sämtlicher Körperfunktionen einleitete (siehe auch Quecksilbervergiftung).<ref>J. Caspary: Ueber chronische Quecksilberbehandlung der Syphilis. In: Vierteljahresschrift für Dermatologie und Syphilis. 1887, Band 19, Nr. 1, S. 3–35 (PDF-Datei).</ref> Bereits 1783 und nochmals 1811 publizierte der Mediziner Franz Joseph von Besnard (1749–1814), Leibarzt des Königs von Bayern, Warnschriften vor dieser gefährlichen Therapie.
Das Quecksilber war bereits mehrere Jahrhunderte zuvor als mehr oder weniger wirksames Therapeutikum gegen Lepra und verschiedene andere Hauterkrankungen angewandt worden. Konrad Schilling (1448–1508) war textlich der Erste der in seinem Werk Consilium in morbum gallicum (um 1488–1496) über die externe Quecksilber-Therapie bei der Syphilis berichtete. Hiernach wurde auch von anderen Ärzten so Antonio Benivieni (1440–1502), Hieronymus Fracastorius (1478–1553), Pedro Pintor (1423–1503) und Johannes Widmann (1440–1524) über den erfolgreichen Einsatz des Quecksilbers als Externa geschrieben. Später führten auch Bader und Quacksalber diese Therapieform durch. Die Quecksilber-Applikation erfolgte zumeist in Form von Einreibungen (etwa mit der grauen Quecksilbersalbe), durch orale Aufnahme sowie auch durch Inhalation der Räucherungen mit Quecksilber.
Die südamerikanischen Indianer verfügten über eine kombinierte Syphilistherapie, die ihnen in der Regel auch Heilung verschaffte, denn die Krankheit verlief bei ihnen weniger schwer als bei Europäern. Sie verwendeten Abkochungen aus dem Holz oder der Rinde des Guajakbaumes (Guaiacum officinale und G. sanctum) oder der Sarsaparillewurzel (Smilax regelii u. a. Arten) in Kombination mit einem Schwitzbad und einer Fastenkur. Das Schwitzbad, dem sich die Indianer nach Einnahme von Guajak unterzogen, bestand in einer gezielten Heißbedampfung der äußeren Genitalien. Der Humanist Ulrich von Hutten hat diese Methode im Selbstversuch erprobt und in seinem 1519 erschienenen Werk „De guajaci medicina et morbo gallico liber unus“ beschrieben. Tatsächlich trat durch die Behandlung zeitweilig eine Verbesserung ein.
1892 verursachte Albert Neisser einen der ersten deutschen Medizinskandale, indem er auf der Suche nach einer Serumtherapie Krankenhauspatientinnen mit Syphilis angesteckt hatte.<ref>Lutz Sauerteig: Krankheit, Sexualität, Gesellschaft: Geschlechtskrankheiten und Gesundheitspolitik in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Beiheft 12 von Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1999, S. 35f.</ref>
1909 entwickelten Sahachiro Hata und Paul Ehrlich die organische Arsenverbindung Arsphenamin (Salvarsan®), mit der erstmals eine gezielte Behandlung der Syphilis möglich war. In den Folgejahren wurden weitere, besser verträgliche Abkömmlinge der Substanz entwickelt, so zum Beispiel Neosalvarsan und Sulosalvarsan. Eine weitere Arsenverbindung, die in den USA zeitweise zur Behandlung der Neurosyphilis eingesetzt wurde, war das von Walter Abraham Jacobs und Michael Heidelberger am Rockefeller Institute for Medical Research entwickelte Tryparsamid. Die Arsenpräparate wurden Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend von modernen Antibiotika wie dem Penicillin verdrängt, das bis heute die Behandlungsgrundlage der Syphilis darstellt.<ref>Paul Ehrlich – Von der Immunologie bis zu Salvarsan. In: Pharmazeutische Zeitung, Nr. 11/2004.</ref>
Ehrlich suchte gezielt nach einem Medikament, zu dessen Wirksamkeit er zuerst eine Theorie entwickelte. Kern seiner Theorie war, dass die für die Immunabwehr zuständigen Zellen bestimmte Rezeptoren besitzen, an die Gifte oder Erreger andocken sollten, was schließlich die Produktion von Antikörpern auslöste. Erreger und Rezeptor passten dabei zueinander wie ein Schlüssel in das Schloss. Ehrlichs Idee war, dieses Prinzip umzukehren und für die Bekämpfung des Krankheitserregers zu nutzen. Es galt, die Rezeptoren des Erregers aufzuspüren, an die nun nicht Antikörper, sondern Medikamente andocken sollten, um ihre tödliche Giftfracht in das Bakterium einzuschleusen. Der Erreger würde nun mit chemischen Stoffen traktiert, und gleichzeitig körpereigene Zellen möglichst wenig in Mitleidenschaft gezogen.
Auf der Grundlage dieses theoretischen Konzepts prüften Ehrlich und sein Assistent über 600 Arsenverbindungen auf die geforderten Eigenschaften hin, bis ihnen im September 1909 endlich der entscheidende Durchbruch gelang. Die Verbindung mit der chemischen Bezeichnung m-Diamino-p-dioxyarseno-benzoldichlorhydrat erzielte bei Tierversuchen verblüffende Ergebnisse. Zum ersten Mal schien es möglich, die Syphilis wirkungsvoll zu behandeln. Schon bald erwies sich, dass das Medikament Salvarsan von den Ärzten oft nicht sachgemäß angewendet wurde, was zu schwersten Nebenwirkungen führte. Überdies wurde es bei falscher Lagerung giftig. Ehrlich optimierte das Medikament. 1911 gelang es ein Salvarsanpräparat herzustellen, das nur noch knapp 20 % Arsen enthielt, in seiner Wirkung aber auch schwächer als das alte Salvarsan war.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand man heraus, dass Treponema pallidum Temperaturen von über 41 °C nicht überlebt. 1917 impfte der Österreicher Julius Wagner-Jauregg, Direktor der Niederösterreichischen Landesheil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke in Wien, neun Patienten, die an Progressiver Paralyse erkrankt waren, mit dem Blut eines Malaria-Kranken. Er beobachtete eine Wirkung, die erheblich günstiger war als bei allen bisher eingesetzten Therapieverfahren, und arbeitete eine mit Arsphenamin kombinierte Vorgehensweise aus (Malariatherapie), für deren Entdeckung ihm 1927 der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde.<ref>Julius Wagner-Jauregg: The Treatment of Dementia Paralytica by Malaria Inoculation. Nobel Lecture 1927.</ref>
Die Effektivität der Behandlung von Syphilis mit Penicillin wurde zuerst 1943 von John F. Mahoney in den USA nachgewiesen und bereits 1944 war die Behandlung in den US-Streitkräften eine Standardtherapie.<ref>John F. Mahoney: Some of the early phases of penicillin therapy against syphilis. In: American Medical Association: Archives of Dermatology. 1956, Band 73, Nr. 5, S. 485–488.</ref><ref>J. F. Mahoney, R. C. Arnold, A. Harris: Penicillin treatment in early syphilis. In: American Journal of Public Health. 1943, Band 43, S. 1387–1391.</ref>
Tuskegee-Syphilis-Studie
Einer der größten Medizinskandale der USA war 1932–1972 die Tuskegee Syphilis Study im Ort Tuskegee im US-Staat Alabama, in dem etwa 400 schwarze und gleichzeitig meist arme und analphabetische Einwohner mit bekannter Syphilis bewusst nicht mit dem zur Verfügung stehenden Penicillin behandelt wurden, um die Spätfolgen der Infektion beobachten zu können. Die beobachteten Personen wurden nicht über die Studie informiert und auch nicht darüber, dass in der Zwischenzeit eine effektive Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stand. Die „Studie“ begann im Jahre 1932 und endete erst 1972, als Einzelheiten an die Öffentlichkeit durchsickerten.<ref>Die ‚Centers for Disease Control and Prevention‘ zur Tuskegee-Studie. Auf: cdc.gov ; abgerufen Juli 2007.</ref> Im Jahr 2010 wurde ein weiterer Syphilis-Menschenversuchsskandal bekannt, der von den USA in Guatemala in den 1946–48er Jahren finanziert und durchgeführt worden war.<ref>Guatemala 1946–1948 - US-Ärzte infizierten Hunderte mit Syphilis. Auf: Welt Online vom 1. Oktober 2010; abgerufen am 2. September 2011.</ref>
Die Syphilis in der Kunst und Belletristik
Die Auseinandersetzung mit der Syphilis entstand bei vielen Autoren, angefangen bei Hutten allein schon aus dem Motiv der Selbstbetroffenheit.
- Das Lehrgedicht des Fracastoro aus dem 16. Jahrhundert reiht sich in vergleichbare didaktische Schriften der Renaissance ein.
- Als eigenständiges wiederkehrendes literarisches Motiv taucht die Syphilis im 17. Jahrhundert in den Schelmenromanen der Barockliteratur auf z. B. bei Grimmelshausen, der sowohl seinen Simplicius bei einem Parisaufenthalt als auch seine Courasche an Syphilis erkranken lässt.
- Die gelungenste Darstellung im 18. Jahrhundert ist die Figur des Pangloss in Voltaires Candide. Voltaire erdichtet dazu als Satire auf adelige Stammbäume eine lückenlose Infektionskette seit Kolumbus. Pangloss entwickelt gar eine Rechtfertigung der Syphilis in der besten aller Welten.
- Oskar Panizza greift Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Himmelstragödie Das Liebeskonzil auf die spätmittelalterliche Auffassung der Syphilis als einer Gottesstrafe zurück und wird hart und grausam wegen vermeintlicher Blasphemie abgestraft.<ref>Oskar Panizza: Das Liebeskonzil, eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen. Schabelitz, Zürich 1894.</ref>
- In seinem Roman Doktor Faustus (1947) lässt Thomas Mann einen Komponisten sich bewusst mit Syphilis infizieren um der genialen Inspiration willen, die er sich von der syphilitischen Gehirnaffektion verspricht. In dem Roman tritt diese Steigerung auch ein. Danach fällt der so Genialisierte für den Rest seines Lebens in geistige Umnachtung.
- Die naturalistische Schriftstellerin Clara Viebig behandelt in ihrem Berlin-Roman Die Passion (1925) den Lebensweg der jungen Eva, die von Geburt an Syphilis hat. Neben der Darstellung des Krankheitsverlaufes ist das Hauptmotiv die soziale Ausgrenzung, die das Mädchen dadurch erfährt, dass ihre Umwelt mit der als anrüchig geltenden Krankheit nicht umgehen kann. Ihr Lebenswille ist durch die permanente Diskriminierung bald gebrochen, und Eva stirbt schließlich mit 18 Jahren an Herzversagen.
- Wolf Serno beschreibt in seinem Roman Die Hitzkammer (auch erschienen als Hexenkammer) ausführlich die zwanzigtägige Behandlung einer Syphiliserkrankten mit einer Kombination aus Schwitzkur, Fasten und großflächiger äußerlicher Anwendung einer quecksilberhaltigen Salbe.<ref>Wolf Serno: Die Hitzkammer. Droemer, München 2004, ISBN 3-426-19594-1.</ref>
- Im Debütfilm The Libertine von Laurence Dunmore erkrankt der Protagonist John Wilmot (Johnny Depp) an Syphilis.
- In dem Film Das Stumme Duell (Originaltitel: Shizukanaru Ketto) von Akira Kurosawa erkrankt der Protagonist Dr. Kyoji Fujisaki (Toshirō Mifune) an Syphilis.
Siehe auch
Literatur
alphabetisch
- Birgit Adam: Die Strafe der Venus. Eine Kulturgeschichte der Geschlechtskrankheiten. Orbis, München 2001, ISBN 3-572-01268-6.
- Ernst Bäumler: Amors vergifteter Pfeil. Kulturgeschichte einer verschwiegenen Krankheit. Hoffmann & Campe, Hamburg 1976, ISBN 3-455-08962-3.
- Malte König: Syphilisangst in Frankreich und Deutschland. Hintergrund, Beschwörung und Nutzung einer Gefahr 1880–1940. In: Malte Thießen (Hrsg.): Infiziertes Europa. Seuchen im langen 20. Jahrhundert (= Historische Zeitschrift. Beiheft, Neue Folge Nr. 64). Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-11-036434-7, S. 50–75.
- Sheila Lukehart: Syphilis. In: Manfred Dietel, Norbert Suttorp, Martin Zeitz (Hrsg.): Harrisons Innere Medizin. Band 1, 16. Auflage. Deutsche Sonderausgabe, ABW-Wissenschaftsverlag, Berlin 2006, ISBN 3-86541-100-2, S. 1052–1060.
- Otto Braun-Falco, Gerd Plewig, Helmut H. Wolff: Dermatologie und Venerologie. Springer, Berlin 2002, ISBN 3-540-43556-5.
- Peter Fritsch, Robert Zangerle, Angelika Stary: Syphilis. In: Lexikon Medizin. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-20412-1, S. 2077–2090.
- Claude Quétel: History of Syphilis. Polity Press, Cambridge UK 1990, ISBN 0-7456-0490-0 (R. J. Knecht: Review of Books → Claude Quétel: History of Syphilis. 1990. In: French History. Band 5, Nr. 4, September 1990, S. 489–491.)
- Bruce M. Rothschild: History of Syphilis. In: Clinical Infectious Diseases. Band 40, Nr. 10, Oxford 2005, S. 1454ff. (Volltext online)
- Stefan Winkle: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. 3. Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005, ISBN 3-538-07159-4, S. 516ff.
Weblinks
- Leitlinie Diagnostik und Therapie der Syphilis der Deutschen STD-Gesellschaft. In: AWMF online (Stand Mai 2005)
- Syphilis – Informationen des Robert Koch-Instituts
- Rolf Winau: Seit Amors Köcher auch vergiftete Pfeile führt – Die Ausbreitung der Syphilis in Europa, FU Berlin (Memento vom 13. Juni 2011 im Internet Archive)
- Syphilis, 1494–1923, Harvard University Library, Open Collections Program, Contagion, Historical Views of Diseases and Epidemics
- Centers for Disease Control and Prevention: Syphilis Statistics
Einzelnachweise, Fußnoten
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