Jäger und Sammler


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Angehörige der Hadza im afrikanischen Tansania, eines der letzten Völker, die als traditionelle Jäger und Sammler leben
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Für viele nordische Indigene ist die Jagd immer noch eine wichtige zusätzliche Selbstversorgung … (Grönland-Inuit)
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… Das gleiche gilt für die Sammeltätigkeit, die traditionell von Frauen ausgeführt wird (Chanten aus Westsibirien)

Als Jäger und Sammler oder Wildbeuter und Feldbeuter werden in der Anthropologie und Ethnologie (Völkerkunde) lokale Gemeinschaften und indigene Völker bezeichnet, die ihre Nahrung größtenteils durch die Jagd auf Wildtiere, den Fischfang sowie durch das Sammeln von wildwachsenden Pflanzen oder Kleintieren erwirtschaften. Einige Autoren betrachten die Bezeichnungen „Wild- oder Feldbeuter“ als abwertende Pejorativa (… „Ausbeuter“), auf die man verzichten sollte.<ref name="Kohl">Karl-Heinz Kohl: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden: Eine Einführung. 3., neubearbeitete Auflage, C.H. Beck, München 2102, ISBN 978-3-406-46835-3. S. 80–81.</ref> Tatsächlich erfordert diese Lebensweise ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und speziellen Kenntnissen.<ref name="Münzel">Mark Münzel: Wildbeuter in: Bernhard Streck (Hrsg.): Wörterbuch der Ethnologie. 2. und erweiterte Auflage, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2000, ISBN 3-87294-857-1. S. 295–299.</ref>

Häufig wird eine Unterscheidung zwischen unspezialisierten (auch einfachen) und spezialisierten (auch komplexen oder differenzierten) Jäger- und Sammlerkulturen vorgenommen. Die Erstgenannten nutzen ein sehr breites, jedoch variierendes Nahrungsangebot in sehr großen Schweifgebieten, in denen sie in kleinen Horden saisonal nomadisieren.<ref name="Müller, Klaus E.">Klaus E. Müller: Die bessere und die schlechtere Hälfte. Ethnologie des Geschlechterkonflikts. Campus, Frankfurt a. M. / New York 1984, ISBN 3-593-33360-0. S. 28–29, 35–36.</ref> Die Letztgenannten nutzen vor allem eine oder mehrere bestimmte, lokal häufig vorkommende Arten, die größere Gruppen und längere Zeiten der Sesshaftigkeit ermöglichen.<ref name="Sieferle">Rolf Peter Sieferle: Lehren aus der Vergangenheit. In: Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Externe Expertise für das WBGU-Hauptgutachten, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, St. Gallen, Berlin 2010, ISBN 978-3-936191-36-3, S. 1–2.</ref><ref>Elisabeth Noll: Ethnoarchäologische Studien an Muschelhaufen. In: Tübinger Schriften zur ur- und frühgeschichtlichen Archäologie, Nr. 7, Waxmann Verlag, Münster 2002, ISBN 3-8309-1210-2. S. 57–62.</ref>

Die Subsistenzform des Jagens, Fischens und Sammelns – eine aneignende oder „extraktive“ Lebensweise, durch die die Reproduktion der natürlichen Ressourcen nicht gezielt und bewusst beeinflusst wird – ist die älteste traditionelle Wirtschaftsform der Menschheit. Das heißt nicht, dass die Jäger und Sammler im Laufe langer Zeiträume keinen relevanten Einfluss auf das ökologische System ihres Lebensraumes hatten.

Die Zuordnung der einzelnen Wirtschaftsweisen ist in der Literatur nicht einheitlich: So unterscheiden etwa Lomax und Arensberg<ref>Alan Lomax und Conrad M. Arensberg: A Worldwide Evolutionary Classification of Cultures by Subsistence Systems. In: Current Anthropology 18. Nr. 4, 1977. S. 659–708.</ref> „Jäger und Fischer“ von „Sammlern“ und Hans-Peter Müller separiert die „Fischer“ von den „Jäger und Sammlern“, wenn sie überwiegend von Fisch leben.<ref name="Müller, Hans-Peter">Hans-Peter Müller: Diskussion der ATLAS-Karte Subsistenz. Kapitel: 4. Nicht-agrarische Subsistenztypen. In: ethnomaps.ch, Zürich u. Bern, abgerufen am 17. Juli 2015.</ref>

Die Lebensweise vieler Jäger- und Sammlergesellschaften lässt sich heute nur noch aus archäologischen Funden rekonstruieren. Die schriftlichen Berichte früher Expeditionen sind nicht immer zuverlässig. So ist in vielen konkreten Fällen die Beantwortung der Frage schwierig oder auch strittig, ob es sich bei der Lebensweise untergangener wie auch bestehender Wildbeuterkulturen um eine autonome und ursprüngliche, oder eine durch Kulturkontakte übernommene, oder durch vorteilhaften Austausch entstandene spezialisierte Lebensweise, oder gar um ein durch Isolation und Abdrängung von Völkern in Wüsten und Halbwüsten entstandenes Sekundärphänomen der nach-neolithischen Periode handelt.<ref>Zur Diskussion um die Entstehung der Lebensweise der San siehe Später, S. (2004): Die Expeditionen der Familie Marshall: eine Untersuchung zur ethnologischen Erforschung der Nyae Nyae !Kung. Münster 2004, S. 26–28.</ref>

In jedem Fall ist davon auszugehen, dass in vielen Regionen (beispielsweise Zentralafrika, Südamerika, Indien) jahrtausendelang rege Austauschbeziehungen zwischen Wildbeutern und Pflanzern bestanden (etwa Wildbret oder Hilfeleistungen gegen landwirtschaftliche Produkte), so dass eine isolierte Betrachtung der extraktiven Lebensweise irreführend sein kann.<ref name="Münzel" />

Es ist sehr schwierig festzustellen, wie viele Menschen heute noch weltweit von Jagd- und Sammelwirtschaft leben, da gegenwärtig vielfach zusätzliche Subsistenz- bzw. Erwerbsformen genutzt werden. Die Anzahl der Menschen, deren Lebensgrundlage zum größten Teil auf extraktiven Tätigkeiten beruht, liegt maximal bei 3,8 Millionen.<ref name="Schweitzer, Biesele, Hitchcock">Peter P. Schweitzer, Megan Biesele, Robert K. Hitchcock (Hrsg.): Hunters and Gatherers in the Modern World: Conflict, Resistance, and Self-determination. Nachdruck, Berghahn Books, New York, Oxford 2006, ISBN 1-57181-102-8, S. 4–11, insbesondere S. 5. (s. Anmerkung)</ref>

Noch heute finden sich jedoch auch Lokalgruppen von Jägern und Sammlern in Gebieten, in denen andere Formen des Nahrungserwerbs gar nicht möglich sind. Um 1500 n. Chr. war noch etwa die Hälfte der bewohnbaren Landfläche der Erde von Jägern und Sammlern besiedelt.<ref>Bernd Marquardt: Universalgeschichte des Staates. Berlin 2009, S. 14.</ref> Zur gleichen Zeit lag ihr Anteil an der Weltbevölkerung jedoch nur bei geschätzten 1 Prozent – gegenwärtig sind es weniger als 0,001 Prozent: geschätzte 50.000 bis 60.000 Menschen, mit rückläufiger Tendenz.<ref name="Rakelmann 1991-31" />

Soziale Organisation

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San-Gemeinschaft aus dem südlichen Afrika. Wie alle unspezialisierten Wildbeuter leben die San in kleinen Gruppen von rund 30 bis 40 Menschen.
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Die Prärie-Indianer waren auf den Bison spezialisierte Wildbeuter, die durch die Einführung des Pferdes auch zu den Pastoralisten gerechnet werden.
Hauptartikel: Horde (Wildbeuter)

Meist haben die mobilen unspezialisierten Jäger- und Sammlergruppen 20 bis maximal 50 Mitglieder<ref name="Haller" /> Die Anthropologie geht davon aus, dass die Stärke solcher Gruppen auch in der Vorgeschichte immer unter 100 Köpfen lag. Für die sesshaften spezialisierten Wild-, Fisch- und Feldbeuter lagen die Zahlen deutlich höher (Beispiele: Blackfoot – berittene Bisonjäger: 80 bis 160 Personen,<ref group="D">Lee und Daly, S. 39.</ref> Cowlitz – Fischer: > 1.300 Personen)<ref>Cowlitz. In: Database for Indigenous Cultural Evolution (DICE), University of Missouri, abgerufen am 18. Juli 2015.</ref>

Die Gruppen sind in Kleinfamilien gegliedert, die saisonal auch getrennt auf Nahrungssuche gehen. Wildbeuter-Gesellschaften leben und arbeiten als herrschaftsfreie (akephale) „Horden“ und sind häufig in einzelnen Segmenten organisiert, beispielsweise gebunden an verwandtschaftliche Clan-Linien. Bei günstigen Umweltbedingungen schließen sich mehrere Horden manchmal zeitweilig zu größeren Einheiten zusammen.<ref name="Haller" />

Der Einfluss des Einzelnen beruht auf Tüchtigkeit und Fähigkeit. Vollzeitspezialisten für einzelne Tätigkeiten sind unbekannt, obgleich es gewisse Personen mit besonderen Kenntnissen gibt (vor allem die Medizinleute). Bei unspezialisierten Wildbeutern wird Wild in der Regel auf alle Gruppenmitglieder aufgeteilt, während Sammelnahrung zumeist nur der eigenen Familie zugutekommt.<ref name="Haller" />

Die Partnerwahl erfolgt außerhalb der Horde (exogam), jedoch zumeist innerhalb der eigenen Ethnie (die sich zur Wiedererkennung nicht selten in totemistische Clans gliedert). Bis auf Ausnahmen ziehen die Frauen zur Horde des Mannes (Patrilokalität).<ref name="Haller" />

Arbeitsteilung

Bei fast allen heutigen Wildbeutern wurde eine Aufteilung der Arbeit nach Alter und nach Geschlecht festgestellt und ethnographisch beschrieben. So sind Männer überwiegend für die Jagd großer Land- und Wassertiere verantwortlich; während Frauen, Kinder und teilweise Jugendliche sich auf das Sammeln von pflanzlicher Nahrung und das Erlegen kleiner Tiere konzentrieren, sowie zum Teil beim Treiben und bei der Verarbeitung des erjagten Großwilds helfen. Die einzige dokumentierte Ausnahme bilden die Aeta auf den Philippinen, bei denen die Frauen viel jagen – eine anerkannte Erklärung dafür besteht bisher nicht.

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Die Versorgung der Kinder schränkt die Mobilität der Frauen zwangsläufig ein (Yanomami-Frau mit Kind)
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Bei den nordischen Völkern (hier Micmac aus Kanada) drehten sich die Aufgaben der Frauen vor allem um die Versorgung mit Brennmaterial und Wasser und die Herstellung von Kleidung und Geräten
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Archäologen gehen davon aus, dass die Neandertaler noch keine Arbeitsteilung kannten

Die Aufgaben für einzelne Personen können sich dabei je nach Umständen und sich eröffnenden Möglichkeiten ändern. So wurde von Witwen oder bruderlosen Töchtern berichtet, die zu Jägern wurden. Bot sich eine gute Gelegenheit oder beruhte die Nahrungsgrundlage fast ausschließlich aus Pflanzenkost,<ref name="Müller, Klaus E." /> sammelten auch Männer pflanzliche Nahrung. Die Rolle von Kindern ist weniger gut dokumentiert und war anscheinend variabler. Teilweise waren ältere Kinder für einen gewissen Anteil ihrer eigenen Ernährung selbst zuständig, manchmal wurden sie sogar vorübergehend zu Spezialisten.<ref name="Kuhn 2006" />

Die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen war nicht rein physiologisch oder psychologisch bedingt, sondern zu bedeutenden Anteilen erlernt. Erklärungen für die geschlechtliche Arbeitsteilung sind:<ref name="Kuhn 2006" />

  • Die Arbeitsteilung ist Resultat von Unterschieden bei Elternaufwand und Unklarheit bezüglich der Verwandtschaftsbeziehung mit einem Kind. Die Nahrungsbeschaffung durch Männer hat in manchen Fällen mehr mit sozialem Ansehen und Prestige sowie sozialen Funktionen zu tun als mit der Ernährung der eigenen Kinder.
  • Die Vermeidung gefährlicher Nahrungsmittelbeschaffung durch Frauen und Kinder schützt den fortpflanzungs­fähigen Kern einer Population.
  • Schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern beschränken sich bei der Nahrungsbeschaffung auf Aktivitäten, die unterbrochen werden können und keine große Mobilität erfordern.

Drei allgemeine Tendenzen bezüglich Arbeitsteilung bei der Nahrungsbeschaffung spielen eine besondere Rolle:

  • Großwild und allgemein tierische Nahrungsmittel sind in höheren geographischen Breiten von größerer Bedeutung als in tropischen Gegenden. In manchen arktischen Gebieten gibt es beispielsweise kaum Pflanzen oder kleine Tiere. Wenngleich im Durchschnitt der Anteil der pflanzlichen Ernährung in Äquatornähe größer ist, gibt es dort eine größere Variation. Auch einige tropische Jäger und Sammler gehen vorwiegend der Großwildjagd nach.
  • Gruppen, deren Ernährung zu einem Großteil aus Pflanzen besteht, konzentrieren sich auf bestimmte Kombinationen aus Samen, Nüssen und Knollen. Das Sammeln, die Verarbeitung oder das Kochen dieser Nahrungsmittel ist relativ zeitintensiv. Demgegenüber liefert das Fleisch von Großwild deutlich mehr Energie pro investierter Zeiteinheit (siehe: physiologischer Brennwert).
  • Die dritte Tendenz betrifft die Tätigkeiten der Frau in höheren Breitengraden wie der Arktis, wo kaum Optionen für das Sammeln von Nahrung existieren. Statt Nahrungsmittel beschaffen Frauen dort eher Wasser und Brennmaterial und sind in der Herstellung von Behausungen, Werkzeugen und Kleidung tätig.<ref name="Kuhn 2006" />

Wie die Ethnologen Leacock und Etienne postulierten - allerdings nicht ohne auf Widerspruch etwa seitens Sherwood L. Washburn und C. S. Lancaster zu stoßen, die annehmen, dass männliche Dominanz zur genetischen Ausstattung aller Primaten gehört<ref>S. Washburn, C. Lancaster: The evolution of hunting. In: R. Lee, I. DeVore (Hrsg.) 1968; kritisch siehe auch Robert W. Sussman: The Myth of Man the Hunter, Man the Killer and the Evolution of Human Morality. In: Zygon. Band 34, Nr. 3, September 1999, S. 453–471.</ref> -, waren Männer und Frauen in Jäger- und Sammlerkulturen gleichberechtigt (egalitär), sofern sie noch nicht unter dem Einfluss von Kolonialherren standen.<ref name="Haller" /> Auch die voranschreitende Christianisierung führte oft zu einem veränderten Verhältnis der Geschlechter zueinander.

Eine klare Arbeitsteilung trat vermutlich erst ab 40.000 v. Chr. zu Beginn des Jungpaläolithikums auf. Die umfangreichen archäologischen Funde aus dem Zeitraum des Mittelpaläolithikums (300.000 bis 40.000 v. Chr.) zeigen, dass Männer und Frauen vorher relativ ähnliche Aufgaben übernahmen. Im Mittelpaläolithikum entstanden stärkere Unterschiede zuerst in der östlichen Mittelmeerregion und später im restlichen Eurasien und Afrika. Die Verhaltensänderungen im Jungpaläolithikum bedeuteten eine Ausdehnung der wirtschaftlichen und technologischen Rollen bei Jägern und Sammlern. Diese verschaffte dem „modernen Menschen“ (Homo sapiens) vielleicht einen Vorteil gegenüber anderen Gattungen der Hominini (Linie des Menschen). Im Vergleich zu diesen Wildbeutern kannten beispielsweise die Neandertaler offenbar keine Arbeitsteilung.<ref>Forscher: Neandertaler schwach mangels Arbeitsteilung. In: scienceticker.info, Posted in: Anthropologie 5. Dezember 2006.</ref>

Eigentums- und Besitzrechte

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Die nordamerikanischen Nordwestküstenkulturen bildeten sehr komplexe Wildbeuter-Gesellschaften: Sie waren sesshaft, lebten in großen Dörfern, betrieben Vorratswirtschaft und hatten differenzierte Eigentumsvorstellungen

Dieser Unterschied des Konsummusters markiert auch wichtige Differenzen in den Eigentums- und Besitzrechten sowie in der Distributionsstruktur der Jäger- und Sammlergesellschaften. Entgegen der These Morgans von ihrer ursprünglichen Eigentumslosigkeit bzw. vom Kollektiveigentum im sog. Urkommunismus geht die Forschung heute davon aus, dass es in Jäger- und Sammlergesellschaften abgestufte Eigentums- und Besitzrechte („Property rights“) gab und gibt. Zu deren Objekten zählt die Verfügung über Land, Wasser und Kultstätten (besonders gut zu beobachten bei den Aborigines, deren soziale Beziehungen eng an den Zugang zu bestimmten Territorien gebunden sind), ferner das bewegliche Eigentum (Werkzeuge usw.), dann die Verfügung über natürliche Ressourcen und evtl. gespeicherte Vorräte (wem gehört das erlegte Wild?), die Verfügung über andere und ihre Fähigkeiten (wer ist verpflichtet, anderen einen Anteil seiner Jagdbeute abzugeben?) sowie schließlich die Verfügung über Wissen (wer darf welche Rituale ausführen? usw.). Die Eigentums- und Besitzrechte waren und sind bei Gesellschaften, die keine Vorräte bilden, schwach ausgeprägt. Größere Ansammlungen von beweglichem Eigentum existieren dort kaum. Bei den Gesellschaften, die Vorräte akkumulieren, gestalten sie sich hingegen oft sehr komplex.<ref>Alan Barnard, James Woodburn: Introduction. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Vol. 2: Property, Power and Ideology. Oxford 1988, ISBN 0-85496-735-4, S. 10 ff.</ref> Sie dienen u. a. dazu, das Risiko einer Übernutzung knapper Gemeingüter, das durch die Möglichkeit der Speicherung von Vorräten deutlich steigt, zu begrenzen. So überlieferte Bronislaw Malinowski eine Tradition der Einwohner der Trobriand-Inseln, die bereits lange intensiven Gartenbau betrieben, einen Teil ihrer Yams-Wurzeln im Speicher so lange aufbewahrten, bis sie verrotteten. Dies wurde oft nur durch freiwilliges Wettfasten erreicht.<ref>Maren Möhring, Erhard Schüttpelz, Martin Zillinger: Knappheit. transcript Verlag, 2011, S. 108.</ref> Darin erkennt man eine ältere Form der Regulation von Gemeingütern, die aus der Zeit unsicherer Nahrungsmittelversorgung stammt und darauf zielt, durch die möglichst lange Erhaltung ihres Schauwerts die Widerstandskräfte der Gemeinschaft für den Fall von Hungersnöten zu erhalten. Dabei gibt sie jedem Mitglied der Gemeinschaft die Möglichkeit, sich vorbildlich zu verhalten.

Glaube

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Kirikoraha-Zeremonie der Veddas (Sri Lanka) zur Beschwichtigung des Jagdgottes Kande Yaka

Die ursprünglichen Glaubensvorstellungen aller weltweit zerstreuter Jäger- und Sammlergesellschaften weisen weitreichende Gemeinsamkeiten auf. Sie waren (und sind zum Teil noch) vorwiegend animistisch geprägt:<ref name="Kohl" /> Praktisch alle Naturerscheinungen galten als beseelt bzw. von Geistern bewohnt. Häufig wurde eine mythisch-verwandtschaftliche Verbindung zu Tieren, aber auch zu Pflanzen, Bergen, Quellen u.v.m. – den sogenannten Totems – hergestellt, denen als Symbole eine wichtige Bedeutung für die Identitätsfindung zukam – entweder im Sinne eines profanen Gruppenabzeichens oder eines geheiligten Sinnbildes. Zentral war möglicherweise die Vorstellung einer natürlichen Ordnung, die vor allem darin bestand, das bestimmte Lebewesen das „Eigentum“ bestimmter höherer Wesen waren.<ref name="Münzel" /> Aus der Verwandtschaft zu den anderen Wesen oder der Angst vor Racheakten der „Eigentümer“ wurden oftmals Nahrungs- und Jagdtabus sowie Vergebungsrituale hergeleitet, die zum Teil eine wichtige Funktion für die Erhaltung der Ressourcen hatten.<ref name="Kohl" /> Es gab keine Trennung von Spiritualität und Alltag; das „Leben war Religion“, kultische Handlungen bestanden zum Beispiel in Tierpantomimen, rituellen Verwandlungen in Tiere oder Beschwörungsriten vor Jagdzügen.<ref name="Haller" />

Landnutzung und Ernährung

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Traditionelle Jäger wie die Hadza müssen für die Nahrungssuche oft sehr weit wandern. Dennoch ist die Versorgung in aller Regel sicher und ausgewogen
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Sammelnahrung macht in den warmen Regionen den Hauptanteil der Nahrung aus
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Die Mongongo-Nuss, nahrhaft und reichlich vorhandenen im Gebiet der San
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Die Anishinabe Süd-Kanadas haben sich vor allem auf den Wasserreis spezialisiert

Die Wirtschaftsform des unspezialisierten Jagens und Sammelns<ref name="Müller, Klaus E." /> erfordert (in Abhängigkeit vom jeweiligen Nahrungsangebot der bewohnten Klimazone) in der Regel ausreichend große Schweifgebiete, die aufgrund ihrer Ausdehnung nur extensiv genutzt werden können.<ref group="C">Hirschberg, S. 412 (Stichwort: Wildbeuter).</ref> Überdies wird die Vegetation und die natürlich vorkommende Artenzusammensetzung nicht gezielt verändert.

Bezogen auf die Fläche wird bei diesem Subsistenzsystem mit Abstand am wenigsten Energie eingesetzt. Sofern noch keine modernen Technologien (Waffen, Werkzeuge, Fahrzeuge) genutzt werden, handelt es sich ausschließlich um metabolisierte Energie in Form von Muskelkraft. Dies führt zwar zu einem geringen Ertrag ohne Überschüsse, der deutlich unterhalb desjenigen aller Agrarsysteme liegt; die Energieeffizienz ist demgegenüber jedoch sehr hoch und übertrifft alle technisierten Wirtschaftssysteme um ein Vielfaches: Der Energieertrag beträgt ungefähr das sechsfache des Einsatzes und der Einfluss auf den Naturhaushalt ist extrem gering (HANPP <0,1 %).Diese Konstellationen lassen hinsichtlich einer ausreichenden Nahrungsversorgung nur sehr geringe Bevölkerungsdichten zu: Für das südliche und östliche Afrika werden beispielsweise zwischen 0,8 bis 2 Einwohner/km² als Maximum angegeben.<ref name="Lauk">Christian Lauk: Sozial-Ökologische Charakteristika von Agrarsystemen. Ein globaler Überblick und Vergleich. In: Social Ecology Working Paper 78. Institute of Social Ecology, Wien 2005, ISSN 1726-3816, S. S 37–38, ergänzend Tabellen ab S. 95.</ref>

Die Zusammensetzung der Nahrung ist bei unspezialisierten Gruppen sehr unterschiedlich und schwankt zudem im Jahresverlauf stark. Je unwirtlicher der Lebensraum, desto größer muss die „bewirtschaftete“ Fläche sein, desto länger sind die Wege und desto kleiner ist die Personenzahl der Horden.<ref name="Haller">Dieter Haller: Dtv-Atlas Ethnologie. 2., vollständig durchgesehene und korrigierte Auflage. dtv, München 2010, ISBN 978-3-423-03259-9, S. 103, 165–169.</ref>

Einige Untersuchungen bei rezenten Völkern der Subtropen und Tropen kommen auf 60 bis 70, in Einzelfällen bis zu 80 Prozent Sammelnahrung (vorwiegend pflanzlich).<ref>Frank Robert Vivelo: Handbuch der Kulturanthropologie: Eine grundlegende Einführung. dtv, München 1988, ISBN 3-423-04470-5, S. 74–75.</ref> So ernähren sich süd- und südostasiatische Dschungelvölker nahezu vollständig von der Sammelwirtschaft. Einige indische Ethnien (etwa die Malapantaram und Aranandan aus Kerala) verfügen nicht einmal über Bogen oder Speere. Der Schwerpunkt liegt in den warmen Ländern selbst dort häufig auf vegetabiler Kost, wo Wild und Fische überreich vorhanden sind. Es ist anzunehmen, dass die unsicheren Beutequoten, die Risiken der Jagd und die einfache Verfügbarkeit der Sammelnahrung dabei eine wichtige Entscheidungsgrundlage sind.<ref name="Müller, Klaus E." /> Für andere Ethnien – insbesondere des hohen Nordens – wurden als Durchschnittswerte hingegen 65 Prozent tierische Nahrung ermittelt,<ref>Interview mit Loren Cordain: The Paleolithic Diet and its Modern Implications</ref> in extremen Tundraregionen bis zu 90 Prozent. Hier steht pflanzliche Nahrung nur maximal von Mai bis September zur Verfügung.<ref name="Müller, Klaus E." />

Die Erkenntnisse der Paläoanthropologie zur Ernährung der Steinzeitmenschen belegen überwiegend pflanzliche Nahrung; tierische Kost spielte keine entscheidende Rolle<ref>Boyd Eaton: Evolution, Diet and Health</ref> und beschränkte sich häufig auf Insekten als Fettspender und Kleinwild als Quelle für tierisches Eiweiß.<ref name="Müller, Klaus E." />

Bei spezialisierten Wild- oder Feldbeutern, die sich vorwiegend von der Jagd auf bestimmte, häufig vorkommende Großtierarten (Bison, Karibu, Meeressäuger, Kleinwild), vom Fischfang in dauerhaft fischreichen Gewässern oder von der Ernte massenhaft vorkommender wilder Früchte (Wildreis, Schwarzeicheln, Süßgräser, Sagopalme) ernährten, müssen sowohl für die Landnutzung als auch für die Ernährung andere Maßstäbe angelegt werden. Sie waren bei hoher Ressourcendichte (Wildwechsel, dichtbesetzte Graslandschaften, Uferzonen großer Gewässer u. ä.) halbnomadisch, halbsesshaft oder sesshaft, lebten in größeren, sozial komplexeren Gruppen und nutzten die Ressourcen intensiver.

Solche komplexen Gesellschaften gab es bereits vor 20.000 Jahren (etwa an der Dordogne, in der Ukraine, in Japan, Dänemark, der Levante). Die Fundlage lässt dort auf höhere Bevölkerungsdichten, Arbeitsteilung und Spezialisierung, Tauschhandel und Ferntransport sowie auf eine stärkere soziale Schichtung schließen.<ref name="Sieferle" />

Jagd

Jagdmethoden

Datei:Klippen-Treibjagd Rekonstruktion.JPG
Rekonstruktionen einer Klippen-Treibjagd ...
Datei:Mammut Fallgrubenjagd Rekonstruktion.JPG
... und einer Fallgrubenjagd auf Mammuts im Parc de Préhistoire de Bretagne

Die älteste Jagdmethode des Menschen ist vermutlich die Hetzjagd in der Form der Ausdauerjagd. Diese beruht auf der gegenüber fast allen Säugetieren überlegenen Ausdauer des Menschen beim Laufen. Der für längeres schnelleres Laufen hinreichend gut ausgestattete Mensch kann aufgrund seiner etwa zwei Millionen Schweißdrüsen sowie der schwachen Behaarung seinen Körper effektiv kühlen und daher einen längeren Lauf stundenlang durchhalten. Die Jäger der Khoisan im südlichen Afrika erlegen noch heute schnelle Huftiere wie Zebras oder Steinböckchen ganz ohne Waffen, indem sie so lange hinter ihnen herlaufen, bis diese entkräftet zusammenbrechen.<ref name="Terre des hommes 2009" /> Auch einige amerikanische Indianer­stämme jagten Gabelböcke als Ausdauerjäger. Einige Aborigines in Australien jagten auf diese traditionelle Weise Kängurus.

Diese Jagdmethode unterscheidet sich von der der meisten Raubtiere. Beispielsweise Geparden, die kurzzeitig auf Geschwindigkeiten von über 100 Kilometer pro Stunde kommen, können diese Geschwindigkeit nur wenige Minuten durchhalten und müssen ihr Jagdwild in einem Anlauf erreichen, da es sonst entkommt. Auch andere Raubtiere halten hohe Geschwindigkeiten nur kurze Zeit durch oder verwenden andere Taktiken wie das Einkreisen durch ein Rudel.

Ebenfalls sehr alte Jagdmethoden dürften die „Klippen-Treibjagd“ – bei der das Wild in Panik versetzt und auf den Rand einer Klippe zugetrieben wurde – und die Fallenjagd sein, die unter anderem für die Aborigines Australiens dokumentiert sind.<ref>Sibylle Kästner: Jagende Sammlerinnen und sammelnde Jägerinnen: Wie australische Aborigines-Frauen Tiere erbeuten. LIT Verlag, Münster 2012, ISBN 978-3-643-10903-3. S. 343.</ref>

Jagdwaffen

Sehr alt ist die Jagd mit Wurfhölzern insbesondere auf Vögel und kleinere Tiere und mit Speeren auf größeres Wild.

Wurfholz

Hauptartikel: Wurfholz

Außer bei Menschen wurde auch bei Affen beobachtet, dass sie von Bäumen herab Stöcke oder harte Früchte auf herannahende Raubtiere werfen. Deshalb wird vermutet, dass der Gebrauch von Wurfhölzern älter ist als der des Speeres, einem zumindest an einem Ende gespitzten Stock, der gerade fliegt und in das Wild oder den Gegner eindringt. Das sich beim Flug drehende Holz konnte beispielsweise einen Vogel durch die beim Auftreffen abgegebene Wucht betäuben (Trefferzone Kopf), oder bei Treffern an den Flügeln durch vorübergehende Lähmung oder Brechen von Knochen das Wegfliegen verhindern. Ausgereifte Konstruktionen in der Hand eines geübten Jägers erlegen auch andere und größere Beutetiere.

Das erste Fundstück bei der Grabung in Schöningen (siehe unten) war ein vermutliches Wurfholz: ein an beiden Enden gespitzter Stock von etwa 50 Zentimeter Länge.<ref>H. Thieme: Altpaläolithische Holzgeräte aus Schöningen, Lkr. Helmstedt. In: Germania. Band 77, 1999, S. 451–487.</ref> Eindrucksvoll und beispielsweise auch in Alteuropa nachgewiesen sind die Wurfhölzer, welche die australischen Aborigines zur Jagd benutzten (Bumerangs). Sie konnten bis 2 Kilogramm schwer und 1,30 Meter lang sein, geübte Werfer können einen solchen Bumerang bis zu 100 Meter weit werfen. Diese Jagdbumerangs kehren nicht zum Werfer zurück, sondern sind für einen geraden und stabilen Flug optimiert. Verwendet wurden sie auch als Grabstock, um Wurzeln auszugraben. Wurfhölzer mit einem Alter von 20.000 Jahren wurden in den europäischen Karpaten gefunden. Erhalten sind auch Darstellungen aus dem Alten Ägypten, die eine Vogeljagd mit Wurfhölzern zeigen.

Speere

Speere benutzen bereits frühe Vertreter der Gattung Homo wie Homo erectus (Homo heidelbergensis).

Die ältesten bisher gefundenen Jagdwaffen sind die 400.000 Jahre alten Schöninger Speere (andere Datierungsansätze gehen von etwa 270.000 Jahren aus). Beim Braunkohleabbau im niedersächsischen Schöningen fanden sich inmitten von 18 Wildpferdeskeletten 7 Speere aus Fichten­holz. Diese Wurfspeere hatten eine Länge zwischen 1,82 bis 2,50 Meter und waren aus dem härteren Basisholz gefertigt, ihr Schwerpunkt lag auf der Spitze. Die Wurfeigenschaften von nachgefertigten Speeren ähneln denen von modernen Damenwettkampfspeeren, wobei die Jagdreichweite etwa 15 Meter betrug. Zu jener Zeit war Europa vom Homo heidelbergensis bewohnt, aus dem später der Neandertaler hervorging; der moderne Mensch (Homo sapiens) breitete sich frühestens vor 45.000 Jahren nach Europa aus.

Im Fundgebiet des frühsteinzeitlichen Jagdlagers Bilzingsleben fanden sich tausende von Knochen, davon 60 Prozent Großtierknochen, neben Wildrindern und Wildpferden auch Knochen von Bären, Nashörnern und Elefanten­kälbern.

Lanze und Harpune

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Harpunenformen aus der Steinzeit, hier dem Magdalénien (18.000–12.000 v. Chr.):
1 Mas d'Azil
2 Bruniquel
3, 4, 5 La Madeleine
6, 7 Lortet

Die aus dem europäischen Vorkommen des Homo erectus hervorgegangenen Neandertaler jagten auch mit Lanzen, also angespitzten Holzstäben als Stichwaffen, die allerdings auch mit einer blattförmigen Steinklinge versehen sein konnte. So fand sich im deutschen Lehringen im Brustkorb eines Waldelefantenskelettes eine 2,38 Meter lange Eibenholzlanze. Neandertalerskelette zeigen vielfach Spuren von Knochenbrüchen an Armen und Kopf. Eine ähnliche Häufigkeit von Knochenbrüchen fanden Archäologen unter allen historischen und modernen Menschengruppen nur noch bei modernen Rodeo-Reitern – deren Ursache für die Knochenbrüche liegen nicht hauptsächlich bei den Stürzen, sondern gehen von den Hufen der Tiere aus. Dieser Gefahr waren auch die Neandertaler ausgesetzt, wenn sie aus nächster Nähe Großwildjagd betrieben.

Die Lanze wurde bis in die Neuzeit als Jagdwaffe benutzt, vor allem zur Jagd auf Wildschweine (vergleiche Saufeder).

Als Stoßwaffe meist mit Widerhaken zur Jagd auf Fische entwickelten die Menschen die Harpune.

Speerschleuder

Eine Verdoppelung der Reichweite von Speeren erreichten die Menschen durch die Entwicklung der Speerschleuder. Die Speerschleuder wurde im Europa der letzten Eiszeit entwickelt, eine Jagdwaffe, die aus dem Geschoss und der Wurfvorrichtung besteht. Das älteste Fundstück lässt sich dem späten Solutréen (vor rund 24.000 bis 20.000 Jahren) zuordnen. Der überwiegende Teil aus stratigraphisch gesicherten Zusammenhängen stammt jedoch aus dem Magdalénien IV (vor etwa 15.400–14.000 Jahren). Der Schwerpunkt ihrer Verbreitung ist Südwestfrankreich, einige Fundstücke stammen aus der Schweiz, aus Deutschland und Spanien. Weltweit ist die Speerschleuder archäologisch und ethnographisch in Mikronesien, Australien, Neu-Guinea und bei den Eskimos belegt. In Mittelamerika wurde die Speerschleuder als Kriegswaffe verwendet.

Pfeil und Bogen

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Jäger mit Bögen und Rinder als Jagdbeute (Felszeichnungen in der Sahara)

Auf noch größere Distanzen und bis in die Wipfel der Bäume und auf fliegende Vögel erweiterte der Bogen die Jagdreichweite der Menschen. Einige Stämme lernten die Pfeilspitzen zu vergiften, sodass sie auch mit kleinen Pfeilen große Tiere erlegen konnten, für die vorher Speere benötigt wurden.

Netze und Schlingen

Als die Menschen begannen, Fasern zu verarbeiten, begannen sie auch, Tiere mit Schlingen zu jagen, sowie Vögel und Fische mit Netzen zu fangen.

Blasrohr

Einige wenige Stämme von Jägern und Sammlern verwendeten auch Blasrohre, mit denen sie meist vergiftete Pfeile abschossen. So jagen Indianerstämme im Regenwald Südamerikas mit etwa drei Meter langen Blasrohren und Curare- oder Pfeilgiftfrosch-vergifteten Pfeilen Primaten in den höchsten Wipfeln der Bäume.

Sammeln

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Mandan-Mädchen pflücken Beeren (Edward S. Curtis, etwa 1908)

Die Menschen sammelten, was die örtliche Natur hergab. Durch seine Fähigkeit, tierische und pflanzliche Nahrung verdauen zu können, steht dem Menschen ein breites Spektrum an Nahrungsquellen zur Verfügung.

Gesammelt wurden bestimmte Früchte, Nüsse, Samen, Wildgemüse, Kräuter, Wurzeln, Rhizome, Maden, Raupen, Insekten, Eier, Honig, Weichtiere, Kriechtiere, Lurche, Algen, Beeren, Pilze. Trotz der angedeuteten Vielfalt stand je nach Gebiet oft eine kleine Anzahl von Nahrungsquellen im Vordergrund. So bildeten im Mesolithikum Europas Haselnüsse einen wesentlichen Bestandteil der Nahrung im Winter.<ref>Daniela Holst: Hazelnut economy of early Holocene hunteregatherers: a case study from Mesolithic Duvensee, northern Germany. In: Journal of Archaeological Science. 37, 2010, S. 2871–2880.</ref>

Um die gesammelten Nahrungsmittel zum Lager zu bringen und sie aufzubewahren, nutzten die Menschen zum Beispiel ausgehöhlte Kürbisse sowie Häute und Felle von erjagten Tieren. Sie begannen aber auch, aus Gras und Binsen Körbe und sonstige Behälter zu flechten und zu weben. Diese Techniken waren auch bei der Inbesitznahme von Landstrichen außerhalb der Tropen nützlich, als man schützende und warme Bekleidung brauchte.

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Beispiel: Der fruchtbare Halbmond

Im Gebiet des „fruchtbaren Halbmondes“ (Syrien, Libanon, Palästina, Mesopotamien) fanden die umherstreifenden Menschengruppen nach der Eiszeit eine offene Waldlandschaft mit Eichen, Pistazien und Mandelbäumen. Sie sammelten Pistazien und Mandeln, aber auch die nur dort heimischen Wildgetreide wie verschiedene wilde Weizensorten, etwa Wilden Einkorn (Triticum boeoticum) und Wilden Emmer (Triticum dicoccoides), sowie Wildgerste und wilde Roggenarten. Außerdem fanden sich dort Hülsenfrüchte wie Erbsen, Platterbsen, Bohnen und Linsen. Das Nahrungsangebot begünstigte die Entwicklung von Ackerbau und Viehhaltung.

„Die Natur des Jägers“ im Zerrspiegel der Zivilisationen

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Romantische Bilder bedienen das Klischee vom paradiesischen Leben der sogenannten „Naturvölker“ („A smoky day at the Sugar Bowl“, Edward Curtis, 1923)

Während der Kolonialzeit gingen viele Forscher von einer stetig wachsenden, expandierenden und fortschreitenden Kulturentwicklung aus, deren höchste Stufe man im Abendland sah (→ siehe Kulturstufentheorie). Noch bis in die 1940er Jahre glaubten manche Wissenschaftler in den einfachsten Wildbeuter-Gesellschaften die „Urkultur“ der Menschheit als Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu erkennen. Heute wird die Idee einer soziokulturellen Evolution nur noch sehr vorsichtig geäußert.<ref group="A">Harris, S. 437–438, 440–441.</ref> Mark Münzel schrieb dazu mit Blick auf die modernen ethnologischen Erkenntnisse: „Sollte es überhaupt ein Gesetz mit angenommener „Normalverteilung“ der Geschlechter von 100 Frauen auf 105 Männer = 23 Männer pro Horde. Bei angenommener linearer Alterspyramide von rund 65 % über 18-jähriger = 15 erwachsene Männer. 28 % davon sind 4 Personen; bezogen auf die Gesamtgruppe sind das etwa 9 %.</ref> Nach Steven Pinker liegt die Wahrscheinlichkeit im 20. Jahrhundert weltweit nur noch unter einem Prozent. Kritiker halten solche Berechnungen jedoch für höchst spekulativ, da bereits die zugrundeliegenden Werte ausgesprochen unsicher sind: Archäologische Funde bilden nur einen winzigen Ausschnitt der Realität ab und sind unterschiedlich interpretierbar; ethnographische Aufzeichnungen basieren zumeist auf Schätzungen und selbst die Zahlen für die Toten der jüngsten Kriege basieren auf groben Schätzungen.<ref name="sueddeutsche.de" /> Außerdem werden die historischen kriegerischen Konflikte, an denen Wildbeutergruppen beteiligt waren, von einigen Ethnologen auf unterschiedliche Einflüsse durch die Begegnung mit den imperialistischen Kolonialmächten zurückgeführt.<ref group="A">Harris, S. 214.</ref><ref name="Allen, Jones">Mark W. Allen, Terry L. Jones: Violence and Warfare Among Hunter-Gatherers. Left Coast Press, Walnut Creek (USA, CA) 2014, ISBN 978-1-61132-939-1, S. 19–20.</ref>

Der amerikanische Politikwissenschaftler Quincy Wright untersuchte in den 1960er Jahren Aufzeichnungen über 653 verschiedene Ethnien hinsichtlich Krieg und Frieden und kam dabei zu einer völlig anderen Feststellung: „Die Sammler, primitiven Jäger und Ackerbauern sind die am wenigsten kriegerischen. Die weiter fortgeschrittenen Jäger und Ackerbauern sind kriegerischer, und die am höchsten stehenden Ackerbauern und die Hirten sind die kriegerischsten von allen.“<ref name="Fromm">Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Aus dem Amerikanischen von Liselotte u. Ernst Mickel, 86. - 100. Tsd. Ausgabe, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1977, ISBN 3-499-17052-3, S. 170, 191ff, insbes. 202–203.</ref>

Datei:Bambuti-Netzjäger.jpg
Die Mbuti-Pygmäen rechnete Erich Fromm zu den friedliebenden, „lebensbejahenden Gesellschaften“
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Die neuseeländischen Māori, ehemals ein kriegerisches Volk von Wildbeutern, Fischern und Feldbauern: Nach Fromm eine „nichtdestruktiv-aggressive Gesellschaft“
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Die Haida aus Kanada gehörten nach Fromm früher zu den „destruktiven Gesellschaften“ unter denen Gewalt in jeder Form normal war

Der Psychoanalytiker Erich Fromm (der selbst 30 rezente vorindustrielle Kulturen mit verschiedenen Lebensweisen untersuchte) zog daraus den Schluss, dass die „Kriegslust“ mit der Entwicklung der Zivilisation zugenommen habe: Je mehr verschiedene Dinge der Mensch produziert und besitzt, desto größer sind Habgier und Neid, die er als zwingende Voraussetzungen für kriegerische Handlungen auffasste.<ref name="Mentzos" /> Fromm stellte in seiner Studie fest, dass zumindest destruktives Verhalten (Zerstörungswut, Grausamkeit, Mordgier u. ä.) bei den egalitär organisierten (unspezialisierten) Jägern und Sammlern viel häufiger fehlte oder viel geringer ausgeprägt war als bei zivilisierten Gesellschaften. Ursächlich sind nach seiner Auffassung die soziokulturellen Bedingungen, die er in drei Gruppen gliederte:

  • „Lebensbejahende Gesellschaften“ (ausgeprägter Gemeinschaftssinn, große soziale Gleichheit, freundliche Kindererziehung, tolerante Sexualmoral, geringe Aggressionsneigung)
  • „Nichtdestruktiv-aggressive Gesellschaften“ (Rang und Rivalität, Status und Erfolg, zielgerichtete Kindererziehung, reglementierte Umgangsformen, Aggressionsneigung)
  • „Destruktive Gesellschaften“ (strenge Hierarchien, Egoismus, Neid und Misstrauen, Feindseligkeit, ideologisierte Kindererziehung, häufige Aggressionen mit Zerstörungswut und Grausamkeiten)

Dennoch fand er gesellschaftlich toleriertes, aggressives Verhalten bei Jägervölkern genauso wie Gewaltlosigkeit; aber ebenso Zerstörungslust und Grausamkeit bei den spezialisierten Wildbeutern der nordamerikanischen Pazifikküste und demgegenüber sehr harmonisch-friedliche Lebensweisen bei Nicht-Jägern wie den Toda in Südindien – die Büffelzucht und Feldbau betreiben – oder den Zuñi in New Mexico – die traditionell von Bewässerungsfeldbau und Schafzucht leben und eine komplexe Sozialstruktur haben.<ref name="Fromm" /> Die Subsistenzweise ist eine wichtige Grundlage für das Sozialverhalten, entscheidend ist jedoch im Endeffekt das jeweilige Wertesystem, auf dem die Kultur beruht.

Auch sehr traditionell lebende Jägervölker kennen persönliches Eigentum, wenn auch nur in geringem Ausmaß. Da es kaum Privatsphäre gibt und keinen lohnenden „Markt“ für Diebesgut, ist Neid als Ursache für Gewalt jedoch kaum anzunehmen. Vielmehr drehen sich die meisten Streitigkeiten dort um Frauenraub und den „guten Ruf“ der Gruppenmitglieder. Häufig liegt dabei die Ursache im Verdacht, jemand habe schwarze Magie angewandt oder moralische Normen verletzt. Dies kann durchaus zu blutigen Konflikten führen. In vielen Kulturen waren die jeweiligen Schamanen wichtige Konfliktlöser, gleichwohl dies oftmals nicht mit der modernen Rechtsauffassung vergleichbar ist.<ref group="A">Harris, S. 203–204, 205–207.</ref>

Die Studie von Douglas P. Fry und Patrik Söderberg (2013) differenziert ähnlich wie Fromm sozioökonomisch zwischen einfachen (unspezialisierte Abstammungsgruppen) und komplexen (spezialisierte Ranggesellschaften) Jägern und Sammlern sowie zwischen tödlichen Konflikten unter Gruppen und Gewalttaten innerhalb der Gruppen. Tödlich endende Fehden sind bei den einfachen Wildbeutergruppen in aller Regel wesentlich seltener als bei allen anderen Kulturen; Tötungsdelikte hingegen weisen hohe Raten auf. Bei den komplexen Wildbeuterkulturen kommen Fehden bereits häufiger vor. Todbringende Kriege führte nur eine kleine Minderheit der Jäger und Sammler (der vorkolonialen Epoche).<ref name="Allen, Jones" />

Es ist zumindest offensichtlich, dass sich die Interessenkonflikte und die Methoden zur Verhinderung gewalttätiger Konfrontationen in Wildbeuterkulturen erheblich von anderen Gesellschaften unterscheiden. Der Anthropologe Marvin Harris führt dazu drei Hauptgründe an:<ref group="A">Harris, S. 201.</ref>

  • die geringe Größe der Horden- und Dorfgesellschaften, in der jeder jeden kennt,
  • die verwandtschaftlichen Beziehungen als zentrale Größe der sozialen Strukturen (Reziprozität, gemeinsame Werte und Interessen) und
  • das weitgehende Fehlen von Ungleichheiten beim Zugang zur (gruppeneigenen) Technologie und den natürlichen Ressourcen.

Harris bemerkt zudem, dass es für nomadisierende Gruppen in sehr großen Territorien viel einfacher als für sesshafte war, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen oder im Kriegsfall zu fliehen.<ref group="A">Harris, S. 215.</ref>

Gegenüber diesen Diskussionen um eine übergeschichtliche Universalität des Krieges und die Natur des Menschen ist kritisch anzumerken, dass sich präzivilisatorische "Kriege" und moderne "Kriege" gravierend unterscheiden. Auch wenn es "Kriege" schon immer gab, sind die modernen gewaltigen Kriegsschäden für Land und Mensch<ref name="SPIEGEL">Beispiel Umweltzerstörung in Syrien und im Irak [1]</ref> ein absolutes, geschichtliches Novum.

„Umwelt und Ökologie“

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Insbesondere Jäger extremer Lebensräume benötigen hochspezialisierte Kenntnisse und Fertigkeiten
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Die permanente Auseinandersetzung mit der direkten Umwelt schärft die Sinne der „Ökosystem-Menschen“ für Zusammenhänge
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Hunger und Jagdeifer sind menschliche Motivationen, die seit jeher mit Vernunft und spiritueller Naturbindung wetteifern

Da Jäger und Sammler die natürlichen Ressourcen nur selektiv nutzen, sind ihre Nutzungsformen vergleichsweise umweltschonend und nachhaltig<ref group="C">Hirschberg, S. 117. (Stichwort: Extraktive Wirtschaftsformen.)</ref> (siehe auch: Optimal foraging).<ref group="A">Harris, S. 91–94.</ref> Ihr Einfluss auf den Naturhaushalt reicht zumeist nicht über ein oder wenige Ökosysteme hinaus (siehe auch: „Ökosystem-“ versus „Biosphärenmenschen“).<ref name="Dasmann">Raymond Dasmann: Toward a Biosphere Consciousness. In: Donald Worster (Hrsg.): The Ends of the Earth: Perspectives on Modern Environmental History. 2. Auflage. Cambridge University Press, New York 1989, ISBN 0-521-34365-8, S. 277–288, insbesondere 277–279.</ref> Ihr traditionelles Wissen zeichnet sich vor allem durch Kenntnisse über die Zusammenhänge der Natur ihres Lebensraumes aus.<ref>Anja von Hahn: Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Springer, Heidelberg 2004, S. 11.</ref>

Darüber hinaus verfügen alle Wildbeuterkulturen weltweit über komplexe, tradierte Normen, religiös verortete Riten, Mythen, Tabus und Wertvorstellungen, die unter anderem auch den sorgsamen Umgang mit der Umwelt sichern sollen.<ref group="D">Lee und Daly, S. 396–397, 419–422.</ref><ref>Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken. 4. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt 1981, ISBN 3-518-07614-0, S. 270.</ref> Dieser „ritualisierten Ethik“ stand jedoch seit jeher die „menschliche Natur“ gegenüber: Hunger, Erfindungsreichtum oder Eifer können mächtig motivieren. Dies belegen auch die Erkenntnisse über die frühen Jägervölker, denn sowohl für den nachhaltigen als auch für den plünderischen Umgang mit der Umwelt gibt es stichhaltige Belege.<ref name="Radkau S. 64–66">Joachim Radkau: Natur und Macht – Eine Weltgeschichte der Umwelt. 2. Auflage. C.H.Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63493-2, S. 64–66.</ref> Allerdings war das Ausmaß der damaligen Umweltzerstörungen wegen der geringen Bevölkerungsdichte und vor allem wegen der geringen technischen Möglichkeiten weit weniger umfassend. Durch moderne Maschinen, chemische Industrie, Nutzung von Erdöl, moderne Kriege etc. ist die Erde heutzutage unvergleichlich massiveren menschlichen Einflüssen ausgesetzt.

Dennoch lebten die Gesellschaften der Jäger und Sammler nicht notwendigerweise in völligem „Einklang mit der Natur“. So kam es während der Ausbreitung des Homo sapiens über die Erde bei der Besiedlung unbekannter, isolierter - und darum besonders empfindlicher - Ökosysteme (wie etwa Inseln) zur Ausrottung ganzer Tierpopulationen. Bekannte Beispiele dafür sind die ursprünglichen Großsäuger auf Zypern (etwa 9500 v. Chr)<ref>Veronica Tatton-Brown: Cyprus BC, 7000 years of history.</ref> und der Riesenlaufvogel Moa auf Neuseeland (13./14. Jahrhundert), die mit Eintreffen der Jäger komplett vernichtet wurden.

Nach der umstrittenen Overkill-Hypothese ist der Mensch auch für die dramatischen quartären Veränderungen der Flora und Fauna der Kontinente Australiens und beider Amerikas verantwortlich, da sie direkt nach der Einwanderung der ersten Menschen auftraten<ref>Jared Diamond: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 54 ff.</ref> Es wird angenommen, dass beispielsweise die Jagd durch gelegte Feuer die angetroffenen Ökosysteme massiv beeinflusste.<ref group="B">LeBlanc, S. 29 ff.</ref> So verschwanden u. a. Procoptodonen und Beutellöwen aus Australien, genauso wie Mammuts und Urpferde (wie bspw. das Hippidion) auf dem Doppelkontinent. Andere Autoren sehen klimatische Veränderungen als Ursache an. Zumindest eine Beteiligung des Menschen ist kaum von der Hand zu weisen.<ref name="Radkau S. 64–66" />

Erst im Laufe der Zeit entwickelten die Wildbeuter-Kulturen die oben genannten – fragilen und latent instabilen<ref group="B">LeBlanc, Kapitel. 2 (Was there ever an Eden?), S. 31–61, hier S.33 ff.</ref> – Traditionen, die ihnen ermöglichten, mit ihren Ressourcen nachhaltiger umzugehen. Dabei standen sie zudem immer der Versuchung gegenüber, auf Populationsstress, der etwa durch klimatische Verschlechterungen verschärft wurde, mit Übernutzung der natürlichen Ressourcen zu reagieren.

Auch die Jäger und Sammler der Gegenwart (die noch nicht oder nur geringfügig durch die moderne Lebensweise beeinflusst sind) achten zumeist auf die Unversehrtheit ihrer Umwelt, da sie direkt davon abhängen. Sobald sich jedoch andere Quellen für den Lebensunterhalt ergeben, bleibt die traditionelle Nachhaltigkeitsstrategie nicht in jedem Fall erhalten, wie die positiven Reaktionen einiger Wildbeutergemeinschaften auf Geldeinnahmen aus Holzeinschlag oder Bergbauaktivitäten belegen.<ref>Peter P. Schweitzer, Megan Biesele, Robert K. Hitchcock (Hrsg.): Hunters and Gatherers in the Modern World: Conflict, Resistance, and Self-determination. Nachdruck, Berghahn Books, New York, Oxford 2006, ISBN 1-57181-102-8, S. 9.</ref>

„Alltag und Lebenserwartung“

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Glück und Wohlstand werden sehr unterschiedlich empfunden und sind schwer messbar (Shuar-Kinder aus Ecuador)

Zahlreiche Studien belegen, dass selbst Jäger und Sammler karger Trockenräume in der Regel keinen Mangel litten und im Durchschnitt deutlich mehr Freizeit zur Verfügung hatten als moderne Erwerbstätige. Der US-amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins bezeichnete die historischen Wildbeuterkulturen deshalb als „ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft“.<ref name="Sahlins 1968" /> Ältere Studien beziehen sich dabei nur auf die Tätigkeiten des Jagens und Sammelns (bei den San wenig mehr als 2 Stunden täglich, auf alle Gesellschaftsmitglieder umgelegt)<ref name="Kneer 1995" /> und berücksichtigen nicht die Zeit für Nahrungsmittelzubereitung, Kinderbetreuung und Gebrauchsgüterherstellung.<ref group="B">LeBlanc, S. 107–110, 119.</ref> Wird dies mit berücksichtigt, liegen die Zeiten bei circa 6 Stunden täglich für die San<ref group="A">Harris, S. 146–147 inkl. Fußnote zu D. R. Gross 1984.</ref> bis maximal 7 Stunden für die Aborigines.<ref group="B">LeBlanc, S. 119.</ref> Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher US-amerikanischer Werktätiger wendete in den 1980ern mindestens 11 Stunden täglich für die Erwerbstätigkeit und die anderen vorgenannten Tätigkeiten auf.<ref group="A">Harris, S. 146–147 inkl. Fußnote zu D. R. Gross 1984.</ref> Doch auch diese differenzierten Werte werden von einigen Autoren angezweifelt:

  • Bereits Sahlins spekulierte, dass die Zeiten für Jäger und Sammler ertragreicherer Räume unter den ermittelten Werten für die Wüstenjäger liegen müssten,<ref name="Lauk" /> für subarktische- und arktische Jäger nach Klaus E. Müller jedoch wiederum höher,<ref name="Müller, Klaus E." />
  • Steven A. LeBlanc kritisiert unzureichende Methoden der älteren Studien (Befragung statt Begleitung) und mutmaßt, dass der Zeitaufwand bei den San in der Vergangenheit höher gewesen sein müsse, da sie schon seit Jahrzehnten effizientere Eisengeräte und nicht selbst hergestellte Baumwollkleidung sowie gebohrte Wasserlöcher benachbarter Hirten benutzen würden und dadurch Zeit sparen.<ref group="B">LeBlanc, S. 110.</ref>
  • Christian Lauk weist zudem darauf hin, dass die Werte über alle Mitglieder einer Gesellschaft gemittelt seien, obwohl in keiner Gesellschaft alle Menschen am Nahrungserwerb beteiligt sind<ref name="Lauk" /> (Es ist vermutlich kaum möglich, etwa die Zeit des modernen Rentnerdaseins vergleichbar mit einzuberechnen).

Die Auffassung vom relativen Wohlstand der Jäger und Sammler spiegelt sich auch in der Lebenserwartung wider: Das durchschnittliche Sterbealter Erwachsener (demnach ohne Berücksichtigung der Kindersterblichkeit) lag bei ihnen 2007 zwischen 68 bis 78 Jahren.<ref name="Gurven 2007" /> Zum Vergleich eine moderne Wohlstandsgesellschaft: Deutsche, die zwischen 2009 und 2011 zwanzig Jahre alt waren, werden nach der Sterbetafel im Schnitt rund 80 Jahre alt werden;<ref>Sterbetafel 2009/11. Statistisches Bundesamt, abgerufen am 15. Februar 2015.</ref> und ein Entwicklungsland: 20 Jahre alte Einwohner Botswanas werden hingegen nur 54 Jahre erreichen.<ref>lifetable.de. In: Human Life-Table Database, Max-Planck-Gesellschaft 2015, abgerufen am 15. Februar 2015.</ref>

Heutige Jäger-und-Sammler-Völker

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Die San oder „Buschleute“ lebten vermutlich früher in fruchtbareren Gebieten als Feldbauern
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Die Ainu Japans haben den früheren Subsistenzfischfang zu einer Erwerbswirtschaft gemacht
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Aka-Mutter mit Kindern aus der Republik Kongo
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Die traditionelle Jagd der Aborigines war jahrzehntelang erloschen und erlebt heute – z. T. in modernisierter Form – bei manchen Gruppen ein Comeback
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Die Cree gehören zu den Völkern Kanadas, bei denen einige Menschen zumindest teilweise noch vom Jagen und Fischen leben
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Die Sámi Nordeuropas lebten bis ins 17. Jahrhundert von der Jagd, bevor sie zur Rentierhütehaltung übergingen

Bei einigen dieser Stämme oder Völker ist zu beachten, dass sie ursprünglich nicht unbedingt Jäger und Sammler waren, sondern in Gebiete vertrieben oder abgedrängt worden sind, in denen aufgrund der klimatischen Gegebenheiten (Trockenheit oder Kälte) kein Bodenbau möglich ist. Ein Beispiel dafür sind möglicherweise die San im südlichen Afrika (früher als „Buschleute“ bezeichnet). Bis vor Kurzem lebten auch noch einige Aborigines in Australien als Jäger und Sammler und erreichten wie die San einen erstaunlichen Grad der Anpassung an extrem unwirtliche Wüstengebiete. Die letzte Gruppe von Jägern und Sammlern in Australien waren die Pintupi Nine, die 1984 erstmals in Kontakt mit der westlichen Kultur traten.

Jagen und Sammeln erfordert wie der Hirtennomadismus große, besitzlose und naturnahe Gebiete. Die Ausdehnung der Industriegesellschaften – in Verbindung mit ihren kapitalistischen Eigentumsvorstellungen für Grund und Boden – in immer entlegenere Räume erschwert daher diese Wirtschaftsform zunehmend.<ref name="Lauk" /> Selbst Gruppen der entlegensten Regionen sind heute zumindest temporär in irgendeiner Weise mit der Erwerbswirtschaft verbunden, so etwa durch den Verkauf von Kunsthandwerk, Tauschgeschäfte, Arbeitslohn für Dienstleistungen (Fährtenlesen, Herdentiere hüten, Touristen führen u.ä.) oder staatliche Geldzuweisungen. Die große Mehrheit der heutigen Jäger und Sammler bestreiten ihren Lebensunterhalt aus einer Vielzahl von Quellen. Die traditionelle Nahrungssuche ist häufig eine Pufferstrategie für Notzeiten, die mal mehr und mal weniger wichtig ist.<ref name="Schweitzer, Biesele, Hitchcock" /> (siehe auch: Bushmeat) Bei einigen bereits assimilierten Ethnien (etwa sibirischen Völkern oder Aborigines) ist heute eine Retraditionalisierung der Jagd- und Sammelwirtschaft zu beobachten.<ref name="Kohl" /> (siehe auch: Bush Food)

Wie viele wild- und feldbeuterisch lebende Ethnien heute noch existieren ist umstritten. Dies liegt vor allem an den in den verschiedenen Studien verwendeten unterschiedlichen Definitionen der Zuordnungskriterien von Gruppen zu dieser. Wird beispielsweise unterstellt, dass die gesamte Nahrung ausnahmslos erjagt und ersammelt sein muss, dann gibt es heute keine Wild- und Feldbeuter mehr. …

  • Wie groß muss der Anteil der Nahrung mindestens sein?
  • Darf moderne Technologie eingesetzt werden?
  • Muss die Gruppe ausschließlich Subsistenzwirtschaft betreiben?
  • Ist nur der Nahrungserwerb entscheidend oder sind eher die traditionellen soziokulturellen und weltanschaulichen Bedingungen der Ethnie ausschlaggebend?

Dies sind vier Beispiele für Fragen, die vor einer Datenerhebung geklärt werden müssen; und sie werden derzeit je nach Land und Autor sehr unterschiedlich beantwortet. Eine weltweit einheitliche Definition – die auch juristisch wichtig wäre, um die Rechte dieser Menschen abzusichern – ist bislang nicht vorhanden.<ref name="Schweitzer, Biesele, Hitchcock" />

Die im Folgenden genannten Zahlen aus dem Buch „Hunters and Gatherers in the Modern World“ aus dem Jahr 2000 stammen von Volkszählungen, Menschenrechtsgruppen, wissenschaftlichen Autoren verschiedener Fachbereiche oder von den lokalen Gemeinschaften selbst. Sie sind von daher nur als grobe Richtwerte zu verstehen.<ref name="Schweitzer, Biesele, Hitchcock" /><ref group="Anmerkung">Die Addition der Tabelle auf S. 5 im Buch von "Schweitzer, Biesele, Hitchcock" ergab eine fehlerhafte Gesamtsumme, denn Adivasi und Indianer sind bereits in den Gesamtsummen für Südasien und Nordamerika enthalten. Zudem wurde die Zahl der Eskimo („Circumpolar Region“) nach Bevölkerungsanteilen gewichtet auf Asien und Nordamerika aufgeteilt.</ref> Die aufgeführten Ethnien wurden mit den Informationen aus drei weiteren aktuellen Büchern abgeglichen und konkretisiert.<ref group="D">Lee und Daly, Informationen über die gegenwärtigen Jäger u. Sammler der Welt: vor allem Abschnitte „Introduction“, „Economy“ und „Current situation“ bei jeder beschriebenen Ethnie.</ref><ref>Barry M. Pritzker: A Native American Encyclopedia. History, Culture and Peoples. Oxford University Press, New York 2000, ISBN 0-19-513877-5. Informationen über die gegenwärtigen Jäger u. Sammler Nordamerikas, S. 482–555, Kapitel „The Subarctic“ und „The Arctic“, dort im jeweiligen Abschnitte „Contemporary Information“ bei den beschriebenen Ethnien.</ref><ref>African Commission on Human and People´s Rights – ACHPR und International Work Group for Indigenous Affairs – IWGIA (Hrsg.): Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?: the African Commission's Work on Indigenous Peoples in Africa. IWGIA 2006, Kopenhagen (DK) Jahr, ISBN 87-91563-24-0. Informationen über die gegenwärtigen Jäger u. Sammler Afrikas, S. 9–13, 15–16.</ref>

Jagd und Sammelwirtschaft spielt bei rund 3,8 Millionen Menschen lokaler Gruppen der folgenden Ethnien auch heute noch eine wichtige Rolle:

Asien

  • 1.300.000 Angehörige von Adivasi-Gruppen in Indien (etwa Birhor, Chenchu, Nayaka, Paliyan, Hill Pandaram)
  • 699.400 Angehörige weiterer Ethnien Südasiens ohne Andamaner
  • 502.400 Angehörige südostasiatischer Völker (u. a. Derung, Yao und Akha im Grenzgebiet Chinas, Mani in Thailand, Aeta auf den Philippinen, Kubu und Mentawei auf Sumatra, Fayu sowie einige andere Gruppen in Westneuguinea und einige der isolierten Völker Neuguineas – Orang Asli und Penan unten gesondert ausgewiesen)
  • 210.000 Angehörige sibirischer Völker (einige Gruppen in Russland)
  • 90.000 Orang Asli in Malaysia
  • 26.000 Ainu (Japan)<ref group="Anmerkung">Nach Lee u. Daly sind die Ainu komplett zur Erwerbswirtschaft übergegangen.</ref>
  • 7.600 Penan (Borneo)
  • 600 Andamaner, darunter etwa 200 Jarawa (Indien)
insgesamt 2.836.000 Menschen

Afrika

insgesamt 450.000 Menschen

Australien und Ozeanien

insgesamt 300.000 Menschen

Nordamerika (ohne Mittelamerika)

insgesamt 180.000 Menschen

Mittel- und Südamerika

insgesamt 3.500 Menschen

Europa

Die Wildbeuterei endete in den gemäßigten Klimaten Europas mit Beginn des Neolithikums in den jeweiligen Regionen. Am längsten hielt sie sich in Skandinavien (→ Samen 17. Jahrhundert<ref>Sunna Kuoljok, John-Erling Utsi: Die Sami – Volk der Sonne und des Windes. Ajtte – Svenskt Fjäll- och Samemuseum, Luleå 1995, ISBN 91-87636-10-7. S. 28.</ref>) und Russland (→ Komi 20. Jahrhundert<ref>Maria Müller: Völker der Sowjetunion: Kultur und Lebensweise. Staatliches Museum für Völkerkunde, Dresden 1977, S. 14.</ref>, Nenzen 17./18. Jahrhundert<ref group="D">Lee und Daly, S. 122.</ref>), wo sie weitgehend von der Rentierhaltung abgelöst wurde.

Arktische und subarktische Gebiete

Besonders lange hielt sich die Lebensform des Jagens und Sammelns in den polnahen Gebieten. Beispiele sind die sibirischen Völker der Aleuten, die Itelmenen, die Ewenen (bis ins 17. Jahrhundert), die Inuit von der Tschuktschen-Halbinsel über Alaska bis Grönland und die athabaskischen sowie algonquianischen Indianerstämme Alaskas und Kanadas. Einige dieser Jägervölker züchteten Hunde für die Jagd und für Transportzwecke (Hundeschlitten).<ref name="Kamchatka" />

In Tundra und Taiga ist Ackerbau nicht möglich, so dass die ursprünglichen Bewohner reine Jäger und Sammler waren. In Eurasien entwickelte sich um 1000 v. Chr. aus der Rentierjagd die Rentier-Naturweidewirtschaft, beispielsweise bei den Korjaken, Tschuktschen, Nenzen und Samen. Erst relativ spät kam die Viehhaltung hinzu, von Pferden und anderen Tieren.

Nur sehr wenige Menschen der nordischen Völker leben noch ausschließlich vom Jagen und Sammeln. Für sehr viele stellt es jedoch nach wie vor einen wichtigen Nebenerwerb dar, sowohl zur Selbstversorgung als auch zum Verkauf von Pelzen und anderen Produkten.

Übergang zu Ackerbau oder Viehzucht ab 15.000 v. Chr.

Einige Jäger- und Sammlergesellschaften wandelten sich – beginnend in Kleinasien zwischen etwa 15.000 und 10.000 v. Chr. – entweder zu sesshaften Gesellschaften, die Ackerbau und Viehhaltung betrieben, oder zu Hirtennomaden. In Süd- und Mitteleuropa fand dieser Übergang zwischen 7500 und 4000 v. Chr. statt und trat danach auch in Osteuropa ein (siehe Neolithische Revolution, Neolithisierung). In Teilen Mittelamerikas wird heute allgemein von der Zeit von 5100 bis 4200 v. Chr. ausgegangen.

Manche Gemeinschaften hielten über sehr lange Zeiträume an ihrer Region fest, blieben über mehrere Jahre im gleichen, relativ kleinen Gebiet. Sie änderten ihre Wirtschaftsweise nicht, sondern wurden – in Abhängigkeit vom Klima – durch Bauern oder Viehzüchter verdrängt, beispielsweise durch khoisanide Völker in der Kalahari-Wüste, die möglicherweise zwischen Wildbeuter- und Viehzüchter-Wirtschaft mehrfach hin- und herwechselten.

Forschungsgeschichte

Die Geschichte der Erforschung von Jäger- und Sammlerkulturen hängt eng mit der neueren gesellschaftlichen Entwicklung, sogar mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammen, beispielsweise in Südafrika: Dort bewaffnete die Südafrikanische Republik Angehörige des San-Volkes im Kampf gegen die South-West Africa People’s Organisation (SWAPO) und funktionalisierte archäologische Funde als Zeugnisse für die Existenz unterschiedlicher Stammeskulturen und als Argumente für die Bildung von eigenen Homelands („Heimatgebieten“).<ref>Barbara Bender, Brian Morris: Twenty Years of History, Evolution and Social Change in Gatherer-hunter-studies. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1: History, Evolution and Social Change. Berg, Oxford/Washington 1991, ISBN 0-85496-153-4, S. 4–14, hier: S. 4 (englisch, erstveröffentlicht 1988).</ref> Viele Forschungsergebnisse haben somit einen projektiven Charakter oder sind politisch nicht als neutral anzusehen.

Eine systematische vergleichende Erforschung dieser Kulturen setzte erst in den 1960er-Jahren ein. Bis dahin waren Jäger und Sammler jahrhundertelang als „primitive“, je nach Betrachtungsweise im paradiesischen oder im rohen, unzivilisiert-geschichtslosen Urzustand befindliche Naturvölker betrachtet worden, wobei die Einschätzung schwankte zwischen „knapp oberhalb von Menschenaffen“ und „erfolgreichem primitiven Kommunismus“.<ref>Dies in Anlehnung an Lewis Henry Morgan und Friedrich Engels, welche die Irokesen als Gesellschaftsmodell im Blick hatten. Diese Indianer waren allerdings nicht nur Jäger und Sammler, und selbst Morgan und Engels hatten in ihren Urgesellschaftsbegriff nicht nur Jäger und Sammler eingeschlossen. Vergleiche dazu Barbara Bender, Brian Morris: Twenty Years of History, Evolution and Social Change in Gatherer-hunter-studies. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1, Berg, Oxford/Washington 1991, S. 10 (englisch; erstveröffentlicht 1988).</ref> Einen Auftakt bildete 1966 die Konferenz Man the Hunter in Chicago, deren Ergebnisse von Richard Lee und Irven DeVore in einem Tagungsband publiziert wurden.<ref>Tagungsband: Richard Lee, Irven DeVore (Hrsg.): Man the Hunter. Aldine, Chicago 1968.</ref> Das produktive Zusammenwirken nordamerikanischer Archäologen und Anthropologen führte zu einem Erkenntnissprung, der die auf einzelne Kulturen ausgerichtete kulturrelativistische Betrachtungsweise der amerikanischen Boas-Schule und Margaret Meads überwand und eine ökologisch-funktionalistisch-vergleichende Betrachtungsweise hervorbrachte, die Raum für das Verständnis evolutionärer Prozesse und einen Einblick in alternative Anpassungs- und Lebensformen zuließ.

Mit der Aufwertung dieser Kulturen und der Einsicht in ihre optimale Anpassung an wechselnde ökologische Gegebenheiten ging die Einsicht in die Begrenztheit der technischen Zivilisation und ihrer Waffen (hier spielte der Vietnamkrieg durchaus eine Rolle), ihre Umweltprobleme und den Zerfall ihrer Städte (angesichts der Ghetto riots in den USA) einher. Im Gegensatz zu Richard Lees Betonung der produktiven Tätigkeit des Sammelns und der Rolle der Frauen als Quelle des relativen Nahrungsmittelüberschusses der Jäger- und Sammlergesellschaften betonten Washburn und Lancaster<ref>S. Washburn, C. Lancaster: The Evolution of Hunting. In: Richard Lee, Irven DeVore (Hrsg.): Man the Hunter. Aldine, Chicago 1968.</ref> sowie Laughlin die Rolle der männlichen Jäger und männlicher Dominanz und Aggression für die Ernährung und das Überleben des Stammes vor allem bei den Savannenvölkern.<ref>W. Laughlin: Hunting. An Integrated Biobavioral System and Its Evolutionary Importance. In: Richard Lee, Irven DeVore (Hrsg.): Man the Hunter. Aldine, Chicago 1968.</ref>

Die Pariser Konferenz von 1978 zum gleichen Thema wurde von europäischen Anthropologen dominiert.<ref>Tagungsband: Eleanor Burke Leacock, Richard B. Lee (Hrsg.): Politics and History in Band Societies. Cambridge University Press, New York 2009, ISBN 978-0-521-24063-5 (erstveröffentlicht 1982).</ref> Unter marxistischem Einfluss spitzte sich die Diskussion unter anderem auf die Frage zu, ob die Horden- und Stammesgesellschaften der Jäger und Sammler der Kategorie der (egalitären, besitzrechtslosen) Urgesellschaft zuzurechnen und die Bedarfswirtschaft eine Produktionsweise im Marxschen Sinne sei oder nicht. Die Versuche, zwischen urgesellschaftlich-egalitären und erst in der Neuzeit von außen beeinflussten, hierarchisch geschichteten Gesellschaften zu unterscheiden, schlugen jedoch fehl. Die Urgesellschaftstheorie eröffnet offenbar keinen Zugang zum Verständnis des sozialen Wandels und der gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Hierarchie und Staatlichkeit. Daher stellte sich die Frage nach den äußeren oder inneren Ursachen von sozialer Ungleichheit in einer ursprünglich egalitären, vor allem geschlechtsegalitären Gesellschaft. Eleanor Leacock sah die Ursachen vor allem in der Fähigkeit, Heiratsallianzen zu organisieren - allgemein eine Aufgabe der Frauen - sowie Rituale und Initiationsriten (und dadurch die Arbeitskraft) zu kontrollieren, und kritisierte den Mythos von der biologisch begründeten männlichen Dominanz. Diese sei erst durch den externen Austausch mit europäischen Siedlern und Händlern entstanden.<ref>Eleanor Burke Leacock: The Myth of Male Dominance. Monthly Review Press, New York 1981.</ref>

Weitere Konferenzen folgte 1980 im kanadischen Québec und 1983 im deutschen Bad Homburg.<ref>Tagungsband: Carmel Schrire (Hrsg.): Past and Presence in Hunter Gatherer Studies. Academic, Orlando 1984, ISBN 0-12-629180-2.</ref> Dort wurden vor allem äußere (umweltbedingte und politische) Ursachen des sozialen Wandels hin zu bäuerlichen Gesellschaften sowie Kontakte zwischen Jäger- und Sammlervölkern einerseits und Bauern andererseits betont. Auf dieser vor allem von nordamerikanischen und südafrikanischen Anthropologen und Ethnologen mit Beiträgen bedienten Konferenz wurde deutlich, dass manche südafrikanischen Völker sowie Stämme auf der indonesischen Insel Borneo teils mehrfach zwischen dem Jäger- und Sammlerdasein und einer bäuerlichen Lebensweise hin- und hergewechselt waren, wobei auch Jahrhunderte alte Außenkontakte eine Rolle spielten.<ref>Barbara Bender, Brian Morris: Twenty Years of History, Evolution and Social Change in Gatherer-hunter-studies. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1, Berg, Oxford/Washington 1991, S. 8 (englisch; erstveröffentlicht 1988).</ref>

Auf einer weiteren Konferenz 1986 in London zeigte sich,<ref>Tagungsband: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1 & 2, Berg, Oxford/Washington 1988 (englisch).</ref> dass die finanziell und ideologisch bedingten Einschränkungen der sozialwissenschaftlichen Feldforschung inzwischen zur Zunahme rein theoretischer, in viele Ansätze unterschiedlicher Schulen zersplitterter Diskussionen unter vorwiegend aus der Ersten Welt (den Industriestaaten) stammenden Wissenschaftlern geführt hatten. Man versuchte, eine Trennlinie zwischen langfristigen, meist ökologisch bedingten evolutionären Anpassungsprozessen und kurz- bis mittelfristigen gesellschaftlichen Entwicklungspfaden (Trajektorien) zu ziehen – wo genau sie aber verlaufen sollte, blieb offen.

Richard Lee versuchte 1978 in Wiederaufnahme der Diskussionen von Paris an die alten Konzepte von Lewis Henry Morgan und Friedrich Engels anzuknüpfen (und an die der Schule von Rochester), um den Jäger- und Sammlervölkern ihre Identität, Geschichte und innere Logik wiederzugeben, die ihnen der Kolonialismus geraubt hat.<ref>Richard Lee: Reflections on Primitive Communism. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1: History, Evolution and Social Change. Berg, Oxford/Washington 1991, ISBN 0-85496-153-4, S. 251–268.</ref> Tim Ingold reflektierte im selben Zusammenhang über den Unterschied zwischen den Bezeichnungen Subsistenzweise und Produktionsweise, zwischen (tierischer, rein „extraktiver“) Nahrungssuche und (menschlichem) Jagen und Sammeln. Ein menschliches Wesensmerkmal sei nicht (nur) das Teilen der Nahrung - also in Marxscher Terminologie ein Distributionsphänomen -, sondern ihre gemeinschaftliche Produktion.<ref>Tim Ingold: Notes on the Foraging Mode of Production. In: Tim Ingold, David Riches, James Woodburn (Hrsg.): Hunters and Gatherers. Band 1: History, Evolution and Social Change. Berg, Oxford/Washington 1991, ISBN 0-85496-153-4, S. 269–285.</ref>

In der Folgezeit erhöhte sich die Häufigkeit der CHAGS-Konferenzen (Conference on Hunting and Gathering Societies). Die fünfte Konferenz fand 1988 im australischen Darwin statt, die sechste 1990 in Fairbanks, Alaska. An dieser von Linda Ellanna organisierten Konferenz nahmen sowohl Sprecher indigener Völker als auch eine große Zahl sowjetischer Anthropologen und Archäologen statt. CHAGS VII tagte 1993 in Moskau unter Leitung von Valery Tischkow and Viktor Schnirelman,<ref>Tagungsband: Megan Biesele, Robert Hitchcock, Peter Schweitzer (Hrsg.): Hunter-Gatherers in the Modern World. Berghahn, Providence 1999.</ref> CHAGS VIII unter Leitung von Shuzo Koyama und Jiro Tanaka in Osaka.<ref>Richard Lee: CHAGS History: Conferences on Hunting and Gathering Societies (CHAGS): A brief history. Universität Wien, 2014, abgerufen am 2. September 2014 (englisch).</ref>

Weitere Konferenzen waren die CHAGS IX 2003 in Edinburgh<ref>Tagungsband: Alan Barnard (Hrsg.): Hunter-Gatherers in History, Archaeology, and Anthropology. Berg, London 2004, ISBN 1-4237-4720-8.</ref> und CHAGS X 2013 in Liverpool mit dem Schwerpunkt Gewalt und Krieg unter Jägern und Sammlern. Die CHAGS XI soll im September 2015 in Wien tagen.

Siehe auch

Literatur

  • Almut Bick: Die Steinzeit. 2., korrigierte und aktualisierte Auflage. Theiss, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-8062-2589-1, S. 64–67: Kapitel „Schneller, weiter, effizienter“ – die Entwicklung der Jagdwaffen in der Altsteinzeit.
  • Gerhard Böck: Genußmittel bei Wildbeutern: Drogengebrauch bei Jägern und Sammlern. Selbstpublikation. Grin, München 2012, ISBN 978-3-656-09500-2 (Doktorarbeit 1989 Philipps-Universität Marburg; Leseprobe in der Google-Buchsuche).
  • Richard Barry Lee, Richard Heywood Daly (Hrsg.): The Cambridge encyclopedia of hunters and gatherers. 4. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2010, ISBN 978-0-521-60919-7. (Original 1999: Leseprobe in der Google-Buchsuche).
  • Monika Oberhuber: Geschlechtsegalitäre Gesellschaften. Oder: „Same same but different“. Fakultät für Sozialwissenschaften, Universität Wien 2009 (Diplomarbeit zu Jäger- und Sammlergesellschaften; online auf univie.ac.at, mit PDF-Download).
  • Georgia A. Rakelmann: Anpassungskünstler: Die Buschleute der Kalahari-Wüste. In: Peter E. Stüben, Valentin Thurn (Hrsg.): Wüsten-Erde: der Kampf gegen Durst, Dürre und Desertifikation. Focus, Gießen 1991, ISBN 3-88349-394-5, S. 31–42 (online auf uni-giessen.de).
  • Marshall Sahlins: Notes on the Original Affluent Society. In: Richard Barry Lee, Irven DeVore (Hrsg.): Man the Hunter. The First Intensive Survey of a Single, Crucial Stage of Human Development – Man’s Once Universal Way of Life. Aldine, Chicago 1968, ISBN 0-202-33032-X, S. 85–89 (englisch; Tagungsband; richtungsweisende Überlegungen zur „Überflussgesellschaft“ bei Jägern und Sammlern/Wildbeutern; 2. Auflage. von 2009 als Volltext in der Google-Buchsuche).
  • Trevor Watkins: Der Naturraum in Anatolien, ein Zusammenspiel von Klima, Umwelt und Ressourcen. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe: Die ältesten Monumente der Menschheit. Theiss, Stuttgart 2007, S. 37 ff.
  • Sibylle von Reden: Die Insel der Aphrodite. Vergangenheit und Gegenwart Zyperns. DuMont Schauberg, Köln 1969. (Nachauflage: Zypern. 2. Auflage. Köln 1974, ISBN 3-7701-0797-7.)
  • Veronica Tatton-Brown: Cyprus BC, 7000 years of history. British Museum, London 1979.

Weblinks

Anmerkungen

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Einzelnachweise

<references> <ref name="Rakelmann 1991-31"> Georgia A. Rakelmann: Anpassungskünstler: Die Buschleute der Kalahari-Wüste. In: Peter E. Stüben, Valentin Thurn (Hrsg.): Wüsten-Erde: der Kampf gegen Durst, Dürre und Desertifikation. Focus, Gießen 1991, ISBN 3-88349-394-5, S. 31–42, hier S. 31 (online auf uni-giessen.de). </ref> <ref name="Gurven 2007"> Michael Gurven, Hillard Kaplan: Longevity Among Hunter-Gatherers: A Cross-Cultural Examination. In: Population and Development Review. Band 33, Nr. 2, Juni 2007, S. 321–365, hier S. 349 (englisch; PDF-Datei; 1,4 MB; 46 Seiten auf anth.ucsb.edu). </ref> <ref name="Kuhn 2006"> Steven L. Kuhn, Mary C. Stiner: What’s a Mother to Do? The Division of Labor among Neanderthals and Modern Humans in Eurasia. In: Current Anthropology. Band 47, Nr. 6, Dezember 2006, S. 953–980, S. ?? (englisch; PDF-Datei; 299 kB; 28 Seiten auf arizona.edu). </ref> <ref name="Sahlins 1968"> Marshall Sahlins: Notes on the Original Affluent Society. In: Richard Barry Lee, Irven DeVore (Hrsg.): Man the Hunter. The First Intensive Survey of a Single, Crucial Stage of Human Development – Man’s Once Universal Way of Life. Aldine, Chicago 1968, ISBN 0-202-33032-X, S. 85–89 (englisch; 2. Auflage. von 2009 als Volltext in der Google-Buchsuche). </ref> <ref name="Kneer 1995"> Georg Kneer (Hrsg.): Soziologie. Zugänge zur Gesellschaft. Teil 2: Spezielle Soziologien Lit, Münster/Hamburg 1995, ISBN 3-8258-2212-5, S. 128–130. </ref> <ref name="Terre des hommes 2009">Terre des hommes Deutschland: Das Wissen der San. Namibia: Wie Kulturen aufeinander treffen. Eigene Webseite, 2009, archiviert vom Original am 30. August 2011, abgerufen am 2. September 2014. </ref> <ref name="Kamchatka">Eingeborene Kamtschatkas. In: kamchatka.org.ru. Tour Company Vision of Kamchatka, abgerufen am 2. September 2014. </ref> </references> A) Marvin Harris: Kulturanthropologie – Ein Lehrbuch. Aus dem Amerikanischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Campus, Frankfurt/New York 1989, ISBN 3-593-33976-5. <references group="A" /> B) Steven A. LeBlanc: Constant Battles. Why we fight. St. Martin's Press; Auflage: First Edition 23. Juli 2013 (ebook), Kapitel 5: Warfare among Foragers. <references group="B" /> C) Walter Hirschberg (Begründer), Wolfgang Müller (Redaktion): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage. Reimer, Berlin 2005. <references group="C" /> D) Richard B. Lee, Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge encyclopedia of hunters and gatherers. 4. Auflage. Cambridge University Press, New York 2010 (Erstdruck 1999), ISBN 978-0-521-60919-7. <references group="D" />